Norrbotten
Nördlich des Polarkreises:
Hab'
Mitternachtssonne im Herzen und Nordlicht im
Sinn
Pajala, ungefähr hundert
Kilometer nördlich des Polarkreises im
schönen Tornetal in Lappland gelegen, ist
ein Dorf mit gerade 8.500 Einwohnern, cirka
zweitausend davon leben hier im Ort, die anderen
sind verstreut auf den ca. 8.000 Quadratkilometern,
die die Gemeinde Pajala ausmachen. Das
ergibt eine Bevölkerungsdichte von ca.
1,5 Einwohnern pro Quadratkilometer. Der Torneälv
ist der mächtige Fluss, der Schweden von
Finnland trennt.
Von
Eduard Nöstl
Die
Strassen sind gut ausgebaut, die Infrastruktur
funktioniert einwandfrei, aber die Abstände
und die immer und überall nahe Natur mit
ihren tosenden Flüssen, riesigen WäIdern
und Rentier, Elchen, Auerhahn, Birkhuhn, Luchs,
Vielfrass und anderem Getier immer zum Spüren
nahe, spielt eine andere Rolle als in den dicht
besiedelten Gegenden Mitteleuropas.
An
der Bushaltestelle von Pajala, gleich vor dem
Verkehrsbüro, thront weithin sichtbar eine
Lappeneule auf einem Holzpfahl. Die Eule ist
das Wahrzeichen von Pajala. Klug wie die Eule
müssen die Menschen hier sein, um sich
teils gegen die Unbillen der Natur zu behaupten.
Heimat,
bist du grosser Söhne ...
Essen
und Trinken hält Leib und Seele zusammen.
Neben dem körperlichen Wohl braucht auch
der Geist nicht zu kurz zu kommen. Schon mal
etwas von Lars Levi Laestadius gehört?
Nein? Nun, diese Bildungslücke kann verziehen
werden. Laestadius ist eine lokale Berühmtheit
des Tornetals.
Ein Prediger, der den Bewohnern Pajalas und
der engeren und weiteren Umgebung vor cirka
hundert Jahren die Leviten gelesen hat, wenn
sie wieder einmal einen über den Durst
getrunken hatten, oder wenn der Gutsherr seinen
Arbeitern den Lohn in hochprozentiger flüssiger
Form ausbezahlt hatte. Laestadius lehrte alle
das Fürchten, ob reich oder arm, vor seinem
Zorn waren alle gleich, wenn sie sich etwas
zuschulden kommen liessen. Laestadius trug viel
dazu bei, dass Pajala und ein grosser Teit Lapplands
"trockengelegt" wurden.
Das
ging so weit, dass heute sogar in den schwedischen"
Staaten Amerikas wie Massachusets, Michigan
oder Montana Anhänger des Laestadius aktiv
sind. Aber auch hier im Tornetal sind noch starke
Festungen vorhanden. Merkwürdigerweise
oft bei Leuten, die es zu etwas gebracht haben,
wie beispielsweise die Gebrüder Kero. Sechs
Brüder, die die grösste Industrie
Pajalas aufgezogen haben. Sie gerben und verarbeiten
Rentierfelle zu erstklassigem Leder, das in
alle Welt, vor allem nach Italien, die Schweiz
und bis nach Hongkong exportiert wird.
Das
ehemalige Wohnhaus des Lars Levi Laestadius
in Pajala wurde zum Museum umfunktioniert. "Laestadiusporten",
wie es genannt wird, ist im Sommer geöffnet,
sonst kann man im Informationsbüro den
Schlüssel für eine Besichtigung ausborgen.
Gleich in der Nähe steht auch die Kirche
von Pajala, ein schöner Holzbau in Kreuzform,
eigentlich viel zu gross für ein kleines
Dorf wie Pajala, aber als Pajala das kleine
Kengis an Bedeutung und Einwohnerzahl überflügelte,
wurde die Kirche von Kengis einfach abmontiert
und an die von Pajala angestückelt. Auf
alle Fälle ein schöner Anblick, speziell
vom Ort aus, was durch die kleine Birkenallee,
die zur Kirche führt, noch betont wird.
Land
der Flüsse, Land der Ströme ...
Gleich
in der Nähe der Kirche geht es nach Kengis.
Kengis ist ein kleiner Ort - noch kleiner als
Pajala - direkt am Tornefluss. Hier nahm die
geschichte Pajalas ihren Anfang. Denn in früheren
Zeiten, im siebzehnten Jahrhundert etwa, stand
hier ein kleines Hammerwerk. Dieses wurde grösser
und bald schon kamen viele Leute hierher. Es
kam wie es immer kommt: ein Aufschwung setzt
ein, ein Höhepunkt wird erreicht und dann
nimmt das Schicksal seinen Lauf. Heute sind
vom Hammerwerk nur mehr ein paar Reminiszenzen
in Form eines Gebäudes und alter Maschinen
übrig - und natürlich die Erinnerung
an die grosse Vergangenheit des Ortes. Nur der
Tornefluss der rauscht nach wie vor. Ewige Natur,
was sind die Werke des Menschen gegen dich?
Wir
wenden uns von den Resten menschlicher Schaffenskarft
ab und den wundern der Natur zu: Die stromschnellen
des torneflusses, deren Getöse wir schon
von weitem vernommen haben und die eine normale
Unterhaltung fast unmöglich machen ziehen
uns in ihren Bann. Die Wasser des Flusses rauschen
und wuchten sich zwischen den engen Steinen
durch, eine Freude fürs Auge, wenn die
gischtenden Wasser hohe Wellen werfen, doch
ein Alptraum für den Kanuten, der seinen
Weg hier vorbeisuchen will. Er ist gut beraten,
diese Stromschnellen zu umgehen.
