Kanutour
in Schonen:
Raslången - Halen - Gillesjön - Filkesjön
- Immeln
Diese
Kanutour ist eine der südlichsten, leichtesten
und trotzdem besten Genusstouren die es hier in Schweden
gibt. Fünf Seen, nicht zu groß, außer
vielleicht dem Immeln, der mit seinen 30 km2 der größte
See in Schonen ist, werden miteinander kombiniert,
die Tour führt durch eine schöne Landschaft
aus Mischwald, wo dennoch an gewissen Stellen die
Kiefern dominieren, ein nicht zu unterschätzender
Vorteil wegen der Mücken im Sommer, und trotz
der hervorragenden Lage sind nur wenig Leute unterwegs.
Was will man mehr?
von
Eduard Nöstl
Ich
hatte schon viel von dieser Tour gehört und endlich
würde es so weit sein: Der Wetterbericht verlautbarte
gutes Wetter, das Kanu war schon auf dem Dach vom
Auto festgezurrt, die Provianttasche stand gut gefüllt
bereit, nur noch ein paar Kleinigkeiten mussten erledigt
werden, da treffe ich auf der Strasse meinen guten
Freund Ernst. In der Unterhaltung erwähne ich
so nebenbei, dass ich am Weg zum Immeln bin. "Was
zum Immeln? Uuuuuh, schlag dir das aus dem Kopf, der
See ist riesig und wenn es da bläst, hast du
nur Probleme. Viel besser ist es, die Tour beim Raslången
zu beginnen. Alltidhult heißt der Ort, dort
musst du wassern, das ist Genuss pur." Ernst
muss es wissen, er hat schließlich fünf
Jahre da oben gewohnt. Als wir uns verabschieden,
ermahnt er mich noch einmal: "Also, denk dran,
Alltidhult".
Ok.
Ich setze mich ins Auto und fahre die hundert Kilometer
von Lund nach Olofström. Olofström ist einer
der beiden Hauptorte an dieser Route. Hier gibt es
auch einen Kanuverleih am Campingplatz, den will ich
mir anschauen. Olofström ist gar nicht so klein,
bei der Shell Tankstelle frage ich nach dem Campingplatz.
Am Volvowerk vorbei und dann links, kannst du gar
nicht verfehlen. Na ja, nach einigen kleineren Problemen
stehe ich am See und in der Rezeption des Campingplatzes
kaufe ich gleich die Kanukarte für meine Tour.
Die Kanus zum mieten sind Linden Aluboote. Direkt
am See kann man die Kanus von Stegen aus wassern.
Trotzdem
will ich nach Alltidhult, um einen möglichst
optimalen Start für meine Tour zu haben. Von
Olofström sind das gerade einmal zehn Minuten
und schon bin ich an der Brücke, die über
den Bach führt, der den Halensee und den Raslången
miteinander verbindet. Ich inspiziere kurz die Landestelle
im Halensee, laut Plan gibt es hier ein Trockenklo,
stimmt, ist auch gut gelüftet und Papier ist
ebenfalls ausreichend vorhanden. Am See sind zwei
Baumstämme ins Wasser gelegt worden, sodass man
hier da Kanu leicht aus dem Wasser herausziehen und
/oder hinein schieben kann. Schön, wenn Leute
mitdenken.
Ich
fahre die fünfhundert Meter den Bach entlang
zum Parkplatz an der alten Schule. Hier gibt es Frischwasser
aus einem Schlauch direkt neben der Treppe und daneben
in einem Schuppen eine Waschgelegenheit. Die wird
mir noch gute Dienste leisten.
Doch
zuerst wird einmal das Auto entleert und alle Utensilien
aufgestellt, damit bloß nichts vergessen wird.
Ein ganz schöner Haufen türmt sich da auf.
Aber das ist ja das Schöne bei Kanutouren, man
braucht das alles nicht selber zu schleppen, wie bei
den Wanderungen. Aber ob ich wirklich drei Bücher
mitnehmen soll? Egal, ich halte es mit meinem großen
Idol Somerset Maugham, der auf seinen ausgedehnten
Reisen in den Fernen Osten einen ganzen Sack voller
Bücher mitgeschleppt hat und der gemeint hat,
bevor er gar nichts liest, schaut er sich ein Telefonbuch
durch und kann manch gute Kurzweil daraus holen.
Mein
Kanuwägelchen bewährt sich: Es sind immerhin
noch einmal gute hundertfünfzig Meter runter
zum Ufer des Raslången, aber der Weg ist breit
und eigentlich sollte es klappen. Gleich von der Strasse
weg blühen meine Lieblingsblumen, Lupinen, links
und rechts des Wegs. Echt ein guter Anfang dieser
Tour.
Jetzt
ist nur noch ein Zaun zu überwinden - zum Glück
führt eine Art Holzbrücke da drüber,
sodass ich das Kanu mit allem Gepäck zuerst ziehen
und dann schieben kann, und schon stehe ich am Ufer
des Raslången. Das Wasser ist blitzblank und
liegt wie ein Spiegel. Wieder einmal hat sich die
alte Kanuweisheit bestätigt: Am Abend und in
der Früh ist das Wasser am ruhigsten.
Der
Raslångensee
Der
Wasserspiegel scheint extrem niedrig zu sein, denn
der Steg rechterhand steht praktisch völlig am
Trockenen. Daher schiebe ich das Kanu einfach ins
Wasser, ich habe meine Stiefel an und kann daher das
Kanu in Ruhe beladen. Ach ja, ich habe ein Trapper
Kanu 450, also die Miniausführung, aber das passt
mir ganz gut, denn da ich die meiste Zeit allein unterwegs
bin, brauche ich kein größeres. Auch so
ist genug Platz für Zelt, Rucksack, wasserdichten
Seesack für Schlafsack, Trainingsanzug, Mütze
und was sonst noch nicht nass werden darf sollte ein
Regenguss kommen oder eine unfreiwillige Landung im
See, Wasserkanister, Reservepaddel, Kanuwägelchen
und Essenstasche. Jetzt noch alles festgezurrt, damit
nichts verloren geht, sollte ich umschmeißen,
und schon kann’s losgehen.
