Wandern
in Nordschweden
VEMDALEN
DIE
OCHSENTOUR ZUM OCHSENSEE
Heute
ist ein neuer Tag und als ich in der Früh aus dem Fenster blicke
ist alles weiss und es schneit. Gut, dass ich nicht mit dem Auto
fahren muss, denke ich und schnalle frohgemut die Gamaschen um.
Ich
will zum Ochsensee, Oxsjön auf schwedisch, und es wird
eine lange und schöne Tour werden. Das heisst, ob sie schön
wird, weiss ich ja noch nicht, doch ich hoffe es.
Anfangen
tut es gut - auf Bohlen, die sind rutschig durch den Schnee. Immerhin
hat das kalte Wetter einen Vorteil. Alles Wasser ist gefroren und
daher komme ich auch neben den Bohlen trockenen Fusses voran.
Schon
nach ein paar Kilometern merke ich, dass die heutige Tour ganz andere
Züge annimmt als die von gestern. Heute wandere ich über
ein weites Hochplateau, ein tundrähnliches Kahlfjäll,
das sehr einfach und angenehm zu wandern ist. Wie schon gestern
sind die Wege hervorragend gekennzeichnet.
VINTERLED
UND SOMMERPFAD
Vinterled
(Winterpfad) und Sommarled (Sommerpfad)wird man sich merken
müssen, wenn man unliebsamen Überraschungen aus dem Weg
gehen will. Die Winterwege sind für Schifahrer und Motorschlitten,
das heisst, sie können auch schon einmal über Moore und
kleine Teiche führen. Also immer dem Sommerweg folgen.
Auf
meiner Karte sind die verschiedenen Wege schön eingezeichnet,
dadurch fällt mir die Wahl leicht. Das Wetter ist ziemlich
grau, ein leichtes Schneetreiben setzt ein, doch es wird heller.
Nach vierzig Minuten komme ich zu einer Weggabelung: Ochsensee 8
Kilometer.
Der
Weg verlässt jetzt das Hochmoor und senkt sich hinab zu einem
schütteren Fichtenwald. Auf dem gegenüberliegenden Hang
vor mir liegen ein paar Hütten. Je weiter der Weg abwärts
führt, umso üppiger wird die Vegetation. Die Bäume
werden zusehends stärker und es stehen einige ausnehmend gutaussehende
Fichten da, deren üppige Äste tiefgrün bis zum Boden
hängen.
An
der tiefsten Stelle kreuzt mein Weg einen Bach, der gerade an der
Brücke einen kleinen Wasserfall bildet. Sieht echt toll aus
und im Sommer muss man an dieser Stelle schön baden können,
da der Bach hier einen kleinen Tümpel bildet. Am Hang hoch,
vielleicht dreihundert Meter, und schon bin ich bei der ersten Rasthütte,
"Zum silbernen Rentier" angekommen. Die Hütte ist
gut ausgerüstet mit Brennholz, sogar eine Säge und eine
Axt hängen an der Wand.
Danach
wandere ich am typischen Schrägzaun der Almen Härjedalens
entlang. Noch ein paar Höhenmeter durch den Wald dann öffnet
sich die Landschaft und es geht auf einer heideartigen Tundra entlang.
Weite Flächen sind mit Erika bewachsen.
HÄHER
IN NAHAUFNAHME
An
einer Weggabelung konsultiere ich kurz meine Karte und als ich mich
umdrehe, sitzen zwei Lavskrikor (eine Häherart) auf
einer Zwergbirke und beobachten mich aufmerksam. Sie sind überhaupt
nicht scheu, sondern scheinen sich über ein wenig Gesellschaft
zu freuen. Das Federkleid ist rotbraun und auf dem Kopf haben sie
eine schwarze Mütze. Sie begleiten mich ein Stück des
Wegs, ehe sie sich wieder interessanteren Dingen zuwenden.
Nach
zweieinviertel Stunden Wanderzeit sehe ich bereits den Ochsensee
unter mir auftauchen. Er ist langgestreckt und oval und zu beiden
Längsseiten wachsen Fichten. Der Weg führt auf halber
Hanghöhe den See entlang, sodass ich immer einen schönen
Blick auf das Wasser habe.