Überhaupt
ist Pajala das Land der Flüsse. Fünf
an der Zahl durchschneiden das Gemeindegebiet.
Vier verlaufen von den Bergen zum bottnischen
Meer, einer ist eine sogenannte Bifurkation,
zum Stolz der Pajalaner die zweitgrösste
der Welt.
Was
ist nun eine Bifurkation? Das ist ein Fluss,
der von einem Fluss zu einem anderen verläuft,
also nicht irgendwo entspringt und dann irgendwo
mündet, sondern eine Bifurkation ist Wasser,
das von einem Fluss zum anderen transportiert
wird.
Geradeso
wie die Orte der Gegend tragen auch die Flüsse
verblüffende Namen, als hätten Kinder
in einem Spiel die Bezeichnungen gefunden: Wer
findet das Wort, bei dem sich die Zunge dreimal
einrollen muss? Lainio, Tärendö, Muonio,
Kalixfluss, das geht ja noch. Wie ist es mit
den Ortsnamen? Korpilomobolo, Junosuando oder
gar Muodoslombolo?
Ein
Blick auf die Karte bringt die Erklärung:
Hier im finnisch schwedischen Grenzgebiet sprechen
die Einwohner alle "Tornedalsfinnisch"
und diese Eigenheit schlägt sich eben auch
auf der Landkarte nieder.
Ein
Tänzchen in Ehrenkann niemand verwehren
Eines
können die Leutchen hier: Feste feiern.
Pajala ist das absolute Zentrum der Geselligkeit
in dieser Gegend. Die Palette reicht vom Jahrmarkt
im Juli also am zweiten Wochenende nach Mittsommer,
wenn das Städtchen an einem Wochende lang
Kopf steht, über das sagenumwobene Fest
mit dem spannenden Namen "Römpäviiko",
zu dem Kamerateams aus ganz Europa anreisen,
um ihren staunenden Zusehern vorzuführen,
wie ein moderner Heiratsmarkt aussehen kann.
Denn wie immer in Gegenden wo es schwierig war
mit der Arbeit, hat sich in Pajala ein Männerüberschuss
gebildet.
Doch
die Burschen liessen den Kopf nicht hängen
sondern beschlossen, dem Misstand Abhilfe zu
schaffen. Die Blicke der Männer richteten
sich nach Osten. In Russland gab es einen Frauenüberschuss
- was lag also näher als die Damen hierher
einzuladen "zum gemütlichen Beisammensein",
wo man sich zu den Klängen der Tanzorchester
näher kommen konnte, ohne sich so lästiger
Zwischenstationen wie einer gepflegten Unterhaltung
bedienen zu müssen. Die Rechnung ging auf.
Dem Vernehmen nach sind die Russischkurse an
der Volkshochschule die bestbesuchten und in
ein paar Jahren wird russisch neben schwedisch
und finnisch wohl die dritte Sprache sein, die
hier gesprochen wird.
Erfolgreich
seit 1987 könnte ein Slogan der Veranstalter
des "Römpäviikö" sein.
Wobei die Bezeichnung allein bereits zum Schmunzeln
anregt, wenn man sich den Spass macht und die
etwas gröbere Wortgebrauch zur Deutung
der Worte zu Hilfe nimmt: "rumpa"
ist nämlich die Bezeichnung für das
weibliche Hinterteil und "vicka" bedeutet
nichts anderes als wackeln. Originell, nicht?
Natürlich gibt es für diese Tradition
eine hochkulturelle Erklärung. So verberge
sich hinter dem Fest nichts anderes als ein
Erntedankfest, zu dem man eben in gut globaler
Denkgewohnheit eben auch die lieben Nachbarn,
die Finnen und die Russen eingeladen habe. Und
schliesslich werde ja nicht nur getanzt, sondern
auch alle möglichen kulturellen Veranstaltungen
abhalten. Diese Erklärung erinnert ein
bisschen an die schöne deutsche Freikörperkultur.
Ein
Fest nur fürs Auge ist dagegen das Nordlichtfestival
im Februar. Das Nordlicht, jene eigenartige
Lichterscheinung am tiefblauen Nachthimmel,
ist einzigartig für das Land oberhalb des
Polarkreises. Der Schnee lässt ja im Winter
die Nacht nie richtig schwarz werden, sondern
ein heller Schein erfüllt die Nacht. Das
Nordlicht macht diesen hellen Schein noch um
einiges farbenfroher. Im Sommer ist die Mitternachtssonne
das Gegenstück dazu.
Für
den Jäger muss diese Gegend verführerisch
sein. Die tiefen Wälder bieten dem Wild
einen idealen Lebensraum. In der Gemeinde Pajala
haben sich denn auch mehrere kleine Firmen auf
die Jagd spezialisiert. Vor allem Niederwild,
aber auch die Vogeljagd werden angeboten. Tärendö,
Suorsapakka und Anttis sind die besten Anlaufstellen
für Jäger.
Für
jeden etwas, das Wort ist abgedroschen. Hier
in Pajala erhält der Ausdruck einen neuen
Sinn. Beschauliche Nächte in der Mitternachtssonne,
harter Kampf mit der Natur, Geselligkeit in
der Jagdstube, im Gasthaus oder in der Sauna,
der Gast braucht nur zu wählen. Das meiste
können ihm die Einheimischen zur Verfügung
stellen. Nur eines muss er selber tun - hierherkommen
ins Land der Mitternachtssonne und des Nordlichts.
Der Frohsinn im Herzen und die Leichtigkeit
des Seins stellen sich von selber ein.