Ich
habe mir schon vorher in Ruhe die Karte angeschaut
und paddle daher erst einmal weg vom Ausfluss des
Sees, was aber überhaupt kein Problem ist, da
der Bach fast gar keine Strömung verursacht.
Ich halte mich am Ufer und versuche den Rhythmus des
Paddels zu finden. Natürlich hat es seine Vorteile,
wenn man zu zweit unterwegs ist: die Kameradschaft,
man hat immer jemanden zum Scherzen und zum Unterhalten,
überhaupt geteiltes Leid ist immer noch halbes
Leid, andererseits, wenn man so allein unterwegs ist,
dann kann man sich auf die Umgebung konzentrieren,
die Natur, das Erleben an sich, man kann einem Reiher
nachschauen, oder einem Bussard, man sieht alle Naturereignisse
viel intensiver und fühlt sich eins mit der Umgebung.
Wie immer gilt es die goldene Mitte zu finden. Wenn
man so allein unterwegs ist, besteht die größte
Gefahr, zumindest für mich, darin, dass ich mich
total auspowere und dann schlecht drauf bin, wenn
ich meinen dadurch aufgebauten Frust nicht loswerden
kann.
Aber
hier und heute ist einfach alles paletti und schon
nach den ersten fünfzig Metern habe ich mich
zurechtgefunden, ich sitze bequem, es ist sieben Uhr
am Abend und die Sonne steht immer noch hoch am Himmel,
jetzt, zwei Wochen vor Mittsommer ist überhaupt
die schönste Zeit, wenn man noch auf die Sommersonnenwende
zugeht und sich erwartungsvoll dem Sommer hingeben
kann ohne schon von den dunklen Gedanken der Urangst
vor dem feuchten Herbst und dem folgenden finsteren
Winter deprimiert zu werden.
Die
Gegend hier ist Grenzgebiet zwischen Schonen und Blekinge.
Olofström ist Blekinge und Immeln Schonen, daher
wechseln sich Bauernland, also Kulturlandschaft und
Laubwald ab, aber immer wieder mit Einschlägen
von Kiefern, besonders am Ufer, was mir ausgezeichnet
passt, denn ich sehe zwar Eichen und Buchen gern,
aber für mein Zelt ist mir ein Kiefernwäldchen
doch am liebsten. Ich mag Kiefern, denn sie sind nicht
nur schön anzuschauen, wenn sie sich mit ihrem
hellen Stamm und den dunkelgrünen Kronen gegen
den blauen Himmel abzeichnen, sie sind für mich
die idealen Kletterbäume und überhaupt mit
ihren langen Nadeln sorgen sie dafür, dass der
Boden schön weich wird, wenn man einmal seine
Liegematte vergessen hat.
Rechterhand
und am gegenüberliegenden Ufer grüssen zwei
prächtige Bauernhöfe. Die Grundmauern der
Bauernhöfe hier sind aus riesigen Steinen errichtet,
was ihnen ein imposantes Gepräge verleiht, behäbig
und stark sehen sie aus, wie auch die Bauern hier
in den nördlichen Gegenden überhaupt widerstandsfähig
sein mussten, weitab von der nächsten Ortschaft
und völlig auf sich allein gestellt. Schon typisch
schwedisch ist die rote Farbe der Scheunen und Stallungen.
Am
anderen Ufer stehen ein paar Ackergäule bis zum
Bauch im Wasser und suchen so Abkühlung und wohl
auch Schutz vor den Bremsen. Es ist warm, so um die
zwanzig Grad und mir scheint alles ideal zu stimmen.
Immer
weiter treibt mein Paddel das Kanu in den kleinen
Fjord hinauf, den der Ausläufer des Sees hier
bildet. Auf der Karte steht Blankaviken, und dieser
Name macht der Bucht alle Ehre, spiegelblank und abseits
von allem Getöse ist der See eine wahre Oase
des ruhigen, ungestörten Glücks. Weiter
vorn sehe ich bereits eine Halbinsel, die sich in
die Bucht hinein schiebt. Mit Kiefern bewachsen und
gesäumt von grauen Felsen scheint sie mir für
die erste Nacht Quartier anzubieten.
Als
ich näherkomme, sehe ich allerdings bereits ein
Handtuch in der Abendbrise flattern und mir schwant
nichts Gutes, und wirklich, auf einem Felsvorsprung
haben es sich zwei Männer auf ihren Klappstühlen
in der Abendsonne bequem gemacht und zwischen zwei
Büschen sehe ich ihr Kanu. Weiter hinten auf
der Anhöhe zwischen zwei Kiefern leuchtet das
grüne Zelt hervor.
ich
winke ihnen zu und sie heben schlapp die Hand zum
Gruß. Ich paddle weiter und schon in ungefähr
fünfzig Meter Entfernung entdecke ich eine kleine
Insel, die vom Ufer nur durch ein paar verstreute
Felsen getrennt ist. Bewachsen mit Kiefern, erhebt
sie sich einladend und badet in der Abendsonne, die
den grauen Fels hell erglänzen lässt. Eines
habe ich ja aus meinen früheren Wanderungen und
Kanutouren mitgebracht: Ich werde mich nur selten
ärgern, wenn ich einen schönen Platz bereits
besetzt vorfinde, denn es gibt immer wieder neue schöne
Stellen zu entdecken. Oft sogar mit etwas Glück
noch schönere und passendere.
So
auch jetzt, denn ich sehe sofort, dass mich hier eine
Perle unter den Übernachtungsplätzen erwartet:
Ich umrunde die Insel, das heißt, ich paddle
bis zu den Felsen und dann halte ich mich links, denn
Richtung Ufer ist zu wenig Wasser, da gibt es kein
Durchkommen. Auch von der Rückseite her bestätigt
sich mein Eindruck: wie für mich geschaffen.
Ich lege an, ziehe das Boot über die Felsen hoch.
