. Blitzcheck: . .. .

Sicherheit beim Wandern

Teil 1


Vom kalkulierten Risiko

Hallo Freunde. Heute in der Früh hatte ich mich kaum aufs Fahrrad geschwungen und war ein paar Kilometer gefahren, als es zu regnen begann. Zuerst leicht, dann immer stärker, bis es so richtig wie aus allen Kübeln schüttete. Nun ist so ein Regen immer unangenehm, vor allem beim Radfahren und vor allem wenn man ein bestimmtes Ziel vor Augen hat.

Ein Ziel ist ein Ziel und umgedreht wird nicht. Und was soll schon viel passieren? An ein paar Regentropfen ist noch keiner gestorben und eine kleine Verkühlung ist auch nicht so schlimm. Kurz und gut, ich trat also fleissig weiter in die Pedale, kam schliesslich ans Ziel, machte meine gymnastischen Übungen und fuhr zufrieden wieder nach Haus, stellte mich unter die heisse Dusche und habe bis jetzt nichts von einer Verkühlung gemerkt. Ich glaube, in Fachkreisen nennt man das "kalkuliertes Risiko". Vom kalkulierten Risiko handelt das heutige ezine.

Kalkuliertes Risiko ist wohl das, wenn man zwar bewusst ein Risiko eingeht, aber sich dabei gute Chancen ausrechnet, sei es auf Grund der Vorbereitung oder der Ausrüstung oder beides. dASs Risiko wird anerkannt, aber eigentlich nicht allzu ernst genommen, da alle Vorbereitungen getroffen wurden, die Gefahr auszuschalten.

Dieses kalkulierte Risiko hat es immer gegeben und wird es auch immer geben. Nur will mir scheinen, dass heute das kalkulierte Risiko von vielen extrem gedehnt wird. Viele Sportler scheinen zu glauben, heute gäbe es keine Gefahr mehr. Und wenn, dann könne man das Risiko durch die Wahl eines guten Führers oder technischer Errungenschaften wie GPS oder Handy ausschalten.

In letzter Zeit häufen sich die Zuschriften von jungen Männern, die schreiben, ungefähr: "Ich will in den Sarek und will da auf mich allein gestellt wandern. Schreib mir doch eine schöne Route." Oder so ähnlich. Das wäre ja noch zu akzeptieren, wenn dann nicht der Nachsatz kommen würde: "Ach ja, übrigens, hat das Handy auch Empfang da oben in der Wildnis?" Hoppla, denke ich dann, also willst du es jetzt wissen oder willst du nicht?

Ich weiss nicht, ob es nur mir so geht, aber mir kommt vor, da will einer mit Netz und doppeltem Boden aufs Seil. Will also ein Risiko eingehen und sich etwas beweisen, aber ganz so gefährlich soll es nun doch wieder nicht sein. Sollte echte Gefahr auftreten, dann will man schon in der Lage sein, Hilfe herbeizurufen. Da frage ich mich: Warum? Entweder ich riskiere mein Leben und hole mir den Adrenalinstoss den die Überwindung der Gefahr bringt, oder ich lasse es bleiben und kaufe mir ein gutes Buch.

Von einem, der das Risiko gekannt hat und auszog, es ohne Netz und doppelten Boden zu erproben, der dann nur um Haaresbreite und durch freundliche Menschen dem sicheren Tod entkam, davon handelt das heutige ezine. Der Handlungsort wurde nach Alaska verlegt, damit eine gewisse Objektivität gegeben ist.



