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Spannendes Vindeltal in Västerbotten

Wolkenstimmung in Västerbotten

60 Kilometer Härteprüfung auf dem Eiszeitwanderpfad

Reinhold Messners Grönlanddurchquerung erscheint in einem ganz anderen Licht, Ola Skinnarmos Alleinmarsch auf Schi zum Südpol wird in die rechten Proportionen gerückt und die verwegenen Männer auf Julius Payers österreichischer Nordpolexpedition, die Ende des vorigen Jahrhunderts zwei Jahre in der Eiswüste aushalten mussten, erscheinen als wahre Helden. Natürlich nimmt sich gegenüber den Strapazen dieser Männer mein Marsch auf dem "Isälvsleden", dem Eiszeitwanderpfad in der Vindelregion, wie ein Spaziergang aus. Aber nur, wenn man die richtigen Schuhe anhat, etwas zum Essen mitnimmt und vor allem ans Trinkwasser denkt.

Von Eduard Nöstl


Dabei hat alles so gut angefangen. Nach dem Reitausflug mit der hübschen Katharina und einer angenehmen Nacht im kleinen aber feinen Hotel Vindeln hielt ich die Zeit für gekommen, dem guten Leben zu entsagen und einen Tag in die Wildnis aufzubrechen. Die Sonne strahlt von einem klarblauen Himmel, die Luft ist frisch und rein und die Vögel zwitschern, was das Zeug hält.

Ein idealer Wandertag also. Und noch dazu neue Wanderschuhe. Freudige Erwartung liegt in der Luft und nach einem ausgiebigen Buffetfrühstück geht es los. Der Eiszeitwanderpfad beginnt direkt am Freizeitzentrum von Vindeln. Der Vindelfluss rauscht von der Ferne und die ersten hundert Meter geht es durch einen ziemlich niedrigen Jungwald unter enormen Überlandleitungen entlang. Doch nur kurz, denn bald zweigt das Weglein rechts ab und führt durch einen schütteren Kiefernwald über sandigen Boden.

Der Isälvsleden oder Eiszeitwanderpfad hat seinen Namen von einem eiszeitlichen Gletscherfluss, der sich hier in grauer Vorzeit, also vor ca. 9000 Jahren, eine Bahn gewälzt und dadurch der heutigen Landschaft ihre Form verliehen hat. In jenen Tagen vor 9000 Jahren war das Tal eine tiefe Bucht im Delta des Gletschers zwischen Yoldiameer und Acyclussee.

Die kühle Luft über dem Eis resultierte in einer beständigen Hochdruckwetterlage. Das Gebiet stand unter konstantem Einfluss von Fallwinden des Eises. Äolische Sedimente, Dünen, wurden durch die Winde an den Eiskanten aufgehäuft. Der Wanderpfad führt auf dem Juvikdamm entlang, einer der mächtigsten Dünenformationen des Landes.

Es gehört natürlich eine gehörige Portion Phantasie dazu, sich die ganze Gegend von einem dicken Panzer aus Eis bedeckt vorzustellen. Aber je weiter der Wanderer auf dem Pfad vordringt, Spuren im sandigen Boden hinterlässt, einsam wird, sich der Natur überantwortet und von ihr gnädig aufgenommen wird, je mehr er sich also der Natur auf Gedeih und Verderb ausliefert, um so gewaltiger werden die Eindrücke und wächst der Respekt vor der Allmacht der Elemente.

Gewaltige Kämme aus Sand türmen sich auf, dagegen nehmen sich die Dünen der Ostsee nur wie kleine Sandhügel aus. Diese Berge aus Sand, aufgeschüttet von einem mächtigen urzeitlichen Strom aus Eis, lassen unser menschliches Dasein wirklich nur wie ein Sandkorn im unendlichen Lauf der Zeit erscheinen, wenn wir von gewaltigen, uns übermächtigen Kräften mal hierhin, mal dahin gewirbelt werden und nur in unserem allzu menschlichen Wahn glauben, wir könnten den gewaltigen Strom der Zeit beeinflussen durch unsere aberwitzigen Gedanken.

Der Hjukenfluss liegt bereits weit unten im Tal und hat sich sein Bett tief, vielleicht an die fünfzig Meter in diese Sandgebirge gegraben. Der Wanderer schreitet am Kamm der Aufschüttungen dahin auf gepressten, von Jahrhunderten stetem Druck gezeichneten Sandbänken entlang.