Hm, die haben ganz schön scharfe Kanten und die
sind jetzt gelb von der Farbe meines Kanus. Na ja,
so ist es eben. Da darf man sich nichts draus machen.
Ein
kleiner Pfad führt von meinem Anlegeplatz auf
die Krönung der Insel. Dort oben die nächste
positive Überraschung, ein kleiner Kreis aus
Steinen kennzeichnet eine Feuerstelle. Kurz davor
ein flacher Platz für das Zelt. Ein Zaunkönig
hat auf einem Felsen im Wasser Platz genommen und
beobachtet interessiert mein geschäftiges Treiben,
die Ameisen haben es eilig, ihren Zeitplan einzuhalten.
Binnen
fünf Minuten steht das Zelt, Rucksack und Schlafsack
sind gleich einmal hineingeworfen und jetzt geht es
ans Abendessen. Was gibt es heute Gutes? Eigentlich
habe ich ja nun nicht gerade viel geleistet, daher
entscheide ich mich für eine Suppe und ein paar
Wurstbrote. Wer weiß, was auf der Tour noch
auf mich wartet, daher ist es sicher besser, wenn
ich mit den guten Sachen warte, bis ich sie verdient
habe. Ich suche mir ein Plätzchen am Ufer auf
einer der Felsplatten, mein Trangiakocher hat mich
noch nie im Stich gelassen und auch heute erfüllt
er wieder die Erwartungen, die in ihn gestellt werden
perfekt und schon bald sitze ich mit vollem Bauch
da und starre ins Wasser, höre den Vögeln
zu und sehe den einen oder anderen Fisch springen.
Der Raslången und auch der Halen und der Immeln
sind enorm fischreich, das kann ich immer wieder auf
dieser Tour merken. Für Halen und Immeln ist
keine Angelkarte nötig, für die anderen
drei Seen braucht man eine. Die kann man gleich bei
der Kanumiete dazukaufen.
Von
der Nachbarinsel ist kein Laut zu hören, also
kann ich mich wirklich als Herr der Natur fühlen.
Herr oder nicht, es ist einfach herrlich hier zu sitzen
und in vollen Zügen die Freiheit zu genießen.
Kein Zwang, jetzt nach dem Essen abzuwaschen, keine
Nachrichten im Fernsehen, die einem den Abend vergällen,
keine Wettervorhersage, die den geplanten Tagesausflug
zunichte macht. Es gibt nur das Hier und Jetzt und
sonst gar nichts.
Nach
einiger Zeit mache ich mich auf, um ein bisschen Holz
fürs Lagerfeuer zu sammeln. Das gehört einfach
dazu, zumindest solange ich wie heute noch nicht zu
müde dafür bin. Es ist zwar immer noch taghell
und die Sonne macht sich erst jetzt langsam daran,
hinter dem gegenüberliegenden Ufer zu verschwinden,
aber ich will nicht länger warten und entzünde
mein kleines Feuerchen. Es ist alles trocken und daher
ist es wirklich keine Kunst, die Äste zum Brennen
zu bringen. Außerdem ist es eine nette Beschäftigung,
trockene Äste zu sammeln und immer wieder nachzulegen.
Ich
hole ein kleines Liederbuch hervor und singe ein paar
meiner Lieblingslieder. Nicht laut, nur so, eher gesummt
als gesungen, aber laut genug, um mir das Gefühl
der Einsamkeit zu nehmen. Im Refrain scheint mir,
dass Kameraden und Freunde aus der Kindheit, die mit
mir diese Lieder jedes Jahr auf den Lagern gesungen
haben laut einstimmen und begeistert mitsingen.
Gegen elf Uhr lege ich kein Holz mehr nach sondern
sehe nur zu, wie die Holzscheite zu Asche verglimmen.
Ein leises Aufflackern, ein letzter Gruß an
die Welt, und dann verlischt auch der letzte Ast.
Trotz der späten Stunde ist es nur ein wenig
dämmrig geworden und ich finde mühelos den
Pfad zum Zelt. Der Schlafsack wird ausgerollt, die
Liegematte ist nicht mitgekommen, aber ich freue mich
schon auf die Ruhe und nach einem letzten Schluck
aus der Wasserflasche rolle ich mich im Schlafsack
zusammen und schlafe sofort ein.
Am
nächsten Tag werde ich schon früh munter,
06.30, und voller Tatendrang springe ich aus dem Schlafsack,
um einen Blick vor das Zelt zu tun. Na ja, wenigstens
regnet es nicht, eigentlich ist das Wetter gar nicht
so schlecht, es ist zwar grau aber mit blauen Fenstern,
wenn man nur weit genug schaut. Wird sicher besser
werden, zuerst einmal brauche ich einen Kaffee. Ich
habe speziell für diese Tour einen tiefen Griff
in die Geldbörse getan und mir lauter verschiedene
Kaffeesorten einpacken lassen: Heute steht ein Cappuccino
Caramel auf der Frühstückskarte, dazu esse
ich glatt drei Marmeladebrote. Aha, man merkt, das
Paddeln macht hungrig.
Es
ist kühl und etwas windig, der Spatengang wird
auf später verschoben, hier auf dem kleinen Inselchen
scheint mir nicht der rechte Ort dafür zu sein.
Außerdem will ich noch in die Bucht ganz hinauf
fahren, denn dort gibt es laut Karte einen offiziellen
Lagerplatz, und da sollte doch eigentlich ein Plumpsklo
sein. Das Lager abbrechen geht schon routiniert vonstatten,
die Ameisen müssen halt vom Zelt gekehrt werden,
aber das war auch schon das einzige Negative an diesem
Lagerplatz. Eine Stunde später sitze ich zufrieden
im Kanu und paddle gemütlich die hundert Meter
zum nördlichen Ufer. Dort ist zwar ein Lagerplatz
und eine Feuerstelle, aber kein Klo. Hm, da ich sowieso
die Bucht wieder retour muss, werde ich das in Alltidhult
erledigen und gleich auch eine kleine Waschung vornehmen.
Außerdem kommt gleich auch überschüssiges
Gepäck (Bücher, Schuhe, Fototasche) ins
Auto.
