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FROSTVIKEN /JÄMTLAND

Ströms Vattudal Kanu

Wildnisabenteuer Ströms Vattudal

 

Das Ströms Vattudal in der nordwestlichen Ecke Jämtlands ist eine Region, die durch ihren Wildnischarakter besticht und in der jeder herausfinden kann, ob er das Zeug zum Trapper in sich hat oder vielleicht doch lieber seine Instinkte im Grossstadtdschungel zur Bewährung einsetzen sollte. Eine Seenlandschaft, die sich über mehr als hundert Kilometer von Gäddede nach Strömsund zieht. Riesige Seen reihen sich aneinander und die Gegend ist durch ihre völlige Wildnis und Abgelegenheit bekannt und wegen der plötzlichen auftretenden Winde auf den großen Seen unter Kanuten berüchtigt. Einsamkeit, Naturerlebnis, körperliche und geistige Herausforderung und nicht zuletzt die Besinnung auf die wahren Werte im Leben machen diese Tour zu einem herausragenden Ereignis. Einem Ereignis, das jeden, der sich darauf einlässt, verändern wird. Diese Veränderung wird, je nachdem, ob wir die Signale der Natur richtig deuten, unweigerlich zum positiven führen.

von Eduard Nöstl


John Steinbeck erzählt in "Früchte des Zorns", wie ein Hund, der vergiftet wurde, durch einen heilsamen Schock aus diesem Vergiftungzustand herausfinden kann: "Du nimmst ihn und hackst ihm den Schwanz ab. Der Schmerz lässt ihn die Vergiftung überleben".

Kanu Ströms VattudalIch muss an diese Sequenz denken, als mich der größte Schock meines bisherigen Lebens unverhofft trifft: Meinem Sohn wird die Diagnose Diabetes mellitus gestellt. Sein Körper ist außerstande, Insulin zu produzieren, daher ist er für den Rest seines Lebens gezwungen, viermal täglich diesen lebenswichtigen Stoff zu injizieren.

Gerade für jemanden wie mich, der nichts so sehr haßt wie Zwang, Zeitplanung oder fixe Termine, scheint diese Aussicht für einen Dreiundzwanzigjährigen unvorstellbar. Mehrere Tage lang bin ich extrem fertig und völlig unansprechbar. Da fällt mir die Einladung, nach Frostviken zu kommen und eine Kanutour durchs das Ströms Vattudal zu machen, ein.

Wer die Tour durch das Ströms Vattudal durchzieht, wird mit einem Selbstvertrauen ausgestattet sein, das ihn im weiteren Leben begleiten wird. Mit Selbstvertrauen, das mit Achtung und einer völlig neuen Einstellung zum Mitmenschen gepaart sein wird. Einer Einstellung, die den Mitmenschen vielleicht zum ersten Mal nicht nur als lästigen Konkurrenten, sondern als Nächsten erkennen wird.

Große Worte? Pathetisch? Ich glaube nicht. Eher ist es wohl so, dass das Leben, wenn wir es zur Neige auskosten, pathetisch ist. Wie ein Country & Western Song von Hank Williams. Es geht eben ans Eingemachte und das ist aufregend, traurig, vielleicht pathetisch, aber niemals unecht.

Ob diese Tour eine lebensbejahende Kur für mich sein kann? Genauer gesagt: wird es mir gelingen, den Schmerz über die Diagnose meines Sohnes durch Angst auszulöschen oder wenigstens in etwas Positives verwandeln?

Kurz entschlossen sage ich ja zu dieser Tour und mache mich auf in die Wildnis. Die Anreise geschieht über Stockholm und Sundsvall - in meinem Zustand des Schocks möchte ich nicht auf dem Inlandsvägen fahren, zu einsam und abgelegen mutet er mich an.

Kurz vor Strömsund steigt ein Autostopper zu. Ein Zeitsoldat, der eben eine Bewährungsprobe für seine "Feldjägerausbildung", eine Art "Green Berets" der schwedischen Armee, bestanden hat. Er war mit einer Gruppe Soldaten eine Woche lang in der Wildnis unterwegs gewesen und das ohne Proviant. Ziel dieses Marsches war es, herauszufinden, wie viel der Mensch eigentlich aushält. "Der Mensch hält viel mehr aus, als er eigentlich glaubt," ist sein lakonischer Kommentar, ehe ihm die Augen zufallen und bis Strömsund kein Wort mehr geäußert wird. Ich nehme diese Begegnung als gutes Zeichen und nehme mir vor, auch mir zu beweisen, dass der Mensch mehr aushält, als er glaubt.

Die Strecke von Strömsund nach Gäddede ist 133 km lang. Kaum ein Haus, kein Dorf, nur Wald und das silberne Band der Strasse. Wenn mir auf der ganzen Strecke zehn Autos begegnen, sind es bereits viele. Immer wieder öffnet sich zur Linken der Blick ins Tal und aufs Wasser. Wüßte ich es nicht besser, würde ich meinen, ein Fjord tut sich da unten auf. So groß sind die Seen.

Ströms Vattudal GäddedeIn Gäddede angekommen ist es bereits Abend geworden. Kein Lüftchen regt sich, trotzdem es bereits Ende August ist steht die Sonne jetzt am Abend noch hoch am Himmel. Einige verspätete Mücken taumeln durch die laue Luft. Da ich allein unterwegs sein werde, habe ich mir einen Kajak bestellt. Ich traue meinen Augen nicht, als mir am Campingplatz von Gäddede, malerisch gelegen am See Kvarnbergsvattnet, das Ding angeboten wird.