Preiselbeeren, Moltebeeren und Schwarzbeeren, Orchideen, Wollgras und andere Blumen begleiten den Wanderer. Steinpilze wachsen zuhauf. Ganze drei Feuerstellen gibt es und jede Menge Seen - einziger Nachteil ist das fast völlige Fehlen von Quellen oder trinkbarem Wasser, ausgenommen vieleicht der Djupsundsee (Tiefer Sund), der per Ruderboot zu überqueren ist.

Nach drei Kilometern komme ich zum ersten Teich, dem Aborrtjärn. Aborre ist der Barsch. Ein Fisch, den jeder Wanderer auf dem Isälvsleden nach der Wanderung kennt, weil er an fünf Aborrteichen vorbeigewandert ist.

Nach einem Kahlschlag, dem eine mit ein paar Pinselstrichen hingeworfene Wolkenstimmung einen in ihrer Lässigkeit positiven, ja, versöhnlichen Rahmen verleiht, wird der Weg kurz nur schwer erkennbar. Zu hoch ist das Schwarzbeerengebüsch, zu selten gehen hier Menschen.

Am Furuberg erinnert eine Tafel an ein Ehepaar, das um die vorige Jahrhundertwende versucht hat, dem sandigen Boden ein paar Früchte abzuringen. Vergebens haben Anders Lundgren und Jenny Lindgren sich abgerackert, nur ein paar Steinhaufen erinnern an ihre Mühen.

In Hällnäs, einem kleinen Dorf von fünf Häusern und einem Altersheim leistet die Karte aus dem Touristenbüro gute Dienste. Ihr ist zu entnehmen, dass der Wanderpfad am anderen Ende des Ortes nach der Brücke weiterführt. Daher folge ich der Strasse 363 bis zu angebener Brücke und dann rechts rauf auf die Böschung und den Hjuksfluss auf der Kuppe entlang.

Hier beginnt der spannende Abschnitt der Wanderung. Ca. zwei Stunden sind seit dem Aufbruch von Vindeln vergangen. Ab jetzt sind die Zeichen der Zivilisation nur mehr spärlich gesät. Der Pfad zieht den Wanderer in seinen Bann, auch wenn ich immer wieder schmerzlich an meine durchaus irdische Anfälligkeit für drückende Schuhe und Hungergefühle erinnert werde.

Die Sandgruben erinnern kurzzeitig an "Carhenge" in Nebraska, wo ein findiger Farmer Autowracks mit der Schnauze in den Sand gesteckt und weiss angemalt hat und diese Kreation eben "Carhenge" genannt hat. Hier hat man sich nämlich die natürlichen Sandvorräte beim Strassenbau zunutze gemacht und dann nach Fertigstellung der Strasse einfach alles Gerät liegen und stehen gelassen.

Die Sonne brennt unerbittlich vom Himmel, der Sand verschluckt das Geräusch der Schritte und der Wanderer wünscht sich ein Pferd oder wenigstens ein Mountainbike, um hier schneller voranzukommen. Denn der Weg wäre ideal als Reit- bzw. Fahrradweg.

Auch die Gelsen, die bis jetzt nur recht spärlich vorhanden waren, greifen in immer grösserer Zahl an. Da bewährt sich das Gelsenmittel.

Die Zeit wird lang, die Schuhe drücken und ein flaues Gefühl macht sich breit. Hunger- und Durstgefühle lassen auch den schönsten Weg etwas blass werden. Nach sechs Stunden taucht der zweite Rastplatz auf. Doch was hilft der schönste Rastplatz, wenn man nichts zum Beissen hat?

Nach einer weiteren Stunde breitet sich linkerhand ein kleiner Waldsee aus, der von vielen Seerosen bedeckt ist. Nach kurzer Zeit mündet der Weg ins Naturreservat Valfrid Paulsson, benannt nach dem ehemaligen Direktor der schwedischen Naturschutzbehörde.

IsälvsledenHier ist auf einmal alles Gequäke und alle Schmerzen vergessen. Zu schön ist dieser Wald mit seinen uralten Baumriesen, die zum Teil als Silberkiefern, also abgestorbene Baumgreise, ihre kahlen Äste, die von der Sonne in ein silbergraues Licht getaucht werden, in den Himmel recken. Stark und unnahbar sehen sie aus wie vorsintflutliche Giganten in Silber gegürtet, bereit zum letzten Kampf.

Am Långtjärn kreuzen die Gleise der Bahn den Weg und aus der Ferne höre ich das Pfeifen der Lokomotive. Der Zug rauscht vorbei und nach zwanzig Wagons höre ich mit dem zählen auf. Schier endlos erscheint mir der Zug, der beladen ist mit dem grünen Gold des Nordens, Holz.