Um
09.30 Uhr kommen bereits die ersten Sonnenstrahlen
durch. Ich bin schon wieder unterwegs und paddle langsam
aber stetig auf mein heutiges Ziel Baggebro, also
den Übergang zum nächsten See, den Gillesee,
zu. Dabei komme ich am Rastplatz Havudden vorbei,
dessen Einfahrt von riesigen Steinblöcken gesäumt
und somit gut sichtbar ist. Auch ein kleines Hüttchen,
das rot bemalt ist, ist bereits von weitem auszunehmen.
Speziell für Gruppen scheint mir dieser Lagerplatz
ideal zu sein. Eine große ebene Wiese, Windschutz,
alles da. Kurz vorher haben mich die zwei Kanuten
von gestern auf der Insel überholt. Ihr Kanu
ist voll bepackt und sie sind wirklich gut ausgerüstet
mit wasserfesten Tonnen und sie paddeln sogar mit
Handschuhen. Wahrscheinlich damit sie keine Blasen
auf den Händen kriegen.
Um
11.30 Uhr mache ich die erste Rast für heute
an einem der vielen schönen Plätzchen, die
sich entlang der Route anbieten. Hier herrscht ziemlicher
Gegenwind, weil der See sich zu einem Sund verengt
und daher kommt mir die Pause gerade recht. War es
am Vormittag noch ziemlich kühl gewesen, brennt
jetzt die Sonne richtig herunter und es wird fast
schwül. Drei Wildgänse tauchen aus dem Nichts
aus und kommen neugierig näher. Ich merke jetzt,
wie der Gegenwind an meinen Kräften gezehrt hat
und ich mache mir zwei richtig schöne dicke Speckbrote
und für den Flüssigkeitshaushalt gibt’s
grünen Tee.
Um
13.00 bin ich bei der Brücke - die letzten zwanzig
Meter war der See nur mehr höchstens zehn Meter
breit und hier an der Brücke lege ich an auf
der rechten Seite an, denn nach der Karte sollte es
hier eine Umtragestelle geben. Das Kanu wird an der
Brücke vertäut und ich mache mich ans Rekognoszieren.
Schon nach einigen Schritten werde ich stutzig, mir
schwant nichts Gutes: es ist schon ein Pfad da, aber
der führt extrem steil den Hang hinauf und nicht
nur das, er ist mit spitzen Felsen gespickt. Hier
werde ich trotz Kanuwägelchen allein kaum Glück
haben und das Kanu raufziehen können. Vielleicht
ein Mietkanu, aber das eigene, nein. Ich gehe trotzdem
hinunter zum Gillesee, das Ufer ist sehr steil und
es gibt eigentlich keinen passenden Platz fürs
Wassern. Kopfschüttelnd gehe ich zurück
zum Kanu.
Wenn
ich jetzt ein bisschen gescheit gewesen wäre
und ein wenig mitgedacht hätte, dann hätte
ich wohl doch die andere Seite in Augenschein genommen,
aber nein, sklavisch wird der Karte geglaubt und ich
könnte mir höchstens vorstellen, das Kanu
hochzuheben und durch die Öffnung der Brücke
bzw. des Dammes, der hier den einen See vom anderen
trennt durchzuschieben, doch allein beim Gedanken
an die Mühe schwindelt mir. Daher wird das Kanu
wieder losgemacht und ich paddle zurück zum Raslången.
Mal sehen, ich kann ja diesen See immer noch ein wenig
besser erforschen.
Total
in Gedanken paddle ich auf der rechten Seite, der
Ostseite des Sees zurück Richtung Foglabacken.
Ungefähr auf halber Strecke liegt die Insel Kiön.
Relativ hoch, sicher zwanzig Meter über dem Wasserspiegel
am höchsten Punkt, von Kiefern bewachsen, weckt
sie mein Interesse und gleich beim Näherkommen
fällt mir ein steiler Felsabfall auf, der ca.
zehn Meter direkt ins Wasser abfällt. Kurz vorher
gibt es eine gute Stelle zum anlegen. Ich mache das
Kanu fest und gehe an Land. Wirklich, meine Nase hat
mich nicht betrogen - ein toller Lagerplatz, allerdings
nicht mehr offiziell, der Lagerplatz wurde laut Schild
aufgelassen, aber ich denke, hier wird man sicher
eine Nacht oder so bleiben können. Die alte Feuerstelle
ist noch intakt und Fallholz gibt es auch genug. Hier
auf der Kiön lässt es sich sicher gut aushalten.
Nach
einer kurzen Inspektion der Insel paddle ich weiter
Richtung Fuglabacken. Der Charakter der Landschaft
total verschieden vom Blankaviken am Morgen. Eichen
und Buchen säumen den See, das Wasser ist klar
und am Boden des Sees ist jeder einzelne kleine Stein
des Schotters auszunehmen. Ich lege um 14.15 Uhr in
der Bucht an, auch hier gibt es einen Lagerplatz,
doch schon nach kurzer Zeit ergreife ich die Flucht.
Wie befürchtet bei zu viel Grün - Mücken
zu Hauf. Dafür entschädigen mich die Seerosen,
die hier massenweise blühen.
Wieder
draußen auf dem Wasser denke ich mir, nun gut,
wenn ich schon den See entdecken will, dann ordentlich
und ich stake mich fast durch zwischen der Halbinsel
die sich linkerhand ganz nah heranschmiegt und dem
Festland, es sind vielleicht acht Meter nur und da
so wenig Wasser im See ist, habe ich fast die Befürchtung,
dass ich mit dem Kanu aufsitzen könnte. Doch
nein, es geht sich aus und nach ungefähr zwanzig
Metern verbreitert sich der See wieder und ich kann
in Ruhe weiterpaddeln. Das Ufer ist wieder mit Laubbäumen
bewachsen und verschilft. Gut, dass ich hier kein
Lager suchen muss. Schon nach einigen wenigen Minuten
bin ich in Bökestad.