Eine
Viertelstunde später bin ich beim Oxsjövallen,
also der Ochsenalm, angekommen. Ich lasse mir meine Jause schmecken
und trinke dazu den Tee, der immer noch warm ist, trotzdem es draussen
um die null Grad hat. Während ich so durch Fenster schaue,
bemerke ich, dass es jetzt richtig zu schneien begonnen hat. Doch
das macht mir nichts aus, denn der Weg ist vorbildlich gekennzeichnet
und ich liege genau in meinem Zeitplan.
Apropos
Zeitplan, so fällt mir beim Wandern auf, dass man unserer Jugend
ja sicher viel nachsagen kann, doch eines hat sie uns voraus: Meiner
Meinung nach sind Sachen, die wir uns erst erarbeiten mussten, heute
schon Allgemeingut geworden.
PLANEN
UND ENTWICKELN
Wovon
ich rede? Von Zielen und vom Planen zum Beispiel. Für mich
ist ein Plan der erste Schritt beim Erreichen eines Zieles. Und
wer hätte in meiner Jugend ein Ziel gehabt? Wir haben doch
mehr oder weniger einfach in den Tag hineingelebt und wenn uns jemand
nach Zielen gefragt hätte, geschweige denn, wie man ein solches
erreichen kann, so hätten wir wahrscheinlich die Frage gar
nicht verstanden, oder mit einem Witz abgetan.
Die
heutige Jugend kriegt das Ziele setzen bereits in der Schule vermittelt
und ein Plan wie diese Ziele erreicht werden können, wird frei
Haus mitgeliefert. Das finde ich toll und ich freue mich darüber
und das ist für mich nur ein weiterer Beweis, dass sich unsere
Welt zum besseren entwickelt und die Menschheit voranschreitet.
Während
ich noch diese Gedanken andenke, bin ich ein gutes Stück des
Weges gekommen und werde erst jetzt aufmerksam, dass der Weg ganz
knapp am See entlangführt und hier viele Birken wachsen. Das
nächste Ziel ist die Jorskarihütte und um die zu erreichen
folge ich dem Weg, der sich an der gegenüberliegenden Seite
des Sees hochzieht.
Geradezu
in die Wolken, will mir scheinen, doch es ist noch nicht einmal
zwölf Uhr und daher schreite ich wohlgemut voran. Immer wieder
komme ich an ausgesprochen schönen Exemplaren von Fichten vorbei,
die einmal allein, dann in Gruppen von fünf oder sechs beisammen
stehen. Ich grüsse respektvoll und manchmal winke ich ihnen
zu. Ich mag Bäume und gerade diese Exemplare sind besonders
wohlgewachsen. Stramm und aufrecht stehen sie da, stumme Zeugen
einer anderen Welt, die doch auch die unsere ist.
Der
Weg steigt an bis zu einem Sattel zwischen zwei höheren Hügelzügen,
dann fällt er wieder ab in ein neues Tal. Jetzt habe ich wohl
auch das Klövsjöfjäll hinter mir gelassen. Eine Gruppe
Schneehühner fliegt auf und die vielen Birken sind typisch
für das Niederfjäll. Es ist wirklich ideal zum Wandern
hier und ich kann mir vorstellen, dass es im Sommer verschiedenste
Nuancen von grün zu durchwandern gilt. Schwarzbeerengebüsch
links und rechts des Weges und da und dort hängen noch die
erstarrten Beeren tiefblau an den Stengeln.
ALMEN
UND WASSERFÄLLE
Nun
gesellt sich auch Wacholder zur Vegetation und bald bin ich an der
Jorskari Hütte. Jetzt ist der Kreis bald vollzogen, es fehlen
noch 6,5 Kilometer, dann bin ich wieder in Storhogna. Ein Schild
zeigt an, dass es nicht mehr weit zur Alm Fallmoran ist, 600 Meter,
da weist ein kleiner Pfeil zum Fallmorafall. Ein Wasserfall lockt
mich immer an und so folge ich dem kleinen Pfad vielleicht zweihundert
Meter. Wirklich, ein schöner, vielleicht zehn Meter hoher Wasserfall
hat sich an einer Kante des Bachs Råjan gebildet.