Allein über die Brooks Range

Von Hans Goger

"Grizzlys? Ja, es gibt eine Menge Grizzlys und auch Schwarzbären entlang dem John River. Auch Wölfe sind nicht gerade selten. Aber die grösste Gefahr auf deinem Trip sind ganz sicher die zahlreichen Creeks und Nebenflüsse, die aus den Seitentälern der Brooks Range in den hochwasserführenden John River einmünden. In den Bergen hat die Schneeschmelze gerade erst richtig angefangen, denn hier bei uns beginnt der Frühling gerade erst - Ende Mai", erklärte mir ein Bewohner des hundertzwanzig Seelen Dorfs Anaktuvuk, als ich ihn bezüglich meines Trips über die Brooks Range, den nördlichsten Gebirgszug Alaskas anspreche.

Einen guten Rat kriege ich noch mit auf den Weg: "Dort, wo der John River und der Allen River ineinander übergehen, liegt eine kleine Farm. Da leben Bill und Lillian Fickus, die musst du unbedingt besuchen".

Vor einigen Stunden war ich mit der kleinen Maschine der "Frontier Airlines" aus Fairbanks, der Hauptstadt Alaskas in diese 200 km nördlich des Polarkreises gelegene Siedlung der Inpiateskimos gekommen. Zwischen Anaktuvuk Pass und Bettles, einer weiteren Ortschaft mit gerade 40 Einwohnern liegen an die 170 Kilometer ohne Siedlung dazwischen. Gerade diese Strecke hatte ich mir für die Tour vorgenommen. Damit würde ich die Brooks Range, einen der nördlichsten Gebirgszüge der Erde überqueren.

So schultere ich am dreissigsten Mai meinen 50-Kilo Rucksack und ziehe los in die endlose, kahle und unbewohnte Tundra, immer Richtung Süden. Schon auf den ersten Kilometern kriege ich einen Vorgeschmack auf die Strapazen, auf die ich mich da eingelassen habe: Die ganze Tundra ist ein einziger See.


"NIGGERHEADS" IM PERMAFROST

Permafrost ist angesagt. Die Erde ist auch im Sommer bis zu 300 m tief gefroren und nur eine dünne Schicht taut im Sommer auf. Dadurch kann das Schmelzwasser nicht versickern und wird nur von den Flüssen abtransportiert. Ausserdem ist das Land mit sogenannten "Niggerheads" übersät, das sind ca. dreissig Zentimeter hohe Grasbüschel, die nicht fest mit dem gefrorenen Boden verbunden sind. Steigst du auf diese Dinger, verlierst du sofort den Halt und "stürzt" ab. Zwischen den Grasbüscheln steht dreissig Zentimeter tiefes Eiswasser, das schon nach kurzer Zeit meine Zehen klamm werden lässt.

Ein Blick über die grandiose Landschaft entschädigt mich immer wieder für die Strapazen. Schneebedeckte Berge, rauschende Flüsse, hin und wieder kleinere Gruppen von Rentieren.
Mein erstes Nachtquartier schlage ich an einem windgeschützten Hang auf. Todmüde falle ich auf die Matte. Ich mache mir nicht einmal die Mühe, mein Zelt aufzuschlagen, denn der Himmel ist wolkenlos und ausserdem bin ich in der ersten Nacht in der Wildnis noch unruhig und will freie Sicht auf etwaige wilde Tiere haben.

Aus Rücksicht auf meine Sicherheit und das gute Geruchsorgan der Tier hatte ich schon am späten Nachmittag gekocht und gegessen. Um keine Grizzlys durch den Duft meiner Leckereien ans Lager zu locken, war ich dann noch ein paar Meilen weitergestapft.

An meinem Rucksack scheppert die ganze Zeit bei jedem Schritt der Löffel gegen die Bratpfanne. Eine Vorsichtsmassnahme, um alle Bewohner der Gegend über mein Herannahen zu informieren. Die Nacht gestaltet sich harmonisch: Der Wind säuselt sanft ein Wiegenlied und von wilden Tieren keine Spur.

Am Morgen werde ich mit einem Riesenhunger munter und mache mich daran, ein kräftiges Frühstück zuzubereiten. Nüsse, Haferflocken, Zucker, Rosinen .. eine richtige Kalorienbombe also. 5000 Kalorien will ich mir pro Tag vergönnen.