Ich
lege an und steige aus um mir ein wenig die Beine
zu vertreten. Auch hier gibt es einen Lagerplatz mit
Windverschlag und Feuerstelle, der zugleich von den
Wanderern des Skåneleden, des Schonenweitwanderwegs,
der hier vorbeiführt, benutzt werden kann. Bin
ich froh, dass ich hier nicht übernachten muss!
So viele Mücken, da braucht man schon einen guten
Mückenspray, damit man sich wehren kann. Ich
höre Stimmen und nach ein paar Schritten bin
ich mitten in einer Gruppe Mountainbiker, die gerade
diskutieren, ob sie weiterfahren sollen oder nicht.
Auf meine Frage erklären sie, dass sie den Schonenwanderweg
abfahren, aber hier sind ihnen zu viele Mücken.
Schon nach kurzer Zeit schwingen sie sich in den Sattel
und treten in die Pedale.
Auch
ich mache mich wieder auf den Weg. Zurück nach
Fuglabacken und dann den See entlang nach Bökestad.
Boafalls Brygga ist ebenfalls ein Lagerplatz, er sieht
aber nicht sehr einladend aus, daher fahre ich lieber
weiter zu einer Wiese bei einem Holzstoss. Hier müsste
es schön sein für eine Gruppe geht es mir
durch den Kopf als ich die flache Wiese, die von Fichtenwald
umgeben ist, betrete. Doch ein Blick auf die Uhr lässt
mich gleich wieder aufbrechen. Es ist schon fünf
und ich habe noch den ganzen See vor mir wenn ich
wieder zu meinem Plätzchen von gestern kommen
will. Um sieben bin ich da und heute schlage ich mein
Zelt auf der Halbinsel auf, wo gestern die anderen
beiden Paddler gezeltet hatten.
Zum
Glück finde ich einen schönen ebenen Platz
für mein Zelt, heute erspare ich mir das Feuermachen
und mache mich lieber gleich über die Essenstasche
her. Kidneybohnen und Aprikosencreme als Nachtisch
scheinen mir passend nach diesem doch recht anstrengenden
Tag im Kanu. Lange halte ich es heute in der Abendsonne
nicht aus, ich krieche ziemlich früh in den Schlafsack
und schlafe sofort ein.
Der
Halensee
Der
neue Tag beginnt im Sonnenschein bei etwa zwanzig
Grad. Nach dem Frühstück paddle ich wieder
runter nach Alltidhult und nehme mir für heute
den Halensee vor. Der Halen ist grösser als der
Raslången aber auch relativ schmal, daher ist
er nicht sehr windanfällig, was für uns
Kanufahrer immer gut ist. Ich beschließe den
See zu umrunden und paddle zuerst in Richtung Tvätthallarna,
einen Rastplatz, der auf der Karte eingezeichnet ist.
In einer Bucht kreist ein Mann in einem kleinen roten
Gummiboot. Wie sich nach den ersten Worten herausstellt,
handelt es sich dabei um einen polnischen Angler.
Er ist vom Halen begeistert und zeigt mir seinen Fang:
ein schöner Hecht von vierzig Zentimeter und
einige kleinere Weissfische.
In
Tvätthallarna gibt es immerhin Latrinen und der
Rastplatz ist gut in Schuss. Wie überhaupt die
Rastplätze hier in Blekinge recht gepflegt und
sauber sind, trotzdem hier doch einige Kanupaddler
vorbei kommen müssen. Weiter geht es Richtung
Olofström, doch vorher noch am Bergatorpet, einem
weiteren Rastplatz, vorbei. Kurz vor Bergatorpet komme
ich an einer Einfahrt zu einem kleinen Teich, dem
Lådfogdegylet vorbei. Die Zufahrt zum Lagerplatz
ist etwas versteckt hinter großen Steinen. Der
Lagerplatz ist geschützt von Buchen und Kiefern.
Richtung
Olofström liegen zwei Inseln auf dem Weg, die
Söderön und die Norrön, beide haben
felsiges Ufer und sind von Kiefern bewachsen. Auf
der Söderön gibt es einige schöne Anlegestellen
mit Superblick über den See. Um drei Uhr am Nachmittag
vertäue ich mein Kanu am Steg des Kanucenters
in Olofström und ich mache einen Spaziergang
zum Campingplatz. Wie zu erfahren ist, können
Kanupaddler die Duschen und Waschgelegenheiten vom
Campingplatz mitbenützen. Das ist natürlich
gut zu wissen. Jetzt in der Vorsaison ist nicht viel
los, daher sitze ich bald wieder im Kanu und paddle
zurück nach Alltidhult. Diesmal auf dem direkten
Weg, das heißt ich umrunde die Insel Norrön
von Norden und halte dann geradeaus auf den weißen
Stamm einer abgestorbenen Birke zu. Sonst ist der
Anlegeplatz gar nicht so leicht zu finden, denn aus
der Ferne präsentiert sich das Ufer nur als grüne
Wand.
Von
Alltidhult nehme ich das Auto und fahre damit zum
Filkesee um von da meine Fahrt fortzusetzen. Vorher
fahre ich noch beim Abrahamsviken vorbei, einem Lagerplatz
am Filkesee, doch durch den niedrigen Wasserstand
wären von hier zehn Meter schlammiger Boden übersät
mit spitzen Steinen zu überwinden, um das Kanu
in tieferes Wasser zu schieben. Daher fahre ich gleich
weiter Rastplatz Filkesjön, der wiederum gleich
neben dem Bach, der vom Immeln hier in den Filkesee
mündet, liegt. Das Auto muss ich allerdings an
einem Parkplatz am Schranken stehen lassen und wieder
freue ich mich über mein Kanuwägelchen.
Dieser
Platz ist nicht so gut in Schuss wie die anderen am
Raslången und am Halen. Er ist ein bisschen
vergammelt und einige umgestürzte Bäume
erhöhen auch nicht gerade das Wohlgefühl.
Trotzdem - es gibt Feuerstellen und eine flache mit
Gras bewachsene Stelle, wo ich mein Zelt aufstelle.