Nach dreihundert Metern komme ich an der Alm Fallmoran vorbei. Hinter
einem kleinen Hügel taucht das Sameviste auf. Sameviste
bedeutet soviel wie Samenlager, also ein alter Lagerplatz der Samen,
die hier herunten wohl zu den Waldsamen gezählt werden, im
Gegensatz zu den Fjällsamen weiter oben im Norden. Eine Njalla,
eine Vorratshütte, steht auf einigen Pfählen neben einer
alten Lappenkate.
Jetzt
sind es noch dreieinhalb Kilometer zurück nach Storhogna. Wieder
hat sich die Landschaft geändert und ein weites, völlig
plattes Heidegebiet öffnet sich vor mir. Nur spärlich
finden Fichten Nährboden scheint es, Erika wächst da und
dort, sonst nicht viel. Ein breiter Weg führt durch dieses
Niemandsland der Natur.
Jetzt
fällt der Nebel richtig hautnah ein, doch ich kann praktisch
schon den Holzofen riechen und trapple daher sorglos dahin, mit
mir und der Welt zufrieden. Zufrieden wie man nur nach einem Tag
in der Natur und einer gelungenen Wanderung sein kann.
VON
DER WOLFSHÜTTE INS BÄRENREICH
Heute
ist ein wunderbarer, strahlend blauer Tag, wie geschaffen fürs
Wandern und mit einer ganz super Fernsicht garantiert. Dabei war
die letzte Nacht so ganz und gar nicht nach meinem Geschmack gewesen.
Denn die Temperaturen sinken ja jetzt im Herbst schon ziemlich,
speziell dann, wenn ein wolkenkloser Himmel die Erdwärme einfach
ins Weltall verpuffen lässt.
Extra
für diese Fahrt habe ich in mein Uraltmobil eine sinnige Erfindung
einbauen lasen, die das Starten auch bei extremen Minustemperaturen
problemlos ermöglicht: einen Motorwärmer. Das ist nichts
anderes als eine Wärmespirale, die direkt in den Motorblock
eingebaut wird und zu einem vorgesehenen Zeitpunkt, so ungefähr
ein bis zwei Stunden vor dem Aufstehen das Wasser im Motorblock
vorwärmt, sodass der Motor bereits warm ist, wenn du ins Auto
steigst. Den Startschlüssel umdrehen und vroom, ist er da.
Aber
das nur so am Rande, weil es einfach zu dieser Geschichte dazugehört.Ich
parke also mein Gefährt in der Auffahrt, stelle fest, wo die
Steckdose ist, alle schwedischen Parkplätze und Häuser
haben diese sinnige Vorrichtung, und hole das Kabel heraus, um den
grossen Augenblick gebührend zu begehen.
Wie
so oft in meinem Leben ist die Absicht gut, allein die Tat scheitert
an der Tücke des Objekts. Heute an der geringen Länge
des Kabels. Zwanzig Zentimeter fehlen von der Steckdose zu dem dafür
vorgesehenen Kontakt am Kühler meines Oldtimers! Da muss ich
eben auf die altbewährte Methode zurückgreifen: Der Wagen
wird gewendet und mit der Schnauze in Fahrtrichtung, also abwärts,
gestellt. Anrollen ist die Devise, falls der Minusmann zuschlagen
sollte.
Um
halb sieben bin ich bereits putzmunter und mein erster Schritt führt
mich zum Fenster. Gut, es ist kein Schnee gefallen, im Osten zieht
ein breiter Streifen feurigen Rots am Himmel herauf und verkündet
einen neuerlichen wunderbaren Herbsttag.
Beruhigt
kehre ich an den Frühstückstisch zurück. Der Kaffee
schmeckt wie eben nur Kaffee schmeckt, der mit frischem Quellwasser
zubereitet ist, die obligaten Käsebrote dazu, und dann noch
schnell unter die Dusche. Jetzt sieht der Tag schon anders aus,
die Lebensgeister sind erwacht, die Tat ruft. Eine Umdrehung und
der Motor springt auch ohne Vorwärmen an.