So vergehen die Tage: Marschieren, reissende Flüsse durchqueren, über Grasbüschel stolpern, langgezogene Schneefelder passieren, kochen, Zelt aufstellen, schlafen. Der Publituk Creek reisst mich fast mit - erst im letzten Moment kriege ich einen Strauch zu fassen und kann mich mit Müh´ und Not ans Ufer ziehen.

WÖLFE UND BÄREN

Langsam dringe ich ins eigentliche Alaska mit seinen tiefen Wäldern und tausend Seen vor. Hier wird auch die Gegend belebter. Zwei Wölfe pirschen sich eines Morgens an mein Lager, auf meine Rufe reagieren sie überhaupt nicht, sondern verschwinden erst, als ich ein paar Schüsse in die Luft abfeuere.

Irgendwo in der Übergangszone zwischen Tundra und Wald habe ich auch meine erste richtige Begegnung mit einem ausgewachsenen Bären: Ich wandere einen ausgetretenen Wildpfad entlang, sehe auch öfters Bärenlosung, als plötzlich aus einem dicht bewaldeten Flusstal ein mächtiger Grizzly herausgetrottet kommt. Ich mache, dass ich von seinem Trampelpfad wegkomme. Er ist sich seiner Vorrangstellung auch bewusst, streift mich nur kurz mit einem Blick, richtet sich dann hoch auf, und beginnt, seinen Rücken am Stamm einer Fichte zu reiben. Er ist so schwer, dass der ganze Baum zittert.

Diese Nacht schlafe ich mit dem Gewehr in der Hand. Doch sie vergeht ohne Zwischenfälle. Der Hauptkamm der Brooks Range liegt vor mir.

Der Bergkamm, der von weitem so einfach und nahe ausgesehen hatte, gestaltet sich im Laufe des Tages zu einem wahren Höllentrip. Andauernd gab es irgendwelche Hindernisse, von Steilfelsen über verräterische Grasbüschel bis zu enorm steilen Geröllhalden.

Es ist Abend und ich mache mich auf die Suche nach einem Lagerplatz. Ich habe gerade einen unübersichtlichen Steinaufbau umrundet, als ich wie angewurzelt stehenbleibe. Dreissig Meter vor mir stehen zwei mächtige Grizzlys.

Nach einer Schrecksekunde mache dann das einzig richtige: Ich rede beruhigend auf die beiden ein, während ich im rechten Winkel von ihnen weggehe, um ihnen zu signalisieren, dass ich ihre Intimsphäre nicht zu verletzten gedenke.


BEGEGNUNG MIT DEM SCHWARZBÄREN

Das ist ja noch einmal gut gegangen, denke ich und wische mir den Angstschweiss von der Stirn, als aus einem bewaldeten Seitental ein Schwarzbär wieselflink herausgelaufen kommt. Als er meiner ansichtig wird, hat er es plötzlich gar nicht mehr eilig, sondern scheint hocherfreut, endlich einen Gefährten gefunden zu haben!! Auch meine Pfanne und der Lärm, den der Löffel verursacht, kann ihn nicht abhalten, es ist Liebe auf den ersten Blick!

Ich nehme die Beine in die Hand und marschiere so schnell ich kann von dannen, immer mit einem Auge auf den zutraulichen Burschen schielend. Er folgt mir unverdrossen, kommt einmal näher, um dann wieder auf dreissig Meter Abstand zurückzufallen. Erst nach etwa einer halben Stunde macht er sich daran, die Nachtruhe anderer Waldbewohner grabenderweise zu stören.

Ich mache, dass ich weiterkomme. Ich will unbedingt zu den Hütten am Tangleblue Creek. Es ist Mitternacht, um vier Uhr früh bin ich da oder besser bei dem, was einmal Hütten waren. Ein Bretterhaufen ist alles, was von den beiden Hütten übrig ist. Deprimiert und niedergeschlagen suche ich Schutz unter einer riesigen Fichte.

