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Im Urlaubsmärchenland
1. Teil

Endlich ist es wieder an der Zeit. Zeit für eine Reise in den Norden. In den Hohen Norden wohlgemerkt. Nach Bjurholm Vindeln, Luleå, Pajala, Kiruna und Jukkasjärvi, Jokkmokk, Vemdalen bis ins kleine Dorf Lillhärdal mit seinem "Dorf der Seligen", der Salixbyn, wird uns diese Reise führen.
Alles ist dabei, was Winterschweden auszeichnet, eisglatte Strassen, Rentiere und Elche, Motorschlittensafari und Eisskulpturen. In Lillhärdal wird endlich angeboten, was schon längst überfällig war: Ausbildung für echte Naturkenner und solche, die es werden wollen.
Doch bevor wir uns auf die Reise machen, ein paar Gedanken zum Urlaub an sich.


von Eduard Nöstl


Der Urlaub ist wahrscheinlich deswegen so wichtig und entspannend, weil der Mensch dabei einfach zur Oberflächlichkeit gezwungen wird. Du kannst dich beim besten Willen nicht in einem fremden Land tiefschürfend mit Religion, Politik oder den Menschen auseinandersetzen, kritisch und mit jeder Faser deines Denkens. Aus dem einfachen Grund, weil dir die einfachsten Voraussetzungen dafür abgehen.

Du kannst die Sprache nicht, hast keine Ahnung über Geschichte des Landes, kannst mit den Menschen nichts anfangen, weil du einfach nicht weisst, unter welchen Umständen sie leben und welche Auffassungen ihnen eigen sind. Du bist ganz einfach gezwungen, jeden Tag die Welt neu zu erschaffen durch die Eindrücke, die du dir selbst von deiner Umgebung, von den Menschen, von den Erlebnissen machst, die du in eben diesen Situationen, die völlig neu und frisch sind, unwiederbringlich und jungfräulich, du musst dir also ganz einfach jeden Tag deine Welt neu erschaffen. Du kannst dich nur auf deine ureigenen Eindrücke verlassen, dir fehlt ja jeder Referenzrahmen.

Handeln die Menschen in diesem Land immer so? Ist diese Entscheidung Standard oder Ausnahme? Laufen Rentiere immer auf der Strasse herum, und wenn, warum reagiert keiner drauf? Du nimmst einen Gegenstand wahr und musst ihn als solchen akzeptieren. Das selbe gilt für Situationen. Und je weiter du in den Norden kommst, desto verwegener werden deine Rückschlüsse und desto verwirrter wirst du werden.

Die Oberflächlichkeit, gerade noch eine Freiheit, wird plötzlich zum Zwang. Wir hinterfragen zwar, aber nur halbherzig, weil wir genau wissen, dass wir spätestens nach der zweiten Frage mit unserer Weisheit am Ende sind, da uns das Hintergrundwissen fehlt, ohne das auch die klügste Frage keine Antwort finden wird.

Oder anders ausgedrückt, was in Hamburg als Antwort akzeptiert wird, kann in Korpilompolo ein schallendes Gelächter oder noch schlimmer, betretenes Schweigen heraufbeschwören. Daher ist es besser, wir bleiben an der Oberfläche - surfen ständig leicht abgehoben durchs Land, geniessen, was wir uns erklären können und akzeptieren das, wofür uns momentan das Verständnis fehlt.

GEISTIGES NORDLICHT

Geistiges Nordlicht ist es, was uns geboten wird. Niemand kann dieses gigantische Schauspiel der Natur erklären - keiner ahnt auch nur die enormen elektrischen Kräfte, die freigesetzt werden, wenn so ein lichtsprühender, neonglänzender Wasserfall den Himmelhorizont überzieht, um im nächsten Moment als die monumentale Mutter aller Feuerwerke den Himmel in viele Blitze zu hüllen, die den Sternen an Leuchtfähigkeit Konkurrenz machen. Freuen wir uns daran, aber hinterfragen wir es nicht.

