Hallo
Freunde! Recht gut zum Thema der letzten ezines,
wo es um Einstellung, Hilfsmitteln sowie Sicherheit bei Fjälltouren
in Schweden gegangen ist, scheint mir der folgende Brief zu passen,
den mir Henry und Verena aus Hamburg geschrieben haben, zeigt er
doch, dass alle guten Ratschläge eigentlich nur eine Verstärkung
der richtigen Einstellung bilden, aber die Folgerung nahelegen,
kaum je eine falsche Einstellung ins Gegenteil verkehren zu können.
Dieser Brief ist meiner Meinung nach wirklich ein gutes Beispiel
dafür, wie gesunde Vernunft, Optimismus und eine positive Einstellung
auch widrigste Umstände (Regen, Einsamkeit, Qual der Wegwahl)
zu einem positiven Erlebnis werden lassen.
I
Zuvor
noch ein Brief, der sozusagen nach Redaktionsschluss hereingeflattert
ist, von Ron aus Holland. Ron ist viel unterwegs in Nordschweden,
Norwegen und Finnland. Er weiss also, wovon er redet:
Hi
there,
I
make a distinction between Handy and GPS, with a GPS you can't call
the rescue service and have them crash against the mountain. With
GPS you can navigate (with a map and a spare compass) better and
safer as ever before. A handy (mobile) is most of the time no good
in the Swedish mountains anyway. On my solo hikes in Ovre dividalen
(Norway, Sweden, Finland) I was complemented by the local police,
where I checked in to report that I was going to hike and when I
expected to be back, for having a GPS. That reduced the risk that
I would loose my way to zero. (it's super small anyway). So they
had one less backpacker to worry about. I say the use of modern
electronic devices is safe, however if you can't find your way without
them, something is wrong
kindest regards
Ron Keulen
Ps I had a marvellous holiday in the North of Sweden.
Danke
Ron Keulen für diese offenen Worte. Ich bin sicher, nicht nur
bei mir hat dieser Brief durch seine faktengespickte Eindringlichkeit
einen tiefen Eindruck hinterlassen.
II
Verena und Henry waren ein paar Wochen in Jämtland unterwegs
und haben ihren ersten Schwedenurlaub hinter sich. Wir wollen anhören,
wie es ihnen ergangen ist:
Wir
sind seit einiger Zeit wieder aus Schweden zurück und wollen
dir mitteilen, wie uns der Urlaub gefallen hat!
Also, nachdem ich schon in Dänemark festgestellt hatte, dass
ich meine Jacke vergessen hatte, ;-) ging die Reise lustig weiter
nach Malmö und Stockholm - dummerweise war´s Sonntag
Abend und kein Geschäft hatte mehr offen.
Wir kamen also gegen Morgen mit dem Nachtzug in Östersund an,
in der Erwartung dort bald in den Anschlussbus nach Ljungdalen umzusteigen.
Ein zufälliger Blick auf die Bahnhofsuhr aber liess uns erkennen,
dass der Zug eine Stunde Verspätung hatte. Na ja, der nächste
Bus fuhr nachmittags ab und in eine andere Richtung: nach Valådalen.
Das brachte uns dazu, unsere Wanderroute umzuplanen - nämlich
von Nord nach Süd. Ausserdem lernten wir in den folgenden Stunden
des Wartens auch noch unseren zukünftigen Wegbegleiter kennen:
Werner, einen bärbeißigen Pfarrer aus K., mit einem Rauschebart
und beachtlichem Leibesumfang, der seit 20 Jahren mit und ohne Jugendgruppen
Schwedens Norden unsicher macht.
Mit Werner zogen wir mit unseren Mega-Rucksäcken ins Zentrum
von Östersund und belagerten bis zu dessen Öffnung einen
Trekkingladen; während dieser Stunden erzählte uns unser
neuer Freund Schauergeschichten vom Järv (Vielfrass),
den schwedischen Bären und von wilden Touren durch den Sarek.
Ich ergatterte eine ganz ordentliche Jacke und bald stiegen wir
in den Bus Richtung Valadalen. Dazu muss ich sagen, bei Henry und
mir wuchs der Respekt vor der Abgeschiedenheit dieser Gegend; besonders
bei den letzten 10 km Schotterpiste durch endlose Nadelwälder.
Es
hatte in der Gegend, wie wir erfuhren, seit Tagen stark geregnet
und so sah es auch aus: überall stand Wasser auf den Wegen.
