Marsfjäll/Lappland
Moltebeerenfest
im Fjäll
Kittelfjäll ist relativ einfach zu erreichen. Dabei handelt
es sich um eine interessante Gegend, die zwar in Schweden relativ
bekannt ist, aber trotzdem nicht vom Massentourismus heimgesucht
wird. Für einen Einstieg in die schwedische Bergwelt scheint
uns daher das Marsfjäll gerade der richtige Berg zu sein. Wir
empfehlen für die Genusswanderung die Anreise über Wilhelmina
im südlichen Lappland anzupeilen, am besten eignet sich dafür
die Strasse 45, die Inlandsstrasse von Göteborg aus. In Wilhelmina
tanken Sie noch einmal und versorgen sich mit allen notwendigen
Vorräten, ehe Sie Richtung Dikanäs losfahren und nach
130 km in Kittelfjäll ihren Ausgangspunkt für die Tour
erreicht haben. Die Karte AC4 Fatmomakke-Saxnäs des Lantmäteriverket
reicht vollständig für diese Wanderung.
Von
Alwig Derstvenscheg
1. Etappe: Kittelfjäll - Bleriken
2. Etappe: Bleriken - Marsfjäll
3. Etappe: Marsfjäll - Fatmomakke
Kittelfjäll - Bleriken
Kittelfjäll
besteht eigentlich aus einem Hotel und ein paar Häusern. Das
Hotel Kittelfjäll (+46 940 811 20) hat auch Blockhäuser
für Selbstversorger, Preis SEK 500.- (DM 120.-) pro Nacht,
voll ausgerüstet mit Dusche, Wohn- und Schlafzimmer, Kochnische.
Will man es günstiger haben, fährt man vier Kilometer
weiter nach Storbäcken und wohnt in einer der fünf Hütten
von Stigbjörn und Eva Klementsson (+46 940 830 14) für
SEK 200.- (DM 50.-) und hat damit schöne Tageswandergebiete
gleich vor der Hüttentür.
Gleich
gegenüber dem Hotel auf der anderen Seite des Weges beginnt
der gut beschilderte Wanderweg Richtung Marsfjäll. Zunächst
wandern wir über einige gemähte Wiesen, die bald schon
in Birken und Föhrenwälder übergehen. Neben dem Wanderweg
verläuft der Weg für die Motorschlitten, das liebste Spielzeug
der Nordschweden im Winter. Im Sommer blühen und gedeihen hier
nahezu mannshohe Weidenröschen und Wiesenspiersträucher,
die in rotweissroter Farbenpracht einen nahezu aufdringlichen Duft
verbreiten.
Weg
und Abzweigungen sind gut markiert. Nach zwanzig Minuten stehen
wir bereits vor dem Vojmån Fluss, der sich in einer schäumenden
Kaskade seine Bahn bricht. Zum Glück führt eine stabile
Holzbrücke über den gewaltigen Wildbach.
Rechterhand
erhebt das Borkafjäll (1070 m) sein Haupt. Der Weg entlang
des Borkafjälls steigt von 510 m auf 920 m an. Trotzdem der
Weg recht steil aufwärtsstrebt, kommen wir flott voran, denn
Vegetation und Aussicht nehmen ständig eine andere Gestalt
an. Lichter hoher Fichtenwald wechselt ab mit feuchter, urwaldartiger
Vegetation. Ständig ist die mächtige Felswand des Borkafjälls
zum Greifen nahe.
Kleine
Moorgebiete werden auf Bohlen überquert. Moore sind beliebte
Stellen, wo die Moltebeere zuhauf wächst. So dauert es auch
nicht lange und wir stehen mitten drinnen in einem Schlag mit Moltebeeren
und stopfen uns den Mund voll. Reif sind die Moltebeeren frisch
und säuerlich, während sie unreif eher trocken und eigentlich
nach nichts schmecken.
Die
Baumriesen bleiben zurück, an ihre Stelle treten nun die kleingewachsenen
Fjällbirken, die den Übergang ins Hochfjäll bilden.
Ein
herrlicher Blick auf den Rissee hemmt unseren Wanderschritt, doch
wir streben immer weiter, da wir heute noch zur Blerikenhütte
kommen wollen. Zwischen dem Borkafjäll und der grauen Bergwand
des Risfjället breitet sich ein weites Tal mit den beiden vom
Wind aufgewühlten Seenflächen des Rissjön und des
Bleriken aus. Der Pfad windet sich jetzt im feuchten Birkenwald
zu dem von grossen Sumpfflächen umgebenen Uferstreifen hinab.
Hier
weht ein extrem starker Wind. Durch die engen Klammen des Borkafjälls
tosen und brausen die Windstösse so heftig, dass nicht nur
die Gletschermoränen uns daran zu erinnern brauchen, dass es
sich hier um hochalpines Gelände handelt.
Die
heftigen Windböen treiben dunkle Wolken über den Himmel.
