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Vindelntal in Västerbotten

VindelwinterAls Musher in der Wildnis Nordschwedens

Der Vindelfluss ist einer der wenigen naturbelassenen schwedischen Flüsse und verläuft vom Vindelnaturereservat in den Fjälls an der norwegischen Grenze bis nach Vännäs wo er in den nicht minder mächtigen Umefluss mündet. Wir befinden uns in der Provinz Västerbotten mit Umeå als Residenzstadt. Eine Gegend, die nicht unbedingt für ihren Wintersport bekannt ist. Trotzdem vermittelt gerade deswegen dieser Bericht einen guten Eindruck von der Allgegenwart des Abenteuers in Winterschweden.

von Eduard Nöstl


Ein Rentier quert die Straße von links, die Bremsen blockieren und ausgerechnet jetzt kommt ein riesiger mit Holz beladener LKW vor uns um die Kurve. Das Rentier kriegt einen leichten Schubs, schlägt einen Salto, rollt sich über die Böschung ab, steht auf und läuft, als wäre nichts gewesen, in den schützenden Wald. Der Fahrer des LKW tutet nur kurz, ob anerkennend ob unseres geschickten Manövers oder nur so aus Spaß weiß keiner und wir fahren äußerlich kühl und gelassen, doch innerlich etwas zittrig und dem Herz im Hosenboden, noch vorsichtiger weiter.

Einstand eines Winterurlaubs im Norden. Wir sind auf dem Weg vom Flugplatz in Umeå nach Ekorrsele, wo bereits vierzig Schlittenhunde darauf brennen, mit uns losstürmen zu dürfen. Der Lärm ist ohrenbetäubend.

Wir kriegen warme Overalls, Stiefel und Fellkappen, sowie Handschuhe, denn das ist wichtig. Wem kalt ist, der kann auch der heißesten Hundeschlittenrallye nichts abgewinnen.

Die Hunde sind angespannt, links rechts neben der Ziehleine, an der der Schlitten hängt. Kein Zaumzeug, keine Zügel, die Hunde laufen auf Zuruf. Links, rechts, geradeaus. Der Musher löst den Anker und ab geht die Post. Du sitzt im Schlitten, warm eingemümmelt in ein Rentierfell und schaust dir die Gegend an.

Nach einer Stunde brausender Fahrt sind wir bei unserem heutigen Ziel: Am Vindelfluss. Hier an der Stelle, wo wir uns befinden, ist der Fluß sicher an die hundert Meter breit. Man kann sich kaum vorstellen, dass die endlose weite Fläche unter uns ein Fluss sein soll. Im Winter frieren auch die größten Flüsse - nur an den Stromschnellen ist offenes Wasser. Da heißt es aufpassen, denn die zugefrorenen Flüsse sind der Wintersportler liebstes Übungsgelände oder Transportweg, wie man will.

Winter in SchwdenWir werden in einer Holzhütte übernachten, vorher steht der obligate Saunabesuch auf dem Programm, wer will, kann nachher in einem Riesenbottich mit heißem Wasser Platz nehmen, der neben der Sauna im Schnee steht. Die Heisssporne wälzen sich im Schnee und die Lebensmüden joggen hinüber dorthin, wo ein schmaler Streifen dunkelgrau anzeigt, dass der Fluß nicht gefroren ist.

Dies ist wahr. Selbst erlebt und eine der längsten Schrecksekunden meines Lebens. Ein völlig normaler Mensch joggt quer durch den Schnee über das Eis und springt ins Wasser! Der Mann müsste seine Tolldreistigkeit mit dem Leben bezahlen. Er hat noch einmal Glück. Das Eis hat eine Stufe gebildet, sodass er sich wieder aufs rettende Eis ziehen kann. Bist du einmal unter dem Eis kann dir nichts mehr helfen.

Es ist also noch einmal gut gegangen. Daher wollen auch wir hier keine Worte mehr darüber verlieren. Nur so viel noch: So blöd kann man sich gar nicht anstellen beim Denken, dass es nicht doch einer umsetzt. Womit meine alte Theorie wieder einmal bestätigt wäre: alles, was sich der Mensch ausdenkt, probiert er früher oder später. Umgekehrt, alles, was sich erdenken lässt, war entweder schon einmal da oder wird einmal eintreten. Schöne Aussichten!

Der nächste Tag bringt einen Höhepunkt, den keiner auslassen sollte, der jemals im Winter nach Nordschweden kommt: Die Ausfahrt mit dem Schneemobil. Das sind Dinger, die wir aus den Alpen kennen, wo sie bei Hüttenwirten sehr beliebt sind, weil sie alle Steigungen bewältigen und wahre "Kraftlackeln" sind, die auch schwerste Lasten transportieren können.