Trotz meines Wunsches, diese eine Nacht (es goss in Strömen)
in der Fjällstation zu verbringen, machten wir uns noch zu
dritt ins Gebiet auf. Hier merkten wir aber, dass eine Route, so
wie wir sie geplant hatten, bei unserer mangelhaften Ausrüstung
doch zu abenteuerlich werden würde. Pfarrer Werner empfahl
uns, eine reine Hüttenstrecke zu gehen, angefangen bei Stensdalstugorna.
Bei einer eingezäunten Rentierherde kamen wir an einen schönen
Zeltplatz und Henry und ich schlugen, nachdem wir uns von Werner
verabschiedet hatten (der wollte in einer Woche mehr als 100 km
wandern!!) unser Zelt an einem kleinen Fluss auf.
Nach
unruhiger regnerischer Nacht, in der wir wegen bedrohlich steigendem
Flüsschen nochmal das Zelt woanders aufbauen mussten, brachen
wir auf gen Stensdalen.
Hier wurde die Bedeutung des Satzes "Ein Königreich für
ein paar Gummistiefel" klar: wirklich teilweise 40 cm Wasserlöcher,
und vom Weg nix mehr zu sehen. Aber auch die ersten wunderschönen
Landschaftseindrücke, wie der Weg, der parallel zu einem riesigen
Moor auf schneebedeckte Berge zuführt um dann in einem mückenreichen
Wald zu verschwinden. Super, mein Mückennetz!!! Der arme Henry
wurde arg zerstochen, und ich glaube, das war das einzige, was ihn
an diesem Urlaub störte.
Ich muss mich jetzt kürzer fassen, sonst schweife ich zu sehr
aus, und das kann man dann wirklich nicht alles lesen. Stugwart
Olaf meinte, als wir total erschöpft und durchnässt seine
Hütte erreichten: "Eure Rucksäcke sehen schwer aus"
und heizte erstmal kräftig die Sauna an, dass wir uns erholen
konnten.
Am nächsten Morgen empfing uns ein strahlend blauer Himmel.
Wir hatten aber nicht vor, die Tour fortzusetzen, sondern wir wollen
wieder zurück zur Fjällstation Valadalen. Der letzte Tag
war echt zu hart für uns gewesen und mit meinen Lederstiefeln
kam ich in dem sumpfigen Gelände nicht so gut klar. Eigentlich
schade, aber wir wollten ja nie auf Teufel komm raus die Strecke
schaffen, sondern eine schöne Zeit haben. Schliesslich kann
man auch von einem Ausgangspunkt tolle Tagestouren machen. Mir kam
es auch schon spanisch vor, dass wir so gut wie keiner Seele in
diesem ganzen Gebiet begegnet waren, und die Abgeschiedenheit wirkte
auf mich etwas unheimlich.
Also, auf nach Valadalen! Unsere Ausrüstung war noch nicht
trocken; deshalb marschierten wir nur ca. 2 km, und beschlossen
dort unser Lager aufzuschlagen und die Nacht zu verbringen. Es war
herrlich! Direkt an dem rauschenden Flüsschen Tvaran und in
den Berghängen Schneefelder! Wir überwanden uns sogar,
in dem eisigen Wasser eine Waschung vorzunehmen; zur Belohnung gab's
abends ein Feuer und Stockbrot mit gegrillter Salami.
Nach einer kühlen Nacht heizte die Sonne wieder richtig ein
(bestimmt 30 Grad, wir hatten kein Thermometer) und weiter ging
es. Wir freuten uns schon darauf, bald wieder unter Menschen zu
sein und was leckeres zu essen, und ahnten nicht, was uns dieser
Tag noch bringen sollte.
Frohgemut folgten wir dem dürftig markierten Wanderpfad, um
nach 1 km Abstieg über Stock und Stein zu bemerken, dass dieser
in einer offenen Wasserfläche endete. Das musste ein alter
Weg sein! Wir gingen zurück und suchten oben auf dem Berg nach
dem neuen Wanderweg, fanden auch rote Markierungen und sogar Steinmännchen.
Dieser Pfad führte aber immer weiter in unwegsames, mit Moosen
und Flechten bewachsenes mooriges Gelände und schliesslich
standen wir inmitten eines Hochmoores. Die aus dem Wasser ragenden,
ausgebleichten Baumstümpfe sahen furchterregend aus!
Um´s
etwas abzukürzen: wir irrten - nun alle 2 Minuten auf die Karte
schauend - immer noch auf dem Bergplateau herum und fanden keine
menschlichen Spuren oder gar Wege mehr vor. Nur noch Tierwechsel.
Auf dem Boden sah ich plötzlich eine riesige Bärenspur!
Wir wollten verständlicherweise nur schnell weg von hier und
beschlossen, querfeldein zu gehen, der Kompass würde uns sicher
bis zum Fluss Valan bringen, dort würden wir wieder auf den
eigentlichen Wanderpfad stossen.