Autsch, die Mücken hier sind ganz schön
aggressiv, und ich benütze sofort meinen Mückenstift
Marke MyggA. Das hilft. Die Mücken hier sind
zwar bei weitem nicht so zahlreich und aggressiv wie
im Norden, das ist kein Vergleich, doch stechen tun
sie ja trotzdem, und da ist immer unangenehm. Daher
zahlt sich ein Mückenschutzmittel allemal aus.
Sobald
das Zelt steht, wird der Reißverschluss fest
zugezippt und da es sowieso schon acht Uhr ist hält
sich meine Entedeckungsfreude in Grenzen und ich mache
mich an die Zubereitung vom Abendessen, es gibt Fruchtsuppe.
Das reicht. Kurz vor dem Einschlafen fällt mir
ein, dass mir heute den ganzen Tag kein einziges Kanu
begegnet ist. Und das am schwedischen Nationalfeiertag,
dem 6. Juni! Bei einer kleinen Rekapitulation meiner
Ausrüstung muss ich eingestehen, dass ich eigentlich
schon viel zu viel mitgenommen habe. Zuviel an Bekleidung,
an Büchern, an Schuhen, an Essen, von allem eigentlich.
Nur beim Wasser habe ich genau getroffen. 10 Liter
für fünf Tage bei einer Person, das passt
genau.
Oha,
heute habe ich aber ordentlich geschlafen - als ich
das erste Mal auf die Uhr schaue, ist es bereits neun
Uhr vorbei. Eigentlich halb zehn. Na ja, mich treibt
ja nichts, der Körper hat es wahrscheinlich gebraucht.
Kanupaddeln ist halt einmal ein anstrengender Sport,
bei dem der ganze Körper gefordert wird. Auch
wenn man glaubt, man sitzt eh die ganze Zeit, so muss
man doch mit den Oberschenkeln balancieren und wenn
man da nicht aufpasst, dann hat man bald einmal einen
Krampf im Bein.
Der
Filkesee
Um
elf sitze ich wieder im Kanu, diesmal auf dem Filkesee,
der eigentlich gar nicht so übel ist. Wie so
ein kleiner Waldsee, mit zwei Inseln in der Mitte,
wovon sich die eine links von meiner Route zum Übernachten
eignet. Zumindest besser als der Abrahamsviken. Bei
der Durchfahrt zwischen den Inseln ist durch das wenige
Wasser die Gefahr groß, aufzusitzen. Doch ich
habe Glück, es rumpelt nur ein paar Mal, aber
das war auch schon alles.
Schon
nach einer halben Stunde bin ich am Getatorpet, von
hier geht die Verbindung rüber zum Gillesee.
Man sieht das relativ gut, weil die Giebelseite des
Hauses zum Wasser steht und ebenso wie die Scheune
rot bemalt ist. Ein Fischadler zieht über mir
seine Kreise und hält Ausschau nach Entenjungen.
Die Möwen wiederum greifen den Fischadler an
und die Krähen die Möwen. Die Natur ist
wirklich ein ständiges fressen und gefressen
werden. Wenn einer Entenmutter von sechs Jungen eines
bleibt, kann sie von Glück reden. Fressen und
für Nachkommen sorgen, das ist und bleibt die
Aufgabe der Natur.
Ich
lege am Steg an und vertäue mein Kanu. Zu Fuß
mache ich mich auf, den Übergang vom Filke- zum
Gillesee zu inspizieren. Dieser Übergang vom
Fylkesee zum Gillesee erstaunt mich: ein ganz toller
mit Holzbrettern und zwei Holzschienen gebauter Weg
führt den Hügel hinauf und auf der anderen
Seite wieder hinunter. Für alle, die den Film
Fitzcaraldo mit Klaus Kinski gesehen haben und wie
in diesem Film ein ganzes Dampfschiff durch den Dschungel
des Amazonas verfrachtet wird - so sieht es hier auch
aus - nur im Kleinformat.
Drüben
am Gillesee ebenfalls extrem wenig Wasser und der
Eingang in den See ist von spitzen Steinen gesäumt.
Nein, hier ist es mir schade um mein Boot. Ich spaziere
wieder zurück zum Fylkesee und paddle zurück
nach Richtung Brotorpet. Jetzt habe ich Größeres
vor: der Immeln erwartet mich.
Der
Immelnsee
Wie
eingangs erwähnt, ist der Immeln der größte
See Schonens und zugleich auch das Trinkwasserreservoir
für Grosstädte wie Malmö und Lund.
Ich bin schon gespannt. Doch erst einmal heißt
es das Kanu verfrachten, d.h. auf das Wägelchen
stellen, festzurren, inzwischen versuche ich das Wägelchen
so mittig wie möglich anzubringen, denn auch
wenn es leichter ist, das Kanu nur am Vordersteven
raufzustellen, wird das Boot dadurch richtig schwer
beim Schieben oder ziehen, wenn das ganze Gepäck
drinnen ist. Daher probiere ich es jetzt so, dass
ich das Kanu umdrehe, das Wägelchen in der Kanumitte
drauf binde und dann umdrehe. Es klappt gar nicht
so schlecht, und ich bin zufrieden.
Das
Kanu die zweihundert Meter zur Strasse zu schieben
ist kein Problem, dann rechts abbiegen, über
die Brücke, dann scharf links den Hügel
hinauf am Haus Brotorpet vorbei und schon habe ich
den Immeln vor mir. Ja, das ist ein ganz anderer Anblick
als die anderen kleinen Seen. Der ist nun wirklich
groß. Ein sehr schöner Badeplatz mit Sandstrand
und Volleyballnetz lockt, einige Stege sind da und
ein großer Lagerplatz. Die Latrinenhäuschen
sind gleich neben dem Weg in der Nähe vom Brunnen.
Doch der ist leer. Also ich kann am Brunnenhebel so
viel rauf ziehen und runterdrücken wie ich will,
es tut sich nichts. Kein Tropfen Wasser.