Die Bodenverhältnisse werden immer schlechter, nicht selten stapfe ich bis zu den Knien im Wasser. Zu allem Überdruss macht sich ein stechender Schmerz in meinem rechten Sprunggelenk bemerkbar. Ich merke, dass der Fuss bereits deutlich angeschwollen ist. Die Marschfreudigkeit nimmt nach dieser Entdeckung und die Schmerzen bedingt rapide ab.


KLETTERN, KRIECHEN, WATEN

Vor mir erstreckt sich ein langgezogenes Felsband, das nach ca. zehn Kilometern endet und den Blick auf ein weites Tal freigibt. Dort mündet der Allen River in den John River.

Riesige Steine, umgeknickte Bäume und dichtes Gestrüpp bilden eine undurchdringliche Mauer. Der Talboden ist in einem katastrophalen Zustand. Das ganze Gebiet ist, durchzogen von Flussläufen und Rinnsalen, in einem bodenlosen Morast versunken.

Klettern, kriechen, waten, so bewege ich mich weiter wie eine Schnecke und im gleichen Tempo. Andauernd verheddert sich der Rucksack oder das Gewehr. Mein Fuss brennt wie Feuer. Bei jeder Gelegenheit strecke ich ihn zur Kühlung ins Wasser. Nach drei Stunden Schwerstarbeit bin ich kaum weitergekommen.

Es ist bereits weit nach Mitternacht, als ich endlich das Tosen eines Flusses höre. Das muss der Allen River sein! Nach einer weiteren Stunde erreiche ich das Ufer. Die nächste Enttäuschung. Unmöglich, diesen reissenden Fluss mit Gepäck zu überqueren! Starkes Hochwasser, jede Menge Treibgut, hauptsächlich Baumstämme. Noch eine Nacht im Zelt und jetzt stürzen sich zu allem Überdruss Millionen blutgieriger Moskitos auf mich.

Dazu kommt noch mein Fuss, der wirklich übel aussieht. Von den Zehen bis zum Knöchel ist er dunkelblau und geschwollen. Schon die kleinste Berührung schmerzt höllisch. Ich komme zwar in den Schuh, aber kann nicht auftreten sondern humple am Stock dahin. Ich suche verzweifelt eine Furt. Doch es ist nichts zu machen. Verzweifelt spähe ich flussauf und flussab. Es hilft nichts, ich muss schwimmen.

MIT BLUTVERGIFTUNG DURCH DEN ALLEN RIVER

Knapp vor der Mündung in den John River macht der Allen River einen Rechtsknick. Dort will ich es versuchen. Die Strömung wird mich - hoffentlich - ans andere Ufer treiben. Meine Ausrüstung habe ich in einer Astgabel deponiert. Glück im Unglück, wie ein Stück übriggebliebenes Strandgut spült mich der Fluss an Land.

Hier irgendwo sollte doch die Farm von Bill und Lilian liegen? Ich suche und suche, erst nach zwei Stunden Todesangst sehe ich in der Ferne einen Windsack flattern. Dort muss es sein. Ich brauche noch den ganzen Tag. Die beiden können gar nicht glauben, dass ich in der Tauperiode von Anaktuvuk heruntermarschiert bin. Erst als ich meine Flussüberquerung schildere und beschreibe, wo ich mein Gepäck gelassen habe, glauben sie meine Story.

Lilian ist Krankenschwester und schaut sich meinen entzündeten Fuss an und diagnostiziert Blutvergiftung. Das Aus ist für meine Wanderung ist gekommen. Erst zwei Wochen später bin ich transportfähig.

Kalkuliertes Risiko? Glück? Oder liegt der Sinn des Lebens wirklich nur darin, zu überleben und alles andere ist egal?

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Last Updated: Freitag, 14.Oktober 2011
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