Es
war vielleicht ein Abenteuer! Wir stiegen zunächst durch Birkensträucherfelder,
dann in den Fjällwald hinab, der sich doch ziemlich unheimlich
ausnahm, da oft meterhohe Felsbrocken im Weg standen und umgestürzte
Bäume kreuz und quer alles versperrten. Du kannst uns glauben:
wir vermuteten hinter jedem verdammten Wurzelteller einen Bären!
Dann
hörte Henry einen brüllen. Ich bekam es Gottseidank nicht
mit, weil ich den Hut tief ins Gesicht gezogen lautstark durchs
Dickicht brach. Er erzählte es mir, als wir "in Sicherheit"
waren!
Wir machten ein wenig Lärm mit den Alu-Trinkflaschen, um einen
potentiellen Bären nicht zu überraschen. Zu oft sahen
wir die grossen Fladen auf dem Boden.
Ich mach es jetzt wieder etwas kürzer: auf den dichten Gebirgswald
folgten immer abwechselnd riesige Sümpfe und dann wieder ein
schmaler Waldgürtel, bestimmt je 6 mal. Wir hätten bestimmt
Elche gesehen, wenn wir uns nicht so lautstark bewegt hätten!
Das Dumme war, dass wir ja nicht direkt übers Moor gehen konnten,
denn da stand das blanke Wasser und oft versanken unsere Probierstöcke
im bodenlosen, wenn wir "Furten" austesteten.
Wir gingen also im Zickzack, was etwas frustrierend war, und dazu
noch diese trockene Kehle! wir hatten vergessen, auf dem Berg und
am Bach im Fjällwald unsere Flaschen zu füllen.
Irgendwann
erreichten wir doch noch den Fluss. Wir tranken wie die Weltmeister
und fühlten uns unbeschreiblich erleichtert! Hier war unser
Weg - so gut markiert wie nirgendwo - und die letzten 5 km kamen
uns wie ein Spaziergang vor.
Die
folgenden Tage waren sehr schön und wir erkundeten das reizvolle
Gebiet nur noch auf kleinen Tagestouren; einmal liehen wir uns Fahrräder
und radelten zum nächsten Badesee Nulltjärnarna, wo wir
ein eisiges 8-Grad-Bad genossen (hier hatte eine Frau ein Thermometer!).
Ausserdem verbrachten wir viele Stunden im Naturmuseum Naturum.
Übrigens: Schweden wird uns sicher bald wiedersehen! Der Urlaub
war wirklich super und wir sind auf den Geschmack gekommen, obwohl
wir uns ja eigentlich als klägliche Greenhorns erwiesen haben.
Wie kann man sich in einem Urlaubsgebiet bloss verlaufen- trotz
Karte und Kompass!!!!!??
ALSO: DAS NÄCHSTE MAL GIBT´S GUMMISTIEFEL UND WIR ACHTEN
GANZ PENIBEL AUF DEN WEG!
Wir möchten dir an dieser Stelle einmal danke sagen: du hast
uns sehr geholfen mit der Tour-Ausarbeitung und uns wichtige Ratschläge
gegeben. Finden wir wirklich toll !!
Henry und Verena
P.S.: Den netten Pastor Werner trafen wir am Abend vor unserer Abreise
am Büffet wieder. Er war barfüßig und fast ebenso
morastig wie wir nach der Moor-Expedition. Über 130 km hatte
er in den paar Tagen im Rundkurs zurückgelegt und seine high-tech-Stiefel
dabei durchgelaufen!!! Bevor wir am nächsten Tag alle 3 den
Bus nach Storlien nahmen, hängte er seine aufgeplatzten Stiefel
dekorativ an die Hauswand, wo sie bestimmt heut noch sind :-)
III.
Ich
glaube, diesem Brief ist nichts mehr hinzuzufügen. Sehr schön
herausgearbeitet wird darin die Einsamkeit, die den Besucher der
schwedischen Fjälls überfällt. Diese Einsamkeit macht
meiner Meinung nach dem unbedarften Mitteleuropäer bei Wanderungen
in den schwedischen Bergen am meisten zu schaffen. Heilmittel dagegen
weiss ich keines - Gewöhnung vielleicht, und tröpfchenweise
immer mehr davon.
Im
Beitrag nächste Woche werden wir uns ansehen, wie "die
Einheimischen" mit den Bergen zurechtkommen und ob es signifikante
Unterschiede in der Vorbereitung und auf den Wanderungen gibt.
See
you at the top! Howdy, Euer Edi Nöstl
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Updated: Donnerstag, 4. September 2008
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