Auch
gut, mir soll’s recht sein. Ich habe ja meinen
Wasserkanister - nur wie da andere tun, die sich drauf
verlassen, dass es hier Frischwasser gibt? Später
werde ich hören, dass man ganz einfach zum Haus
geht, anklopft, und fragt, ob man nicht ein wenig
Wasser haben kann. Das mag ja gehen, wenn man allein
oder zu zweit unterwegs ist, doch was tun Gruppen?
Um
13.00 Uhr lege ich im Immeln ab. Die Sonne scheint,
es hat ca. fünfundzwanzig Grad. Leider bläst
ein Südwind, doch hier heroben am oberen Ende
des Sees sind zahlreiche Inseln, dadurch kann ich
mich bald ins Lee begeben. Als ich um die Insel Högön
herumkomme, bläst mir der Wind direkt ins Gesicht
und ich verstehe meinen Freund Ernst und weiss jetzt,
was er gemeint hat. Der See ist langgestreckt und
bei Südwind fährt der Wind ordentlich hinein
und hat die ganze Länge des Sees, um sich darauf
austoben zu können. Nicht dass besonders hohe
Wellen wären, aber trotzdem. Ein Blick auf die
Uhr macht mir die Entscheidung leicht: es ist 15.30
Uhr und daher sehe ich mich suchend um nach einem
Rastplätzchen um. Glück muss der Mensch
haben!
Gleich
zwischen Högön und Ekön befindet sich
eine windgeschützte Anlegestelle und auf der
Högön bietet sich ein Superlagerplatz unter
Kiefern an. Groß, sicher fünfundzwanzig
mal zehn Meter. Hier lässt es sich aushalten
und daher beschließe ich, hier vorerst einmal
einen Tee zu trinken. Das Boot wird an Land gezogen,
die Essenstasche mit dem Kocher auf einem Felsen platziert
und schon ein paar Minuten später sitze ich gemütlich
mit dem Rücken an einen Stein gelehnt und schaue
über den See.
Nach
ein paar Minuten wohlverdienter Rast denke ich, heute
ist es an der Zeit für ein Festessen: Soldatens
Ärtsoppa, also Erbensuppe, verfeinert mit
Fleisch, soll es geben und als Nachtisch koche ich
mir eine Erdbeercreme und zur Abrundung gibt es einen
guten Kaffee mit Vanillegeschmack. Dann mit vollem
Bauch und aller Zeit der Welt lasse ich es mir gut
gehen. Blauer Himmel, die Wellen klatschen leise an
den Strand, es ist völlig still, weder Auto noch
Flugzeug stören, die Sonne steht hoch droben
am Himmel.
Rousseau
du hast recht gehabt: Was treibt die Menschen nur,
dass sie raffen und gieren, sich selber und alle,
die ihnen lieb sind, dadurch verrückt wenn nicht
sogar krank machen, und schließlich ins Grab,
wenn das Leben so schön sein kann? Ok, ich weiß,
die Fabel von der Ameise und der Grille, die habe
ich auch gelesen. Trotzdem, jetzt im Sommer bin ich
lieber eine Grille, zum Ameisensein ist immer noch
genug Zeit, wenn der Regen herunterprasselt und der
Nebel die Sicht auf ein paar Meter einschränkt.
Außerdem - was wäre wirklich, wenn die
Menschen ein bisschen weniger von allem verbrauchen
würden, was da ist? Wir sind doch trotz allem
ein Teil der Natur, wir wollen wie die anderen Lebewesen
essen und für Nachkommen sorgen.
Ich
sehe auf das gegenüberliegende Ufer, wo einige
Häuser stehen. Kein Mensch ist zu sehen. Offensichtlich
Sommerhäuser. Eigentlich schade drum. Wovor haben
die Leute nur solche Angst? Um den Arbeitsplatz? Oder
haben sie sich so an den hohen Standard gewohnt, dass
sie glauben, mit weniger geht es nicht? They never
come back heißt ein typisches Sprichwort. Das
mag sogar seine Bedeutung haben aber auch im Boxsport,
wo dieses Wort ja geprägt wurde, gibt es Ausnahmen.
Frazier ist wieder gekommen, auch Muhammed Ali hat
es ein paar Mal gepackt. Und in den anderen Berufen?
Klar, wenn man einmal weg ist, dann kommen andere
und die Entwicklung geht weiter. Doch man muss ja
nicht im gleichen Beruf weitermachen, es gibt immer
wieder neue Möglichkeiten.
Der
bekannte englische Autor E.M. Forster (A Passage
to India) beschreibt, wie in Indien die Männer
gelebt haben: die ersten dreißig Jahre wurde
gelernt ein Mensch zu sein, dann haben sie das unter
Beweis gestellt, fleißig gearbeitet und eine
Familie gegründet, und dann mit fünfzig
haben sie die Mönchskutte angezogen und sind
auf Wanderschaft gegangen um die geistige Seite des
Lebens auszukosten. Das müsste doch in etwas
modifizierter Form auch bei uns möglich sein?
Ich stelle mir das sehr schön vor, im Vollbesitz
der Kräfte sich aufzumachen und die Seele zu
entdecken und im Kreise Gleichgesinnter die wirklich
wichtigen Dinge des Lebens zu diskutieren, anstatt
blöd in den Fernseher zu schauen und sich passiv
unterhalten zu lassen. Denn so sehe ich es bei den
meisten meiner Bekannten. Vielleicht gibt es Ausnahmen,
aber die sind schwach gesät.
Es
ist Zeit das Geschirr abzuwaschen. Als ich mich übers
Wasser beuge, sehe ich, wie ein Krebs schnell unter
einem Stein Zuflucht vor meinem Schatten sucht. Hier
spielt es sich ab, ob auf dem Wasser oder unterhalb,
überall lebt es und will überleben und weiterleben.
Auch am Strand gehen die Ameisen ihrem Tagewerk nach.