Der Kajak muss aus den Fünfzigerjahren sein. Weiß und anscheinend aus Sperrholzplatten zusammengefügt. Kein Sitz, kein Platz fürs Gepäck. "Ein Rennkajak", meint Mona lächelnd. Ein ebenso vorsintflutliches Paddel gehört dazu. Eine Isomatte wird zusammengerollt und soll mir als Sitz dienen. Was tun? Ich will die Leute, die sich so offensichtlich anstrengen, nicht vor den Kopf stoßen, bitte daher um eine Probefahrt. Kaum habe ich Platz genommen schon dreht sich der Kajak und um ein Haar lande ich im Wasser.

Mein Bedarf an Abenteuern ist zwar nicht gedeckt, aber ich bin auch nicht lebensmüde. Ich weiß, wie schnell die Bergseen, die eben noch still daliegen, sich in ein brausendes Inferno verwandeln können. Nein danke. Ich entschließe mich zur Fahrt in einem Kanu. Zwar bin ich mir bewusst, dass der Kajak am schnellsten vorankommt, gefolgt von einem Kanu mit Zweierbesatzung und ein Mann im Kanu wirklich die Schnecke ist, doch nehme ich lieber längere Paddeltage in Kauf, als ein Festsitzen irgendwo in der Wildnis und untätiges Warten auf ein Abflauen des Windes.

Ulla hilft mir, das Kanu zum Ausgangspunkt zu transportieren. Da ich allein unterwegs sein werde, beschließe ich, diesmal wirklich nur das Allernotwendigste mitzunehmen. Dieses wiederum muss in einem echten, wasserdichten Seesack, den ich nur für diese Fahrt erstanden habe, Platz finden. Dazu der Trangiakocher, das Zelt , Schlafsack und Liegematte sowie das Kanuwägelchen für den einzigen Landtransport über einen Damm nach ungefähr der halben Strecke. Ich belade das Kanu so, dass ich es quasi umdrehe und auf dem Sitz Platz nehme, der normalerweise für den Vordermann gedacht ist. Wie wir bereits in unserem Kanu 1x1 beschrieben haben, ist es bei Einmanntouren wichtig, dass die Gewichtsverteilung stimmt, das heißt, sich die Gewichtsverteilung auf die Mitte konzentriert.

Hötögeln KanuKanuwägelchen und Lebensmitteln werden im "Vorschiff" verstaut, während Zelt, Fotoapparat und Kocher hinter mir wohl verwahrt liegen. Alles wird mittels Leine lose aneinander geknotet, sodass nichts abhanden kommen kann, sollte das Kanu kippen. Ach ja, diesmal handelt es sich um ein nagelneues Trapperkanu 425 vom Campingplatz in Gäddede. Schwimmweste und zwei Paddeln vervollständigen die Ausrüstung. Wasser? "Unsere Seen haben alle Trinkwasserqualität. Wir trinken Seewasser auch in unseren Leitungen", erklärt Ulla stolz.

Um neunzehn Uhr dreissig heißt es "Leinen los, wir fahren". Es ist schon ein tolles Gefühl, so allein in den Sonnenuntergang hineinzupaddeln. Dieser erste See ist der Hetögeln, etwa zwanzig Kilometer lag und an die vier Kilometer breit. Die Gegend ist die typische Fjällregion, weit und riesig, blaue Berge begrenzen den Horizont an allen Seiten. Die Ufer sind relativ steil und bis zum Wasser bewaldet.

Wie sehr meine Nerven mitgenommen sind, merke ich nach etwa zehn Minuten Fahrt, als mich ein untrügliches Gefühl, etwas wichtiges vergessen zu haben, überfällt. Ich überlege kurz, was das wohl sein kann. Brennspiritus? Ist da. Zünder? Sind im Kocher wasserdicht verpackt. Kulturbeutel? Fehlt. Okay, damit kann ich leben. Unterwäsche? Fehlt. Was noch? Ich lege die Hand an meine Seite, wo sonst immer das Fahrtenmesser hängt. Diesmal tastet meine Hand ins Leere. Das Messer, mein ganzer Stolz, fehlt. Was tun? Umkehren? Ich blicke kurz zurück zu den Lichtern von Gäddede, die bereits ziemlich weit hinten blinken wie verlorene Sterne eines fremden Planeten. Zu spät. Es muss auch ohne Messer gehen. Wahrscheinlich habe ich sowieso irgendwo mein Taschenmesser. Sonst muss ich mich eben mit dem Streichmesser begnügen.

Wo ist eigentlich der Spaten? Der liegt noch wohl verwahrt im Kofferraum des Wagens. Auch egal, dann wird der Spatengang eben ohne Spaten zu absolvieren sein. Ist zwar beschämend, wo ich doch sonst ein großer Verfechter des umweltfreundlichen Hantierens der menschlichen Bedürfnisse bin, des naturgetreuen Verhaltens, doch was nicht da ist, ist nicht da. Immerhin zünde ich nach dem Gebrauch das Papier an, eingedenk der Empfehlungen von Claes Grundsten, dem großen schwedischen Alpinisten, Fotografen und Chroniker des Kungsleden.