Sicher, aus dieser Einstellung entstehen die absonderlichsten Vorstellungen und auch so mancher Aberglauben hat wahrscheinlich darin seinen Anfang genommen. Wie etwa, als im Dreissigjährigen Krieg den Lappensoldaten Gustav Adolfs übernatürliche Kräfte zugesprochen wurden, oder wenn selbige Lappen bis in unser Jahrhundert herauf glaubten, bei Nordlicht "würde sich die Welt umdrehen".

Trotzdem - geniessen und schweigen, diese Devise des Lebemannes aus Casanovas Zeiten dient sehr wohl auch als Motto für den modernen Urlauber. Nur wenn wir dieses Motto befolgen wird es uns gelingen, eine wichtige Eigenschaft eines erfolgreichen Urlaubs zu unserem Vorteil auszunützen.

Der Erholungswert eines Urlaubs dürfte sich nämlich proportional zum Grad der Oberflächlichkeit verhalten, in dessen Geist wir eben diesen Urlaub verbringen. Darin dürfte auch der Schlüssel zu finden sein, dass die Mittelmeerurlaube so beliebt sind - du lässt dich treiben, geniesst die Sonne und das Meer, fragst nach nichts, sondern kriegst alle Antworten auf dem Silbertablett geboten. Wer hat noch nicht lustvoll gestöhnt, "was braucht der Mensch mehr? Sommer, Sonne und sonst gar nichts. Das ist das Leben."

LUST AN DER OBERFLÄCHLICHKEIT EMPFINDEN

Diese Leichtigkeit des Seins ist es, die wir im Urlaub erleben wollen. Wir wollen uns frei machen von den Zwängen des Alltags, die uns immer mehr und immer enger einschnüren. Wir wollen frei atmen können und uns unbeschwert dem Leben hingeben. Einem Leben, das ohne Alltagsprobleme vor uns liegt, die Miete ist gezahlt, das Essen kommt auf den Tisch, um die Steuern brauchen wir uns keine Gedanken machen und die einheimischen Politiker verstehen wir zum Glück auch nicht.

Auch die Kontakte mit den Eingeborenen, falls sie überhaupt zustande kommen, halten sich, sprachenbedingt, an der Oberfläche und werden selten über einen Kommentar zum Wetter, die Strassenbeschaffenheit oder die Wegwahl hinausgehen. Keine Gelegenheit für tiefschürfende Diskussionen also, keine Möglichkeit zu Streitgesprächen um des Kaisers Bart. Es ist einfach herrlich, so unbeschwert durchs Leben zu gehen. Auch wenn es nur für ein paar Wochen ist.

Diese Lust an der Oberflächlichkeit kann aber auch zu den tollsten Entdeckungen führen. Wenn wir unsere natürliche Neugier und Wissbegier, die sonst in die Tiefe bohrt, ausschweifen lassen, um die Oberfläche zu entdecken. Wenn wir anstatt vertikal zu schürfen, horizontal auf Entdeckungsreisen gehen. Wenn wir statt der Gedanken die Sinne aktivieren und nur aufnehmen, einsaugen, erleben und das Erlebte speichern. Denn was sind die schönsten Urlaubserinnerungen anderes als plastische Bilder der Oberflächlichkeit?

Diese Bilder sind es, die sich auf unserer Netzhaut eingebrannt haben mit dem Feuer des ureigenen Erlebens, als unsere Aufmerksamkeit von keinem anderen Interesse abgelenkt war, als dieses Land, in dem wir uns gerade befinden, diese Umgebung, so zu erleben, wie nur wir als Gäste, Touristen, Urlauber es als je eigene Individuen erleben können.

Diese Bilder sind unsere ureigenen Bilder, geschaffen aus uns, gewachsen in uns und die Eindrücke können nur von uns für uns in uns verwertet werden. Oberfläche, gewiss, aber eine Oberfläche, die in uns verankert wird, gärt und reift und wie guter Wein uns gerade dann erheitern und trösten wird, wenn wir es am notwendigsten brauchen.

Im Urlaubsmärchenland Teil 2 geht es zum "Haus des Elchs" von Christer Johansson. Grosse Elche, kleine Elche, dicke, dünne, schwarze und braune. Und vor allem - sie sind alle da, wenn man sie ruft und dürfen gestreichelt werden.


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Last Updated: Sonntag, 23. Juni 2002
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