Zwischendurch kommt immer wieder die Sonne heraus und schickt ihre
angenehm warmen Strahlen ins Tal. Knapp vor der Blerikhütte,
die bis zum letzten Moment hinter einem Birkenwald verborgen bleibt,
ist noch schnell ein kleines Moor zu queren, in dem die Moltebeeren
dicht an dicht stehen.
Bleriken - Marsfjäll
Ab
hier ändert sich die Landschaft schlagartig. Vor uns liegt
das Hochfjäll. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass ein Anstieg
von 250 Höhenmetern zu bewältigen ist.
Es
lässt sich wunderbar leicht gehen, wir fühlen uns durch
die Sicht auf die zwei Blerikseen und den Rissee, sowie die sich
im Hintergrund abzeichnenden Gebirgsketten, extrem motiviert.
Linkerhand
dominiert immer noch der mächtige Gebirgsstock des Risfjälls
die Szene, an dessen Südrand eine pittoresk anmutende, tief
in den Fels eingeschnittene Schlucht mit dem bezeichnenden Namen
"Trollskalet", also Trollschlucht, ins Auge fällt.
Durch
die Jahrhunderte diente dieser Ort bereits den Samen als Opferstätte.
Angenehmerweise
wird der Weg immer flacher und vor uns öffnet sich eine weite,
ungeschützte Hochfläche, links begrenzt durch die Kette
ineinander übergehender Gipfel des Marsfjälls. Rechts
fällt das Terrain in mehreren Stufen und nach Überwindung
kleinerer Zwischengipfel zum Moorgebiet des Svartsees ab.
Den
klimatischen Verhältnissen angepasst zeigt sich auch die Vegetation,
die sich in langen Wintern und häufigen Stürmen behaupten
muss. Nur noch Gräser und Flechten sind widerstandsfähig
genug, um hier heroben zu überleben.
Das
Wetter wird immer besser. Mehr und mehr dominiert das satte Blau
über mir und die wenigen, scharf gezeichneten weissen Wolken
ziehen ein munteres Mosaik von Licht und Schatten über die
weiten Flächen.
Hier
folgt der Sommerweg dem Winterweg, wodurch wir uns problemlos an
den Andreaskreuzen orientieren können. Ein paar kleine Sumpfgebiete
werden problemlos hangaufwärts umgangen. Sie werden von mehreren
Rinnsalen gespeist, die sanft über die Steine plätschern,
kleine glasklare Tümpel bilden und sich ihren Weg über
die grünen Wiesen langsam talabwärts suchen.
Nur
ein paar Meter neben dem Weg tritt das Wasser in einer Quelle aus
dem Erdreich hervor. Wir schöpfen es direkt mit einer "kåsa",
also dem Trinkbecher der Samen, aus Birkenholz geschnitzt und am
Gürtel getragen, und nehmen einen guten Schluck. Durch die
einzigartige Gesteinszusammensetzung von Serpentin und Mineralien
erreicht das Wasser einen PH-Wert von 10-12. Dadurch ist das Wasser
ganz besonders wohlschmeckend und erfrischend.
Kurze
Zeit später erreichen wir den Djupbach, der nur wenig weiter
unten durch einen selbstgeschaffenen Canyon, den er sich aus dem
losen Gestein der Gletschermoränen geschnitten hat, stürzt.
Nach
einem letzten sanften Abstieg öffnet sich das Land von neuem.
Das weite Tal mit den spiegelnden Wassern des langgestreckten Kultsees
breitet sich tief unter uns aus. Doch ehe wir uns auf den Weg hinunter
machen, wollen wir noch das Marsfjäll ersteigen.
Marsfjällskåta - Marsfjäll
Es
gibt zwei Möglichkeiten, auf den Gipfel zu gelangen. Entweder
man folgt dem markierten Weg zwei Kilometer talabwärts bis
zur kleinen Marsfjällskåta und biegt dort in spitzem
Winkel nach links auf den markierten Pfad zum Fusse des Marsfjälls
ab.
Oder
man wählt den direkten Weg, wozu wir uns entschliessen, da
das Wetter ausgezeichnet und das Gelände übersichtlich
ist. Dabei bleiben wir auf einer Linie, die in ungefähr 1000
Höhenmetern verläuft, und auf dieser queren wir hinüber
zum eigentlichen Pfad.
Wir
sollten diese Abkürzung nicht bereuen. Zum einen kommen wir
problemlos voran, zum anderen stossen wir in kleinen Bachsenken
auf malerische Wollgrasflächen, deren weisse, büschelhaften,
wolligen Köpfchen sich im Winde wiegen.
Auch
einige Rentierherden queren auf dem mit Flechten bewachsenen Hang
unseren Weg. Die Orientierung ist wirklich kein Problem, ein Bach
und das dunkle Band des Pfades zum Gipfel, der sich aus dem Tal
heraufwindet, weisen uns den Weg.