Ich knie mich im Boot hin und versuche den J-Stroke. Ich hatte ja in den letzten Wochen reichlich Gelegenheit, diesen schwierigen Schlag zu üben. Ich entsinne mich der beiden Männer, die uns auf der vorigen Tour begegnet waren und die diesen Schlag perfekt durchgeführt hatten. Das einzige, was ich perfekt beherrsche, ist, bei jedem Schlag an der Bordwand anzukommen, was binnen kurzem in einer aufgescheuerten Hand resultiert. Mir wird zum ersten Mal klar, dass Ulla vielleicht gar kein Kompliment machen wollte, als sie sagte: "Allein willst du die Tour machen? Du bist ein echter Trapper", sondern das wirklich gemeint hatte, da sie ja die Gegend kennt.

Vielleicht ist hier ein Wort der Klarstellung angebracht. Ich bin nicht nur nicht tapfer, sondern eigentlich falle ich wohl unter die Kategorie der Softies. Das äußert sich bei mir darin, dass ich am Abend nicht einmal gern in den Keller hinuntergehe. Hat wohl mit einer Kindheitserlebnis zu tun, als ich Kohlen holen sollte und plötzlich Aug' in Aug' mit einer großen grauen Ratte da stand, die nicht bereit war, mir Platz zu machen, worauf ich Kohleneimer fallen ließ, und laut schreiend die Stiegen in den vierten Stock zur Wohnung meiner Eltern hinaufstürmte und ab dem Zeitpunkt nie mehr zu später Stunde in den Keller ging. Ich sollte auf dieser Fahrt noch genügend Gelegenheit haben, mich mit Nagetieren aller Art wenn schon nicht anzufreunden, so doch abzufinden.

Um halb zehn Uhr scheint mir der Zeitpunkt günstig, mich nach einem Zeltplatz umzusehen. Schon nach fünf Minuten komme ich zu einer Landzunge, die mir ideal erscheint. Sandstrand zum anlegen, dann eine Böschung von vielleicht einem Meter und oben eine ebene Fläche gesäumt von Weidenbüschen. Ich lege an. Perfekt. Am Strand liegen einige Pelzreste. Erst bei genauerem Hinschauen sehe ich, dass es sich dabei um Lemminge handelt. Aha, heuer dürfte also ein typisches Lemmingejahr sein, wenn diese Tierchen vielleicht aufgrund von Übervölkerung haufenweise zum nächsten See ziehen und sich ins Wasser stürzen um andere Ufer zu gewinnen. Leider überschätzen die meisten ihre Kräfte und ertrinken auf dem Weg zu einer neuen Zukunft.

Ich baue das Zelt auf und nehme wohlweislich alle Lebensmittel ins Zelt mit. Eine richtige Entscheidung, denn ich habe einen Camembert mit, der seit Verlassen des Kühlschranks eine Duftnote entwickelt, die wohl nur die Nase des wirklichen Käsegourmets erfreuen kann. Da Mäuse als Käseliebhaber bekannt sind, muss ich diese Delikatesse wohl wirklich gut schützen. Kein Wunder, dass ich am nächsten Morgen nach Verlassen des Zelt eine ganze Familie Lemminge entdecke, die plötzlich unter dem Zelt hervorwuseln. Hübsche Tierchen mit ihrem weichen, braunen bis hellbraunen Pelz.

Hötögeln KanuHatte ich mich am Abend vorher noch über den Blick auf die Insel gefreut, die vielleicht etwa zwanzig Meter von meinem Lagerplatz entfernt im See lag, so kann ich heute keine Insel entdecken. Nebel. Dichte, undurchdringliche Nebelsuppe, enorm. Na gut, Nebel bedeutet Schönwetter. Es wird schon aufreißen. Merkwürdig, dass die morgendlichen Tätigkeiten von Frühstück bis zum Zeltabbauen und Verstauen immer zwei Stunden in Anspruch nehmen, egal, wie schnell und effektiv man auch arbeitet. Das heißt, morgen muss ich unbedingt früher aufstehen.

Überhaupt will mir scheinen, dass ich gestern zwar vielleicht dem Bild, also der Vorstellung des Trappers entsprochen habe und auch beim J-Stroke, wenn auch mehr schlecht als recht, mich emsig bemüht habe, dass ich aber dieses Bild leicht ankratzen werde müssen, wenn ich nicht den Rest des Monats hier entlangschnuckeln will. Daher gewöhne ich mir beim Paddeln einen Rhythmus an, den ich bis Strömsund durchhalten werde: fünf Schläge rechts, fünf Schläge links, Stil hin Stil her. Zählen tut allemal die Effektivität. Schön gestorben ist auch gestorben. Immerhin knie ich im Kanu und das erleichtert das Paddeln ungemein, auch wenn ich mich später bei schwierigen Manövern lieber hinsetze. Da ich merke, wie die Knie sich gegen die ungewohnte Belastung sträuben, lege ich das Regenzeug unter. Das Handtuch wird darüber gebreitet und siehe da, jetzt geht es richtig prima.

Meine Kalkulation geht auf. Bereits nach einer Stunde kommt die Sonne durch und um elf wölbt sich ein strahlend blauer Himmel über mir. Ich komme noch an zwei schönen Lagerplätzen vorbei, dann verlasse ich das Westufer und kreuze hinüber zum Ostufer ungefähr auf der Höhe von Häggnäset. Als Karte dient mir die "Röda Kartan" Nummer 18 Strömsund mit dem Maßstab 1:250000, daher sind also ein Zentimeter 2,5 km in Wirklichkeit. Mit dem Lineal des Kompasses messe ich immer wieder die Entfernungen, um einen halbwegs annehmbaren Tageskurs greifbar zu machen.