Hier in Schweden sind sie des Mannes liebstes Spielzeug. Man könnte ein Schneemobil mit einem Moped vergleichen. Gas, Bremse. Vor allem Gas. Je nach Pferdestärke können diese Dinger ganz schön abfliegen. Es gibt so ziemlich jede Variante von etwa fünfundzwanzig Pferdestärken bis weit über hundert. Wir kriegen welche mit fünfundvierzig, das ist fürs erste Mal auch weit mehr als ausreichend.

SChneemoped, Skoter, MotorschlittenGanz Nordschweden ist von Trails durchzogen. Manche Leute sagen, es gibt weit mehr Kilometer gespurter Schneemobiltrails als Strassenkilometer. Die Einführung ist kurz: Der Motor wird wie bei einem Außenbordmotor durch Ziehen an einer Schnur angeworfen, dann heißt es nur mehr Platz nehmen, Gas geben und bei Bedarf bremsen. Zur Vorsicht den Zündschlüssel mit einer Schnur am Gürtel festmachen, damit das Gefährt stehenbleibt, falls der Fahrer in der Hitze des Gefechts bei einer nicht beachteten Bodenwelle abgeworfen wird.

Die Kurven bedürfen einer gewissen Gewöhnung, und es ist ein Vorteil, wenn man sich der ersten Versuche auf dem Fahrrad besinnt und sich in die Kurve legt. Sonst kann es passieren, dass die Schwerkraft oder Trägheit der Masse ein gewichtiges Wörtchen mitredet und die Fahrt in der nächsten Schneewächte endet. Dann sind zwei starke Männer von Nöten, um das Schneemobil wieder in die Spur zu bringen. Ganz Wagemutige geben auch dann einfach Gas, aber das sollte man vielleicht doch besser den Könnern überlassen.

Wir ziehen dreissig Kilometer durch den verschneiten Wald, unser Ziel ist der Aussichtsberg Storskällberget. Die Trails führen durch den dichten Wald, dann und wann wird eine Strasse überquert. Immer schön rechts und links schauen, denn hier haben immer noch die Autos Vorrang. An einem kleinen See am Fuß des Bergs halten wir. Die Auffahrt ist recht steil und da heißt es Gas geben um nicht mitten am Hang zum Stehen zu kommen.

Auf dem Berg steht eine Vogelwarte und wir klettern auf den Turm. Enorm, diese Fernsicht!
Unter uns im Schnee sehen wir Spuren eines Luchses, sonst nur Weite, Weite, Weite. Nirgends ist ein Haus zu sehen, kein Rauch kräuselt sich zum Himmel, nur Wald und ewige Hügel, die heranrollen.

Auf dem Eiszeitwanderpfad fahren wir zum See Yttersjön, wo wir in einer winzigen Holzfällerhütte zum gemütlichen Knacken des Holzes im Ofen einschlafen. Mitten in der Nacht werde ich munter und einem dringenden Bedürfnis folgend, trete ich vor die Tür in die sternklare, bitterkalte Nacht.

Ich habe das Glück der Unbedarften: Nordlicht! Ah, nie werde ich müde, dieses grandiose Schauspiel der Natur zu beobachten und zu beschreiben. Es ist so unendlich groß, so gigantisch, so phänomenal. Wie hundert Niagarafälle des Lichts, die über eine unsichtbare Kante in unserem Universum herunterstürzen. Millionen von Kilometern entfernt und doch so nah. Kein Laut begleitet diese gigantische Himmelssinfonie ohne Töne. Der Mensch ist winzig, ja, aber nur er kann dieses Schauspiel genießen und anerkennen. Nur unser Geist macht es für uns möglich, die Größe der Natur anzuerkennen.

Am nächsten Morgen ist es frisch in der Hütte, denn das Feuer ist natürlich ausgegangen. Mit vollen Backen blasen wir in die Glut, um das Feuer wieder zu neuem wärmespendenden Leben zu entfachen. Der Kaffee tut ein übriges und bald schon sind wir bereit zu neuen Taten. Der dritte Tag sieht uns bereits als echte Geschöpfe der Wildnis. Bartstoppeln sprießen, der Luxus der täglichen Waschung beschränkt sich auf eine Handvoll Schnee strategisch übers Gesicht verteilt.

Schlittenhunde VindelnHeute wollen wir uns selber als Musher versuchen. Waren wir am ersten Tag noch elegant in Pelze eingehüllt im Hundeschlitten gesessen, so kriegen wir heute jeder sein eigenes Gespann. Mit diesem wollen wir versuchen, das vierzig Kilometer entfernte Ziel zu erreichen. Ob wir uns da nicht ein wenig zuviel zugemutet haben? Na, wir werden ja sehen. Noch gehört die Welt uns.

Die Hundchen sind echt süß. Schlittenhunde sind ja eine ganz spezielle Rasse und wenn auch neuerdings alle möglichen Sorten dazugemischt werden, um die an sich braven, aber doch etwas gemächlichen Huskies etwas spritziger zu machen, so sind sie vom Aussehen her mit ihrer spitzen Nase, dem wuscheligen Pelz, den oft blauen Augen und vor allem ihrer zutraulichen Art enorm einnehmend.