Ungefähr
sechshundert Meter über uns erhebt sich der mächtige Gipfel
des mit Geröllhalden bedeckten Marsfjälls. Im weichen
Licht der Nachmittagssonne lassen wir den Rucksack einfach stehen
und folgen dem Pfad über die letzten Wiesen. Mit dem Erreichen
der Steinwüste beginnt der Gipfelsturm.
Vor
allem im unteren Bereich ist der Weg durch grosse Steinbrocken verlegt.
Auf feinem Kieselgrund ist der Pfad deutlich ausgeprägt, aber
ebenso oft verläuft er sich in gröberem Terrain.
So
tasten wir uns anhand der zahlreichen Steinmänner stetig höher.
Allerdings ist von einer Besteigung des Gipfels bei Nebel eher abzuraten,
denn die Suche nach der nächsten Steinpyramide kann zu einem
nervenaufreibenden Irrlauf werden.
Lange
und gleichmässig zieht sich die Geröllhalde bis zum Gipfel,
bis nach knapp zwei Stunden vom Fusse des Berges aus gerechnet,
zahlreiche Steinmänner den höchsten Punkt (1589 m) unserer
Wanderung markieren.
Konnten
wir uns schon beim Aufstieg kaum an dem in immer weiter in die Ferne
rückenden Horizont im Westen und Süden satt sehen, so
tritt hier heroben wie auf einen Schlag das Panorama nun auch gegen
Norden und Osten hervor.
Die
exponierte Lage des Marsfjälls wird uns jetzt so richtig bewusst.
Jäh bricht der Berg mehrere hundert Meter tief nach Osten ab,
bildet tief unter mir einige Senken, die ehemals von Gletscherkraft
ausgeschürft wurden und wo heute Bergseen glitzern.
Die
Fernsicht ist an einem Tag wie heute phänomenal. Die tiefstehende
Sonne wirft nun lange, kalte Schatten auf die bunte Komposition
von türkisblauen Seen, dunklen, tiefen Urwäldern und die
hellen Flecken der Moosgebiete.
Im
Süden ist das Borgafjäll auszumachen, von dessen Nordhang
noch immer Schneefelder herüberblinken.
Die
Sonne verschwindet langsam hinter dem Horizont, nur der Widerschein
der Abendröte spiegelt sich im Kultsee, der still und friedvoll
im Tale ruht.
Jetzt
heisst es sich sputen um noch bei halbwegs gutem Licht einen Zeltplatz
zu finden.
Der
Mond taucht die Gegend in ein mystisches fahles Licht und wir schauen
noch lang in sein Licht und träumen von der Zeit, als hier
die ersten Siedler ihre Hütten errichteten und sich auf den
Winter vorbereiteten, dessen geballte Kraft sie mit wilden Stürmen
in seiner ganzen Wucht treffen sollte. Schliesslich zwingen uns
die Minusgrade in den Schlafsack.
Früh
schon kriechen wir aus den Federn, denn es verspricht wieder ein
herrlicher Tag zu werden. Die Bergspitzen glühen bereits im
Licht der Sonne, während die Täler noch in Schatten gehüllt
sind. Der feurige Ball der Sonne schiebt sich über den Horizont
und taucht mein Zelt in ein gleissendes Licht. Über dem See
hängen noch vereinzelte Nebelschwaden.
Knapp
eine Stunde benötigen wir für den knapp vier Kilometer
langen Abstieg hinunter zur Marsfjällskåta. Der schöne
Weg wird zusehends von Beeren-und Weidengestrüpp umgeben, als
uns die rote Hütte zwischen einigen Birken rot entgegenleuchtet.
Die
Marsfjällskåta ist einem Samenzelt nachempfunden . Es
handelt sich dabei um einen viereckigen Bau mit einem pyramidenförmig
zulaufenden Dach, aus dessen Spitze ein Ofenrohr ragt.
Flach
ziehen sich die grünen Almen zum Gebirge hin. Gut auszumachen
ist der markante Bergeinschnitt südlich des Marsfjälls.
Ein Weg führt von dort ins zwölf Kilometer entfernte Marsliden,
bekannt durch die Erzählungen des Bernhard Nordh.
Wir
marschieren auf unserem Weg weiter Richtung Fatmomakke, den alten
heiligen Ort der Samen. Der gut markierte Weg führt über
Holzbohlen in einen dichten Birkenwald, dessen Holzbruch von so
manchem Schneesturm erzählt. Dann folgt er einem kleinen Gewässer
mit Sandbuchten in einen Kieferwald.
Der
Weg fällt jetzt sukzessiv ab und passiert zwei mächtige
Hängebrücken, unter denen sich der rauschende Bach interessant
geformte Strukturen in den Fels gewaschen hat.
So
blitzt der Fatmomakkeviken, ein Seitenarm des Kultsees vor uns auf.
Ehrfürchtig spazieren wir kurze Zeit später zwischen den
Holzkaten der Samen umher, und lassen am Kultsee die Majestät
des Ortes auf uns einwirken.
Last
Updated: Donnerstag, 4. September 2008
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