Pause an einer engen Stelle des Sees nach Håkafot. Hier überspannt eine Seilwinde zum Holztransport die Seeenge. Das Wasser ist glasklar und ich fühle mich geborgen und stark. In der Seeenge zwischen Hetögeln und Fogelsee kommt Gegenwind auf. Das ist ein Phänomen, das auf dieser Tour immer wieder eintritt. Sobald die Seen enger werden, pfeift der Wind. Und immer aus der Gegenrichtung. Wie beim Radfahren in Lund. Egal, in welche Richtung du unterwegs bist, immer hast du Gegenwind.


Kalberget Ströms Vatttudal KanuAm Südufer sehe ich schon von weitem zwei Kiefern aufragen auf einer Landzunge, davor eine Bucht. Wie geschaffen für eine Pause. Eine Semmel mit Camembert und dazu eine Tasse Tee, als Nachtisch schmeckt ein Apfel. Linkerhand ragt der Kalberget, das Wahrzeichen der Gegend auf.

Der Fogelsee ist ein langgestreckter See von 35 Kilometer Länge, der im unteren Drittel ziemlich eng wird, etwa fünfzig Meter stellenweise. Irgendwie dürfte sich da ein Windkanal bilden, durch den der Wind gehörig durchpfeift. Das mag dem Segler Spaß machen, für den Kanuten bedeutet das gehörige Mehrarbeit.


Fogelsjön KanuDie Natur entschädigt mich für die Anstrengung. Trotzdem ich ganz gehörig arbeiten muss, bleibt mir genug Zeit, mich an der ursprünglichen Natur zu erfreuen. Kein Haus weit und breit, keine Menschenseele. Dafür viele Inseln, bewachsen mit der Bergkiefer, deren Baumkrone oft Raubvögeln zum Nestbau dient, so höre ich ein erbostes Pfeifen und ein riesiger Fischadler stürzt sich aus dem Nest um den ungebetenen Eindringling zu inspizieren. Anscheinend erkennt er in mir den unbedarften Touristen auf der Durchreise, denn er zieht ab, nicht ohne mir noch einmal eine Warnung zuzurufen: "Komm bloß nicht näher, weil dann setzt es etwas".

Ich werd' mich hüten. Ich genieße die Umgebung. Es ist wildromantisch. Wilder und ursprünglicher als alles, was ich bisher in Schweden gesehen habe. Zerklüftete Ufer, überstreut mit riesigen Felsblöcken, dazwischen immer wieder Kiefern. Enorm viele wunderbare Übernachtungsplätze bieten sich an. Das Wetter hält durch und die Sonnenstrahlen glitzern und brechen sich in den kleinen Wellen des Sees. Trotzdem ich hier zum ersten Mal das Gefühl des Ausgesetztseins, der Geworfenheit, habe, ist dieser Zustand nicht bedrohlich, sondern eher macht sich ein Gefühl der Geborgenheit breit. Eingebettet in diese wilde, phantastische Natur fühle ich mich anerkannt, aufgenommen, akzeptiert. Oder ist es nur eine Fata morgana, verursacht durch die tanzenden Sonnenstrahlen auf dem Wasser, die mich freundlich und positiv stimmt und meinen Gedanken Ablenkung gewährt?

Ich verlangsame meine Paddelschläge und lasse mich kurzfristig treiben. Doch nur kurz, denn sofort dreht sich mein Kanu im Wind und heftiges Schaukeln setzt ein. In der Natur bist du lieber voll da und konzentriert. Immer noch geht es ums Überleben und du landest schneller im Wasser als du glaubst, wenn du nicht acht gibst. Das Modewort der Achtsamkeit fällt mir ein. Es ist schon richtig, Achtsamkeit ist vonnöten, wenn du überleben willst. Die Wahrnehmung wird in der Natur geschärft und du bist voll konzentriert, denn du hast immer irgendetwas zu beachten. Träumen kannst du im trauten Zimmer in der Großstadt.

Um fünf Uhr komme ich zur Wehr von Bågede. Auf der Karte ist sie als Sjulsåsen eingezeichnet. Bis hierher hat der Kanute Zeit zu überlegen, ob er sich zu viel zugemutet hat oder ob er die Fahrt abbrechen will. Nach der Wehr beginnt das Abenteuer.

Bågede Ströms Vattudal KanuDoch so weit ist es noch nicht. Neben der Wehr befindet sich ein wunderschöner ebener Lagerplatz mit Feuerstelle, wo eine freundliche Seele auch genügend Feuerholz, bereits zerkleinert, aufgeschichtet hat. Ich brauche nicht lange zu überlegen, hier bleibe ich für die Nacht. Ich fühle mich rechtschaffen müde, bin ich doch seit acht Uhr unterwegs. Trotzdem will ich mir anschauen, wo ich morgen das Kanu wassern werde. Dem Führer nach sind es etwa fünfhundert Meter an der Wehr vorbei. Ich spaziere den Waldweg entlang und komme zu einer kleinen Halbinsel, wo ein schönes Forsthaus steht. Einige Männer verladen gerade ihr Gepäck in einen Jeep. Einer kommt auf mich zu und fragt mich freundlich nach dem woher und wohin.