Die Schlitten bestehen aus Holz und sind extrem leicht. Vorne ist die Ladefläche und hinten steht der Hundeführer, im Fachjargon Musher genannt, auf den verlängerten Kufen. Die Hände liegen auf dem bogenförmig geschwungenen Schlittenrand. Sollte das Unglück passieren und der Schlitten umkippen, so gilt es, den Rand nie auszulassen, denn sonst ist der Schlitten mitsamt den Hunden weg. Mit der anderen Hand wird der Musher den Anker hervorholen und, so gut es geht, in den Schnee rammen. Dann kommen die Hunde zum Stehen. Diesen Anker gibt es wirklich und er sieht auch genauso aus.

Manchmal hilft es auch, laut Hoooooooh zu schreien, dann bleiben die Hunde vielleicht auch stehen. Es gibt zwar auch eine Bremse am Schlitten, aber die sicherste Methode ist der Anker. Ach ja, lenken tut man den Schlitten mit den Fersen.

Am Anfang ist alles neu und am besten ist eine Einschulung auf einem See. Weil da kann nicht viel passieren. Im Wald stehen immer diese Bäume herum und sind dem Drang nach freier Bahn im Weg. Im besten Fall laufen die Hunde zwischen zwei Bäumen durch und der Musher kommt mit einem Schrecken davon, im schlimmsten Fall bleibt der Schlitten im Geäst hängen.

Doch so weit muss es nicht kommen. Vor allem dann nicht, wenn auf einer fertigen Spur gefahren wird. Da ist schon eher die Geschwindigkeit ein Problem. Denn wiewohl wir nur drei Hunde vor den Schlitten gespannt haben, entwickeln diese Burschen und Mädchen, die ja auf Geschwindigkeit getrimmt sind, ein ganz schönes Tempo. Kommt dann eine Kurve und bist du nicht mit allen Sinnen bei der Sache, musst du in den Schnee. Daher die Sache mit dem Anker.

Blacky, Blizzard und Mumin ziehen brav. Blacky ist die Leithündin und sie reagiert auf jedes Wort. Bilde ich mir ein. Mumin und Blizzard, sind zwei Rüden und die Arbeitstiere. Alle drei sind keine reinrassigen Huskies, sondern mit Greyhound und Vorsteher gemischt, um Geschwindigkeit und Ausdauer zu optimieren.

Auf dem Weg überhole ich den ausgepumpten Hund eines anderen Gespanns. Er legt sich immer wieder nieder und ist offensichtlich am Ende seiner Kräfte. Da der Hund zum Gespann eines Führers gehört, denke ich mir nicht viel dabei, erst am Ziel kommt ein anderer Schlitten und wer liegt da ganz fein auf der Ladefläche? Das Hündchen, das nicht mehr laufen wollte. So geht's natürlich auch.

Die dreissig Kilometer haben es in sich. Wir sind ziemlich geschafft und können nur unsere Hunde bewundern, die ja schließlich und endlich die Arbeit getan haben. Sie sind zwar müde, machen aber einen recht glücklichen Eindruck, der sich mit jedem lobenden Wort des Mushers verstärkt.

Am nächsten Tag steht ein Ausritt durch die Winterlandschaft auf dem Programm. Wir reiten durch den Wald zu einem alten Samen, der seine Rentiere im Wald versammelt hat und sie durchfüttert. Normalerweise brauchen die Rentiere kein Extrafutter, aber dieser Winter ist teils schneereich und teils hat es zwischendurch getaut und dann ist es wieder gefroren, sodass die Rentiere trotz allen Scharrens mit den breiten Hufen nicht an die Nahrung, die Flechten, herankommen. Daher kriegen sie Pellets.

SchilanglaufAm Nachmittag beschließt ein Langlauf mit Schiern am Vindelfluss entlang unsere Entdeckungsreise ins Winterschweden. Bei dieser im beschaulichen Tempo durchgeführten traditionellen Fortbewegung in der Winterlandschaft ist im Gegensatz zu den Abenteuern der letzten Tage der Mensch allein auf sich selber angewiesen. Kein Motor, kein Hundeherz erleichtern ihm das Vorwärtskommen.

Nebel wallen über den Stromschnellen, das Eis ist dick, nur an manchen Stellen spürt man die nur auf Zeit gezähmte Kraft des Flusses. Wir gleiten dahin und es wird ruhig um uns. Zeit der Besinnung, Zeit Ade zu sagen. Neue Kräfte spüren wir in uns. Ein besseres Verständnis für Land und Leute, aber auch von uns selber. Es bedarf nur kurzer Zeit und wir sind wieder zurückgekehrt in die Urzeit, als der Mensch sich im Taumel der Naturgewalten bewähren musste. Wir sind's zufrieden.

Was gibt es sonst noch zu tun in der Gegend?

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Last Updated: Freitag, 14. Oktober 2011
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