Die Landschaft wird wieder lieblicher und das viele Wasser heitert das Gemüt auf. Der Weg führt auf einem Hügelkamm entlang, der zu beiden Seiten von Seen umgeben ist. Hier wachsen enorm viele Schwarzbeeren, und auch Krähenbeeren, die ich zum Löschen des ärgsten Durst- und Hungergefühles in den Mund stopfe.

Die Blasen an den Fersen sind inzwischen keine Blasen mehr, sondern offene Wunden, die Socken sind nicht mehr grau, sondern rot. Die Schuhe auszuziehen ist undenkbar. Zähne zusammenbeissen und weitermarschieren.

Ich denke voll spätem, aber desto tiefer empfundenem Mitgefühl an meinen Sohn, der als kleiner Bub von vielleicht acht Jahren mit neuen Bergschuhen auf den steirischen Hochreichart geklettert ist. Erst am Abend war mir aufgefallen, dass er durch das Wohnzimmer humpelte. Den ganzen Tag hatte er geschwiegen. So mannhaft kann ich mir meine Schmerzen nicht verbeissen sondern ich verwünsche lauthals alle Schuherzeuger dieser Welt.

Immerhin, der Hunger ist vergangen. Es ist sieben Uhr dreissig abends und jetzt steht noch eine Rudertour über den Djupsund an. Das Ruderboot, das mich zur anderen Seite des Sunds, es mögen vielleicht zweihundert Meter sein, wird losgebunden. Einem Schild ist zu entnehmen, dass immer jeweils ein Boot auf jeder Seite des Sunds zu liegen hat. Also rüberrudern, das andere Boot ins Schlepptau nehmen, zurückrudern und dann das ganze nochmal.

Auf der anderen Seite des Sees stelle ich mir zum ersten mal die Frage, ob ich mir da nicht etwas viel zugemutet habe? Werde ich es bis Åmsele schaffen oder ist der Biwaksack doch nichtumsonst im Rucksack? Die Sonne verschwindet in einer sagenhaften, roten Feuersuppe im See.

Von einem Teich zum nächsten marschiere ich, getrieben allein vom Willen, die heutige Nacht nicht im Wald zu verbringen. Die Karte ist von den ständigen Konsultationen bereits ganz abgegriffen und fühlt sich schon ganz weich an.

An einer Kreuzung ist der Weg scheinbar zu Ende. Eigentlich müsste es links weitergehen. Und irgendwann müsste da vorne die Bundesstrasse auftauchen. Endlich, nach einer weiteren Stunde mühevollen Wanderns ist es so weit. Ein paar Häuser links und rechts der Forststrasse, blökende Schafe, irgendwo lärmt ein Motor.

Die Zivilisation hat mich wieder. Inzwischen ist es elf Uhr geworden und jetzt greift auch hier im Norden die Dämmerung um sich. Wenigstens bin ich an der Bundesstrasse. Doch es sind immer noch vierzig Kilometer zurück nach Vindeln.

Da fällt mein Blick hocherfreut auf ein kleines Schild: "Bahnhof Åmsele" ist da zu lesen. Nichts wie hin. Zwei Kilometer - doch was ist das schon. Am Bahnhof ist alles fest verschlossen. Bei einem Haus öffnet sich ein Fenster. Ein altes Mütterchen guckt heraus. "Zug? Hier fahren schon seit zehn Jahre keine Züge mehr, junger Mann". Und mit einem Kopfschütteln schliesst sie das Fenster.

Wieder auf der Bundesstrasse versuche ich es mit dem altbewährten Autostoppen. Nur - wer bleibt schon bei einer abgerissenen und müden Gestalt, die im Halbdunkel die Strasse entlangwankt, stehen?

Die paar Autos, die in der nächsten halben Stunde vorbeisausen, jedenfalls nicht. Verzweiflung macht sich breit. Jeder Schritt schmerzt höllisch, die vom geronnen Blut ganz steifen Socken graben sich ins rohe Fleisch.

Wieder kündigt ein Lichterschein ein nahendes Auto an. Ein verzagtes Lächeln auf die Lippen gepresst und nochmals die Hand ausgestreckt. Ha, was ist das? Er steigt auf die Bremse, hält an!

Robert kommt aus Sorsele und fährt nach Umeå. Er ist erstaunt über meinen Tagesmarsch und hat noch nie etwas vom Eiszweitwanderpfad gehört. "Was, sechzig Kilometer bist du gegangen? Na, das würde mir nicht im Traume einfallen".

In mir regt sich nach vollbrachter Tat ein gewisser Stolz. Die Blasen werden vergehen und sind in ein paar Tagen vergessen - während das Gefühl, eine echte Herausforderung geschafft zu haben, das bleibt bestehen.


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Last Updated: Freitag, 14. Oktober 2011
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