Es ist der Jagdaufseher von Holmen, einem der riesigen schwedischen Forst- und Papierbetriebe, die vor vielleicht hundert Jahren die ganzen Wäldern aufgekauft haben und heute daraus Zeitungspapier für ganz Europa herstellen. Als "Fringe benefit" für die leitenden Angestellten gibt es das Jagdrecht und die Wochenenden in diesen Forsthäusern, wo sich die höchsten Bosse ungezwungen miteinander unterhalten können und in der Sauna den Menschen rauslassen. Vielleicht sind die schwedischen Firmen darum so unkonventionell und demokratisch organisiert.

Der Aufseher erzählt, dass seine Gäste morgen nach Jormlien fahren und Schneehühner jagen werden. Ach ja, morgen beginnt die Schneehunhnjagdzeit. Wie schnell man doch solche wesentlichen Sachen vergisst.

Wieder zurück am Kanu stelle ich in Ruhe das Zelt auf und koche mir Tee. Aus dem Gepäck hole ich meine Reiselektüre hervor. Jean Jacques Rousseau: "Die Träumereien des einsamen Spaziergängers". Auf Geratewohl schlage ich das Buch auf. Mein Blick fällt auf einen Satz, der mich sofort anspricht: "Ich lernte das Joch der Notwendigkeit ohne Murren ertragen". Ist es nicht genau das, weswegen ich mich auch hier befinde? Ist nicht der ganze Sinn dieser Reise in die Wildnis, "back to nature" einzig und allein unter dem Ziel zu verstehen, die grimmige Laune des Schicksals, die meinen Sohn mit einer unheilbaren Krankheit geschlagen hat, zu ertragen lernen?

Ich sitze noch lange in den Strahlen der untergehenden Sonne. Ein leises Lächeln spielt um meine Lippen. Vielleicht habe ich soeben eine große Erkenntnis zumindest aufgenommen. Wenn es mir gelingt, sie zu internalisieren, sie zu meiner Überzeugung zu machen, werde ich vielleicht geläutert und stark von dieser Reise zurückkehren. Stark genug, um meinen Sohn die Stütze zu sein, die er jetzt und in Zukunft brauchen wird. Das Joch der Notwendigkeit ertragen. Nicht auflehnen gegen die Launen des Schicksals, sondern Akzeptieren des Unumgänglichen.

Hier in Bågede schlafe ich wie in Abrahams Schoss. Nach einer ruhigen Nacht gelingt es mir auch, die Vorbereitungszeit des morgendlichen Ablaufs um eine Stunde zu verkürzen, wodurch ich bereits um sieben Uhr mein Kanu auf das Wägelchen verfrachten kann und es mit allem Gepäck die fünfhundert Meter zur Wasserungsstelle schieben kann. Auch das Wassern gestaltet sich einfacher, als ich dachte und um acht Uhr bin wieder unterwegs. Gestern hatte ich noch kurz die Karte studiert und weiß daher, das jetzt der eigentliche abenteuerliche Teil meiner Fahrt beginnt.

Torsfjärden Kanu Ströms VattudalDer Torsfjärden ist hier recht schmal, eigentlich wie ein großer Fluß. Es ist echt schön mit den vielen kleinen Inseln, dem flachen Wasser und wenn die Gegend nicht so einfach und ausgesetzt wäre, könnte man sie lieblich nennen. Speziell ein Abschnitt ist mir in Erinnerung geblieben: Der Torsfjärden wird ganz schmal zwischen Inseln, die sich rechts und links erheben du fährst mit deinem Kanu in der Mitte durch und musst aufpassen, dass du nicht auf einen Stein aufläufst. Das Wasser bildet einige Wirbel und es heißt gehörig paddeln, damit dich die Wirbel nicht spielerisch im Kreise drehen. Kurz darauf sehe ich das erste und einzige Zelt mit dazugehörigem gelbem Kanu auf einem wunderschönen Plätzchen . Es ist noch zu früh am Tag daher schlafen die Bewohner noch und ich gleite leise vorbei, um sie nicht zu wecken.

Ich halte mich ans linke, also ans Ostufer, denn dadurch vermeide ich die breite Stelle hinter der Insel Storön. Hier ist es doch recht einsam und ich möchte nichts tun, was einem Risiko gleichkommt. Die Fahrt an sich ist bereits Risiko genug. Das mag merkwürdig erscheinen für einen, dem alle psychologischen Tests eine außerordentliche Risikobereitschaft nachsagen, doch halte ich mich strikt an meine Grundregel des Überlebensprinzips. Und dazu gehört nun einmal, nichts zu tun, was das Überleben gefährden könnte.

Daher laufe ich auch erfreut einen Windverschlag an und gedenke hier meine zweites Frühstück einzunehmen. Eine kleine Sandbank macht das Anlegen einfach, wie immer laufe ich verkehrt meinen kleinen "Hafen" an, denn dadurch ist die Spitze des Kanus nach außen gerichtet und ich hole mir beim Aussteigen keine nassen Füße, da das Wasser hier nie die Schafthöhe meiner Stiefel übersteigt. Das ist übrigens ein guter Trick: Immer die Stiefel griffbereit haben und beim Aussteigen anlegen, denn dadurch steigst du trockenen Fußes an Land.