Einige
Stunden später quält sich mein Gefährt in Richtung
Varggranshütte. Immer höher schrauben sich die Serpentinen,
erst als ich an einem unscheinbaren Bretterverschlag vorbeikomme,
wo ein handgemaltes Schild die Autofahrer auffordert, den ersten
Gang einzulegen und bloss nicht stehenzubleiben, halte ich und parke
meinen Wagen. Ich bin ja zum Wandern hier.
KEINE
BÄREN ABER VIELE STEINE
So
muss ich das Steilstück zu Fuss laufen, das macht mir aber
nichts aus, denn vor mir wölbt sich ein strahlend blauer Himmel
über dem Berg und ich warte nur mehr darauf, aus dem Schatten
in den Sonnenschein zu treten. Das dauert nicht lang, sondern nur
einige Minuten vergehen und ich stehe vor der Varggranshütte.
Ein
Schild verkündet 5,2 Kilometer nach Björnriket, das wird
nicht allzu schwer sein. Speziell dann nicht, wenn der Weg, so wie
hier, vorbildlich gekennzeichnet ist mit Andreaskreuzen.
Wie
ich schon gestern vermutet hatte, bietet sich eine grandiose Fernsicht
an. Vor allem gegen Westen, wo der Horizont von schneebedeckten
Gipfeln abgegrenzt wird. Schneehühner fliegen auf, sie sind
bereits völlig weiss, noch vor einem Monat hatten nur die Körperfedern
die Winterfarbe angenommen gehabt.
Linkerhand
ruht der Teich Vargtjärn, bereits gefroren nach der ersten
kalten Nacht. Ich wandere über der Baumgrenze, nur einige Zwergbirken
säumen den Weg, der über mehr oder weniger grosse Felsblöcke
führt.
Nach
ca. einem Kilometer weitet sich vor mir eine Mulde auf ca. 300 Meter,
der Weg windet sich durch riesige Felsblöcke nach oben. Schon
ist der Scheitel erreicht, viele Steinmännlein zeugen von der
Musse der Sommerwanderer.
DIE
TOTALE FERNSICHT
Ab
hier ist der Weg richtig breit und ausnehmend gut markiert, er führt
genau nach Süden Richtung Björnrike. Bald schon komme
ich zu einem Schild, nach Björnrike 3,6 Kilometer und zur nächsten
Rasthütte fünfhundert Meter. Bei der Hütte angekommen,
fallen mir die Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln ins Auge,
speziell einer Richtung Norden sieht einer aus wie der Fujijama.
Ab
hier geht es abwärts und schon bald umgibt mich schütterer
Fichtenwald. Hier herrscht die absolute Stille. Nicht einmal Schneehühner
fliegen auf. Nichts. Ruhe. Rechterhand ein Hügelzug der einer
gigantischen, von Riesenhänden aufgeschütteten Geröllhalde
gleicht, vor mir ins Tal hinaus reihen sich die Bergketten aneinander,
bis sie im blauen Dunst verschwinden.
Eine
Langlaufloipe kreuzt meinen Weg, ein Zeichen, dass ich mich Björnrike
nähere. Auf dem Weg sind auch Mountainbikespuren auszunehmen.
Es ist erfreulich, wie schnell dieser Sport aufgenommen wurde und
vor allem wie problemlos er von den Waldeigentümern akzeptiert
wurde.
In
Björnrike angekommen, ein Gebiet mit grossen Ferienhäusern,
die schon eher Villen gleichen, ziehe ich kurz meine Karte zu Rate
und beschliesse, einem der Schlepplifte zu folgen, denn oben auf
dem Berg müsste meiner Meinung nach der Weg Richtung der Hütte
Timmerkojan seinen Ausgang nehmen.
Es
gibt viele Menschen, die auf Wanderungen nur ungern die Schipisten
zur Kenntnis nehmen. Sie finden, diese sähen aus wie Narben
im Wald oder Schlimmeres. Bei mir ist das anders: Wenn ich die Schipisten
oder Lifttrassen hochwandere, freue ich mich einfach auf den Winter.