Ich ziehe das Kanu noch ein Stück hinauf, dann spaziere ich das Ufer entlang. Merkwürdig, ist da jemand bloßfüßig gegangen? Vor mir im Sand zeichnet sich ein kleiner Fuß ganz deutlich ab. Da ist das Fussbett, der Ballen und die Zehen - und da ist noch etwas davor, uiuiui, das sind - Krallen. Ein Bär hat hier seinen Morgenspaziergang absolviert. Wohl auf der Suche nach etwas Essbarem. Vielleicht hatten frühere Besucher des Windverschlags hier einen Fisch ausgenommen oder andere Speisereste zurückgelassen und Meister Petz hatte sich eine Gratismahlzeit geholt. Und kommt seither immer wieder mal vorbei, um Ausschau zu halten nach etwas Abwechslung im Speiseplan.

Svaningsjön Kanu Ströms VattudalKeine Minute später sitze ich wieder im Kanu und mache, dass ich hinaus auf den See komme. Rechterhand erhebt sich der Berg Rönnhögen. Der See Svaningssjön ist sechzehn Kilometer lang und etwa zweieinhalb Kilometer breit. Hier ist wirklich Wildnis. Kein Haus, kein nichts, nur ich und mein Kanu auf den Wellen des Sees. Ich bleibe am linken Ufer, denn das ist nicht so zerklüftet. Dafür kommen mir die Wellen hier geradewegs entgegen. Das Paddeln artet hier in Arbeit aus. An ein Knien ist nicht mehr zu denken, sondern ich sitze im Kanu und paddle, was das Zeug hält. Um zwölf Uhr bin ich an der Einfahrt zum Linjevikfjärd. Das schwedische Wort Fjärd bedeutet soviel wie das norddeutsche Förde, also Bucht, Meerenge, ist hier heroben ein schmaler, langgezogener Teil eines Sees.

Wo diese Förde ganz eng wird entdecke ich rechterhand eine große Bucht mit zwei riesigen Kiefern, deren Wurzeln weit in die Luft ragen über der Böschung. Auch hier steht ein Holzverschlag. Die Bucht ist sandig und nachdem ich mich genau nach ungebetenen Gästen umgesehen habe und auch den Sand genau inspiziert habe, verlasse ich mein Kanu und nehme einen kleinen Imbiss in Form von Suppe und Tee zu mir.

Weiter vorne sehe ich das Kräuseln des Wassers und weiß, dass dort wieder ein hartes Stück Arbeit auf mich wartet. Es ist wirklich erstaunlich, wie rasch sich die Bedingungen auf dieser Fahrt in den Bergseen ändern.

Eben hast du noch einen spiegelglatten See und du freust dich über die Ruhe und die Sonne, schon kräuselt sich der Spiegel und du kämpfst mit den Wellen. Hier macht sich zum ersten Mal eine Eigenschaft des Wassers bemerkbar, mit der ich eigentlich nicht gerechnet hatte. Die Sonnenstrahlen sind zwar sehr nett anzusehen, wenn sie auf dem Wasser blinken, doch werden dadurch die Augen einer doppelten Belastung ausgesetzt, teils durch die Sonne selbst und teils durch die von Wasser gebrochenen Strahlen. Das Resultat sind tränende Augen.

Kommt dann noch der starke Gegenwind hinzu, setzt ein Brennen in den Augen ein, dass ich zeitweise völlig blind bin und in einer Bucht Schutz suchen muss, weil ich einfach nichts mehr sehe. Ich binde mein Halstuch um die Augen und warte, dass der Schmerz nachläßt und das Tränen aufhört. Die Sonnenbrillen liegen natürlich im Auto. Wieder eine Lehre gezogen. Schließlich setze ich mein Käppi auf und ziehe den Schirm recht tief in die Stirn. Zum Glück fahre ich nicht mehr auf die Sonne zu, sondern kann die Augen schonen. Äußerst unangenehm ist das. Sachen gibt es, an die man wirklich nicht denkt.

Der Linjevikfjärden ist ein riesiger See (15 km mal 4 km) und geht nahtlos in den Dragan (31 km mal an seiner breitesten Stelle sechs km) über, der noch größer ist. Nicht nur lang gestreckt, sondern auch breit und ohne schützende Inseln. Jetzt heißt es ordentlich aufpassen, denn der Wind wird unangenehm stark und die Wellen haben Schaumkronen. Nach der Karte kommt ein Kap und dahinter der Gärdviken, eine lange Bucht, die sicher noch mehr Angriffsfläche für den Wind bietet. Da muss ich nicht unbedingt mit meiner Nussschale drüber. Daher beschließe ich, ans Westufer zu queren. Das ist das abenteuerlichste Stück der ganzen Reise. Der Wind ist inzwischen so stark, dass ich nur auf der rechten Seite paddeln kann und das mit höchster Kraft, damit das Kanu auf Kurs bleibt. Es ist keine Pause oder nicht einmal ein Nachlassen der Paddelschläge möglich, denn dann dreht sich das Kanu sofort mit dem Wind und den Wellen mit.

Immer wieder klatscht der Vorsteven auf einen Wellenkamm aber die Trapperkanus sind so gebaut, dass sie so gut wie nie Wasser aufnehmen, da sie obenzu nach innen gebogen sind und dadurch das Wasser nicht reinschwappen kann. Tolles Training ist das. Allerdings - ein paar Windstärken mehr und ich könnte nicht mehr weiter. Das würde bedeuten, irgendwo Schutz zu suchen und abwarten, bis der Wind nachläßt. Das ist nun etwas, womit ich mich so gar nicht anfreunden kann. Untätig irgendwo herumsitzen, allein mit meinen Gedanken, das ist nichts für mich. Lieber hinaus und dem Wind die Stirn bieten.

Linjevikfjärden/Dragan kanuNach einer halben Stunde heftigster Gegenwehr habe ich das andere Ufer erreicht. Es ist sechzehn Uhr geworden und ich sitze seit acht Stunden im Boot. Hagebuttensuppe und Tee helfen mir meine Kräfte wiederzufinden. Auf der gegenüberliegenden Seite leuchtet weiß die Kapelle herüber. Kap bedeutet wahrscheinlich Kapelle und nicht Kap, wie ich irrtümlich angenommen habe.

Der Dragansee ist nur groß allein. Keine Inseln, sondern ausschliesslich Wasser. Ich taste mich am Ufer entlang, jetzt wieder kniend, einige Gehöfte tauchen am Seeufer auf und verschwinden gleich wieder. Hillsand und auch Vedjeön. Hier sind einige schöne Lagerplätze zu sehen. Ich sehe mir die Karte an und erkenne, dass ich wieder auf die andere Seite muss, um bei Äspnäs an der schmalsten Stelle an sichere Gestade zu kommen. Auf der rechten Seite erweitert sich der See mit großen Buchten und trifft auch auf den See Ösjön. Das muss ich nicht unbedingt haben, sondern ich bleibe auf dem linken Ufer und habe dadurch eine relativ gerade Strecke.

Die letzte Etappe des heutigen Tages belohnt mich mit einem herrlichen Sonnenuntergang. Mit den letzten Strahlen der Sonne gelange ich ans Ufer. Durch den Gegenwind habe ich vier Stunden länger gebraucht als geplant. Das Zelt ist bald aufgestellt, leider ist das Ufer ziemlich abschüssig, doch ich finde einen großen Stein, an den ich das Zelt anlehnen kann, und so habe ich für meine Füße eine Gelegenheit mich abzustützen, wodurch ich beim Liegen nicht nach unten rutsche. Ein schnelles Abendbrot und dann, nach zwölf Stunden Paddeln, ab ins Reich der Träume.

Das eintönige Trommeln von Regentropfen aufs Zelt weckt mich. Es ist halb sechs Uhr. Aufgestanden und Tee gekocht. Abfahrt sieben Uhr. Zuerst ist die See angenehm ruhig, dann wird es wieder anstrengend, aber nicht wie am Vortag. Eigentlich ist nur die enorme Weite etwas deprimierend, denn es ist kein Ende auszumachen. Eine Bucht reiht sich an die nächste. An ein Abkürzen über die offene See ist nicht zu denken, dazu ist der Wind zu stark und bläst mir die Regentropfen waagrecht ins Gesicht. Lieber etwas länger unterwegs und dafür sicher. Wieder die gleichen Probleme mit den Augen wie gestern, verursacht durch den starken Wind. Immer öfter bleibe ich stehen, um das Wasser mit dem Schwamm abzuschöpfen.

Ströms Vattudal KanuDa bleibt mir auch die Gelegenheit mich umzusehen und ich bin erstaunt, wie riesig der Dragan ist. Weit am rechten Horizont sind noch Inseln auszumachen, die sicher wert wären, begutachtet zu werden. Für diese Tour durch das Ströms Vattudal sollte man mindestens sieben Tage, wenn nicht sogar zehn veranschlagen. Dann wird man diese Strecke so richtig genießen können. Allein hier herunten sollten einige Tage eingeplant werden, um der Gegend gerecht zu werden. Die vielen Inseln, die jungfräulich daliegen, zu besuchen, zu angeln und am Abend den Fang auf dem offenen Feuer zubereiten.

Noch eine große Bucht ist zu queren dann komme ich nach Äspnäs. Ein merkwürdiger Ton schreckt mich nach einiger Zeit aus meiner Konzentration. Es tönt wie der Schrei eines Pfaus, nur lauter und nicht so schrill. Bald schon komme ich näher heran und sehe auf einem Feld einen riesigen Vogel seinen Kopf in die Luft recken und diese merkwürdigen Töne von sich geben. Ein Kranich trompetet seine Lebensfreude in die Gegend.

Weit vor mir im Nebel ist eine Landzunge zu erkennen. Allein bis dahin ist es eine Tagestour. Noch eine Bucht. Ich schlucke jetzt Aspirin und esse Marmelade aus dem Glas. Ich bin zu müde um Tee zu kochen. Die Anstrengungen der letzten Tage werden spürbar. Stunde um Stunde geht es von einer Bucht zur nächsten. Auf einmal werde ich gewahr, dass sich der See wieder verjüngt hat. In meiner Konzentration hatte ich total übersehen, wie das gegenüberliegende Ufer plötzlich näher gerückt ist. Es häufen sich die Sommerhäuser am Ufer, doch keine Menschenseele ist zu sehen. Wo bin ich eigentlich? Keine Strasse ist auszumachen, obwohl nach der Karte eine am Ufer entlang führen sollte.