Mir
macht Schifahren viel zu viel Spass, als dass ich um den Eingriff
in die Natur ein grosses Aufhebens machen würde. Ich meine,
viele Menschen kommen überhaupt erst zum Schifahren heraus
in die Natur - hier überwiegt also der Nutzen bei weitem den
Schaden und überhaupt würden die Bäume früher
oder später sowieso gefällt werden.
ZEIT
IST RELATIV
Andererseits
nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass am Pistenrand zahlreiche
Kiefern durch natürlichen Anflug zu wachsen beginnen - ein
Zeichen, dass sich die Natur alles wieder holt, was ihr der Mensch
abgenommen zu haben geglaubt hat.
Ich finde, wir denken zu kurzfristig, wenn wir uns darüber
aufregen, dass der Mensch in die Natur irreparable Eingriffe macht.
Wir müssen geradeso wie bei der Erziehung nicht in einer oder
zwei Generationen denken, sondern in drei und mehr.
Ebenso
wie es verkürzt ist, nur die Eltern-Kind Generationen anzuschauen,
und es mindestens drei, wenn nicht vier Generationen bedarf, um
festzustellen, ob die Erziehung oder die Entwicklung Fortschritte
oder Rückschritte bringt, ebenso ist es mit der Natur - ein
Baum braucht siebzig, ja hundert Jahre zum Wachsen. Für die
Natur sind einige Generationen mehrere hundert Jahre, also mehr,
als jeder einzelne von uns überblicken kann. Und kein Mensch
weiss, was morgen passiert.
Am
Liftende nimmt ein Wanderpfad seinen Anfang. Timmerkojan 3,5 km
steht auf einem Schild, Varggransstugan 3,7 km. Also keine ernstzunehmenden
Abstände. Ein Blick auf die Uhr, es ist ein Uhr. Um vier ist
es dunkel. (November). Bis zwei gehe ich, dann muss ich Richtung
Varggransstugan!
Der
Pfad verläuft fast eben über ein weites Hochplateau. Er
wäre schön zu gehen, wenn nicht immer wieder die Felsmugeln
zwingen würden, den Blick auf den Boden zu heften, um beim
Balancieren über die Steine nicht auszurutschen.
Nach
einer halben Stunde gabelt sich der Weg völlig: links geht
es zurück zur Varggransstugan rechts zur Timmerkoja. Aber ich
hatte doch ein Schild gesehen, bei der Varggransstugan zur Timmerkojan.
Also muss ein Weg dorthin führen. Ich ziehe die Karte zu Rate.
Richtig, in einem weiten Halbkreis führt der Weg zuerst nach
Süden zur Timmerkojan, dann als Winterweg zurück zur Varggransstugan.
Hm, das könnte sich ausgehen.
ÜBER
GEFRORENE MOORE
Ich
laufe los. Doch aus dem Laufen wird nicht viel. Geröll und
Steine. Kein Schotter, sondern richtige Felsen von mehreren hundert
Kilo. Schnurgerade zieht sich das Band der Andreaskreuze gegen Süden.
Sachte, sachte, geht es einen Hügel hinauf. Ungefähr in
der Mitte neue Schilder. 1,2 Kilometer zur Timmerkojan. Aha, dann
müsste sie ja wohl hinter dem Hügel da vorne liegen.
Jetzt
eile ich wirklich los. Und verwünsche gleichzeitig meine Trödelei
am Vormittag. Es ist immer das gleiche. Die Zeit, die du dir am
Vormittag gönnst, geht dir am Nachmittag ab. Das ist überhaupt
einer der längsten Kilometer, die ich je gegangen bin!
Endlich.
Von der Kante der Anhöhe aus fällt mein Blick auf ein
sonnenbeschienenes Holzhaus idyllisch gelegen an einem kleinen Bergsee.
Dieser Anblick allein löscht sofort die Erinnerung an den beschwerlichen
Weg und lässt die Felsblöcke zu kleinen Murmeln werden.