Meinem Plan nach sollte ich heute in Strömsund ankommen. Ob ich es schaffen werde? Der See scheint kein Ende nehmen zu wollen. Zum Glück hat der Wind nachgelassen. Wieder eine Landzunge. Da vorn - dort muss eine Strasse sein, ein Holz - LKW fährt da. Und ein PKW und noch einer. So belebt ist keine Nebenstraße. Ob das die Inlandsstrasse ist? Noch eine Biegung des Sees. Der LKW fährt übers Wasser. Das muss die Brücke von Strömsund sein. Die letzten Kilometer knie ich wieder wie ein alter Trapper im Kanu. Aufrecht und stolz auf meine Leistung fahre ich unter der Brücke durch und in Strömsund ein, wo keiner Notiz von mir nimmt.

Links hinter der Brücke ist die Anlegestelle für Kanus, gleich in der Nähe die Busstation für den Bus nach Gäddede. Auf dem Parkplatz steht ein großes Wohnwagengespann mit Hamburger Kennzeichen. Ein Mann steigt aus. "Hummel, hummel," rufe ich ihm zu. Er lacht und kommt näher. Es handelt sich um die eine Hälfte eines rüstigen Ehepaars, die bereits seit vierzig Jahren Schwedenurlaub machen. Jetzt kommen sie gerade über die Wildnisstrasse, letzte Nacht waren sie an den Treppenfällen von Saxnäs.

In der Pizzeria am Bushaltestelle trifft sich die Dorfjugend von Strömsund. Ich nehme Platz und bestelle eine Pizza Indiana und eine Cola. Am Nebentisch führen vier Taubstumme eine angeregte Unterhaltung in der Zeichensprache. Wie überall sind die Betreiber der Pizzeria Ausländer, hier anscheinend Libanesen. Eine riesige Pizza wird serviert. Schwergewichtige Jungens kommen herein und schaufeln gewaltige Portionen in sich hinein. Uralte amerikanische Schlager plärren aus den Lautsprechern.

Im Warteraum sitzt ein Alkoholiker. Mein Herz ist weit und ich könnte die ganze Menschheit umarmen. Das Gespräch führt zu nichts, da sich mein Gesprächspartner nicht der Worte entsinnen kann, die er mir mitteilen möchte. Daher beschränkt er sich auf weitläufige Gesten und das typisch schwedische Jaha. Mir genügt sein Lächeln. Alles verstehen ist alles verzeihen sagt Voltaire.

Kanu Ströms VattudalMir wird klar, dass uns bei der Begegnung mit Menschen das positiv auffällt, wie wir selber gerne wären und negativ, wie wir uns fürchten zu sein. Ich fühle mich stark und voller Selbstvertrauen. Stark genug, das Joch der Notwendigkeit zu schultern, vertrauensvoll genug in die Stärke meines Sohnes, dass er sein Schicksal meistern wird. Die Kanutour auf dem Ströms Vattudal hat ihren Sinn erfüllt. Sie hat mir meine Grenzen gezeigt, aber auch, wie viel der Mensch zu leisten imstande ist. Thomas Manns Buch "Der Zauberberg" heißt auf Schwedisch "Bergtagen", also von den Berggeistern verzaubert. Mich hat diese Kanutour durch das Ströms Vattudal "Vattutagen". Bezaubert durch die Schönheit und Wildheit der Wälder und die Vielfalt der Wasser, verloren in der Einsamkeit, gefunden in der Achtsamkeit gegenüber dem Anderen, belohnt durch das Überwinden der Angst und das Annehmen der Notwendigkeit.

Kanutour Ströms Vattudal:
Länge: Gädddede - Strömsund, ca. 110 km (kann in Ankarede am See Stora Blåsjön begonnen werden, noch siebzig Kilometer dazu).
Charakteristik: Wildnistour. Wegen der labilen Windverhältnisse und Ausgesetztheit nicht für Anfänger oder untrainierte Personen.
Beste Zeit: Juli - August
Dauer: 7 bis 10 Tage
Kanuvermieter: Campingplatz Gäddede. Tel. +46 672 10035
Tourismusbüro Gäddede: +46 672 105 00
Tourismusbüro Strömsund: +46 670 - 164 00
Karte: Röda Kartan 18 Strömsund 1:250 000 von Lantmäteriet (zu bestellen bei: www.lantmateriet.se)
Anreise: Malmö - Jönköping - Motala - Örebro - Lindesberg - Ludvika - Borlänge - Mora - Orsa - Åsarna - Östersund - Strömsund - Gäddede.
Bahn: Malmö - Stockholm (umsteigen) - Östersund, dann mit Bus 142 od. 45 nach Strömsund, von dort Bus 425 nach Gäddede.
Bus ab Östersund: 13.00 Uhr und 19.10 Uhr wochentags, Sa 07.00 Uhr, So 17.15 Uhr
Bus ab Strömsund: 15.25, 20.50 Uhr wochentags, Sa 8.45 Uhr, So 19.15 Uhr.
Anschluss nach Ankarede mit Taxi: Tel. 020-450 045
Swebus: Tel. 063 551275
Kanuführer: Kanutouren in Nordjämtland (erhältlich im Tourismusbüro von Gäddede oder Strömsund)
Einführende Literatur: Die Schatzinsel von Robert Louis Stevenson, Robinson Crusoe von Daniel Defoe, Candide von Jean Arouet de Voltaire, Holzwege von Martin Heidegger, Das Sein und das Nichts von Jean Paul Sartre, The Casuarina Tree von W. Somerset Maugham, Rock Springs von Richard Ford.

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Last Updated: Freitag, 14. Oktober 2011
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