Ich weiss jetzt wieder, dass es für mich nichts Schöneres
gibt, als durch die Natur zu laufen.
Doch
die Zeit bleibt nicht stehen. Es ist zwei Uhr und mein Schatten
ist schon ziemlich lang. Nur schnell noch ein Bild von der Hütte
am See, dann geht es den Winterweg entlang zurück Richtung
Nordwest.
Und
jetzt habe ich Gelegenheit mich über die Minustemperaturen
zu freuen. Denn wie es für einen Winterweg typisch ist, ist
er geradewegs angelegt. Über Bächlein, Moore und kleine
Tümpel. Alles ist gefroren und ich kann trockenen Fusses von
Grasbüschel zu Grasbüschel hüpfen. Andere waren nicht
so Glück begünstigt, auch viele Tiere sind, nach den Spuren
zu schliessen, ziemlich tief eingesunken. Elche? Rentiere? Trotzdem
ich aufmerksam in der Gegend umherspähe, sehe ich nichts. Kein
Mensch weit und breit, kein Tier, auch kein Flugzeug am Himmel.
RUSSENKÖPFE
AM WEG
Ich
bin auf dem Weg zum Stockbach. Drei Kilometer. Von dort wird dann
laut Karte ein Weg zurück zur Varggranshütte führen.
Doch vorher habe ich noch ein riesiges Moor zu überwinden.
Wasser, zum Glück in gefrorenem Zustand, tut sich immer öfter
zwischen den "Russenköpfen", wie die Grasbüscheln
eines Moores in Nordschweden genannt werden, auf.
Verbissen
folge ich den Andreaskreuzen. Wenigstens gibt es keine Steine mehr,
sondern nur weiche Heide. Noch eine Viertelstunde, noch zehn Minuten,
noch fünf, ein kleiner Bach wird übersprungen, dort oben
am Hang glänzt irgendetwas in der untergehenden Sonne. Ob das
eine Hütte ist?
Nein,
die Hütte, zu der ich unterwegs bin, liegt am Stockbach. Plötzlich
steht sie da. Klein und einladend. Innen sind vier Tische und Bänke
um einen winzigen Kanonenofen angeordnet. Hier esse ich endlich
meine Jause. Es ist drei Uhr. Der Tee ist gefroren, die Batterien
des Photoapparats auf dem Null.
Ich
sitze da und kaue, nehme ab und zu einen Schluck aus der Wasserflasche
und höre wie die Eisstücke in der Flasche aneinanderschaben.
Es ist merkwürdig - ich komme zwar oft in zeitliche Bedrängnis,
aber dennoch schaffe ich die Wege immer genau in dem Zeitraum den
ich mir abgesteckt habe. Muss irgendwas mit der Erfahrung zu tun
haben.
Als
ich weitergehe, merke ich, wie mir die Müdigkeit in die Oberschenkel
kriecht. Ich greife zu meiner Geheimwaffe gegen körperliche
Müdigkeit. Ich erinnere mich einer Freundin, die hier in Björnrike
eines dieser überdimensionierten Sommerhäuser hat. Was
wäre wohl gewesen, wenn? Ob ich sie wieder einmal anrufen sollte?
Warum habe ich die dumme Angewohnheit, nicht zu merken, wenn ich
glücklich bin?
Jene
drei Monate mit Ulla, so heisst die Frau, waren vielleicht, abgesehen
von der Kindheit, die glücklichsten meines Lebens. Ulla hat
nämlich die für eine Frau enorm wichtige Eigenschaft,
einen Mann spüren zu lassen was für ein toller Kerl er
eigentlich ist und dass sie das sehr wohl eingesehen hat. Schön
war es, ja, und ich freue mich, dass ich das erleben durfte. Alles
andere ist nur müssige Spekulation.
Unter
diesen Gedanken erreiche ich die Varggranshütte und ein paar
Minuten später sitze ich im Auto und bin zufrieden über
den heutigen Tag am Weg zu meiner Luxusbehausung. Die Sauna wartet!
Last
Updated: Freitag, 14. Oktober 2011
Copyright 1999-2011 Dr. Eduard Nöstl
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