E. Wilson, der die Soziobiologie ins Leben gerufen
hat, hat einen Grossteil seines Lebens damit verbracht,
diese Tierchen zu studieren. Dabei ist er draufgekommen,
dass Ameisen eine derart faszinierende soziale Struktur
haben, dass sie uns Menschen bei weitem an Organisationstalent
und Arbeitsteilung übertreffen. Wilson ist sogar
so weit gegangen, dass er gemeint hat, wenn Besuch
von einem anderen Stern kommen würde, dieser
die Ameisen wohl zuerst unter die Lupe nehmen würden,
denn sie wären aufgrund ihres sozialen Systems
wirklich interessant, während die Menschen kaum
positiv auffallen würden.
Ameisen mit ihrem "haplodiploid form of sex determination
and bizarre female cast system are the truly novel
productions of the earth with reference to the Galaxy".
(S.18, On human Nature). Wobei allen, die mit dem
Ausdruck haplodiploid nichts anfangen können,
gesagt sei, dass es sich dabei um eine recht spannende
Art der Fortpflanzung unter Insekten wie Ameisen handelt,
wobei die befruchteten Eier Weibchen produzieren und
den unbefruchteten Eiern Männchen entspringen.
Übrigens wurde diese Art, das Geschlecht der
Nachkommen zu bestimmen, bereits vor ca. 150 Millionen
nachgewiesen und zwar bei einer Wespenart des Mesozoikums.
Was sich daraus ableiten lässt, setzt wirklich
die Phantasie in Bewegung: die Weibchen konnten in
Jahren mit wenig Nahrung vielen weiblichen Eiern die
Fortpflanzung ermöglichen, während in guten
Jahren auch mehr Männchen zugelassen wurden.
Nicht nur das, diese Art des "persönlichen
" Eingriffs in die Natur in der Form von Selbstbestimmung
des Geschlechts der Nachkommen ermöglichte den
Wespen eine hoch entwickelte soziale Lebensform. Denn
dadurch, dass Schwestern durch die Haplodiploidität
ein näheres Verwandtschaftsverhältnis zueinander
haben als Mütter und Töchter und können
Weibchen genetisch davon profitieren können,
eine sterile Kaste zu entwickeln, die sich mit der
Aufzucht der Schwestern beschäftigt. Sterile
Kasten, die die Geschwister aufziehen sind anscheinend
auch heute noch das Geheimnis hinter erfolgreichen
sozialen Gesellschaften unter den Insekten wie Bienen,
Wespen und Ameisen.
Alles
im Leben ist bedeutungsvoll, man muss nur die Zeichen
lesen und interpretieren zu lernen. Lebt man um zu
arbeiten oder arbeitet man um zu leben? Diese uralte
Frage hat sich wahrscheinlich schon der erste Mensch,
der bei einem anderen als Sklave tätig war, gestellt.
Viele Menschen würden heute sagen, dass sie arbeiten,
um sich die guten Dinge des Lebens leisten zu können.
Dazu fallen mir immer die Worte aus der Dhammapada
ein: "Ich habe Kinder, ich habe ein Haus, ich
habe es zu etwas gebracht. So bringt ein Narr Leiden
auf sich. Ihm gehört nicht einmal sein Leben,
wie kann er Kinder oder Wohlstand besitzen?"
(Nr. 62)
Jedes
Engagement in oben genannte eingebildete Werte wird
den Menschen früher oder später leiden machen.
Das ist nicht nur eine Redensart, wenn man nur halbwegs
ehrlich ist, ist es sogar selbstredend. Jedes Leben
wird früher oder später an den Punkt kommen,
wo zwischen Wollen und Sein eine unüberbrückbare
Kluft entsteht - und der Mensch leidet unter dieser
Kluft zwischen Wollen und Können. Das ist schon
schlimm genug für einen einzelnen, wenn dieser
jetzt auch noch in anderen Menschen engagiert ist
und mit ihnen leidet, dann vervielfältigt er
dadurch sein Leiden. Oder?
Außerdem
ist in den Menschen durch die biologischen Anlagen
bereits festgelegt, wie gut sie sich im Leben bewähren
können und darum ist jedes Engagement eigentlich
nur egoistisch bedingt und nimmt demjenigen, dem man
seine ganze Aufmerksamkeit widmet, die Möglichkeit,
sich selber zu bestätigen und den ihm passenden
und angemessenen Weg zu finden und zu nehmen. Ist
er erfolgreich, dann wird ihn sein "Beschützer"
dezent darauf hinweisen, das er den Erfolg eigentlich
zu einem nicht geringen Teil seiner Aufmerksamkeit
zu verdanken hat, geht es schlecht so heißt
es, "arbeite mehr", " tu was".
Was soll jetzt ein solcherart in die Enge getriebener
Mensch noch vom Leben haben? Er muss sich befreien
und dieser Befreiungsschlag muss so früh wie
möglich kommen, ja, sollte eigentlich gar nicht
stattfinden müssen. Eine erfolgreiche Erziehung
würde darin bestehen, die angeborenen und genetisch
festgelegten Wesenheiten des Menschen sich frei entwickeln
zu lassen.
Wahrscheinlich
hat die Dhammapada das gemeint, als sie jeden beklagt
hat, der sich von den vermeintlichen guten Dingen
des Lebens vereinnahmen lässt. Denn sie sind
zumeist teuer erkauft, vor allem, wenn sie nicht mit
den inneren Wesenheiten übereinstimmen. Sicher,
mit Fleiß und Glück wird jeder weit kommen
- nur, ist er glücklich damit? Harry Martinson,
der schwedische Dichter und Nobelpreisträger,
hatte alle Odds gegen sich im Leben. Seine Mutter
verließ die sechs kleinen Kinder, als der Mann
plötzlich und unerwartet 1910 starb. Mit dreißig
eine fesche Frau im Zenit ihrer Schönheit, weigerte
sie sich, ihr Schicksal hinzunehmen und wanderte nach
Amerika aus. Die Kinder wurden an die Bauern der Umgebung
verkauft. Harry war der kleinste und konnte sich mit
der Brutalität und der unbeschreiblichen Härte,
die, gepaart mit absoluter Lieblosigkeit ewige Spuren
auf der kindlichen Seele hinterlässt, nicht abfinden
und lief immer wieder davon. Nur um von seinem Schicksal
ständig eingeholt zu werden.
Nach
Jahren auf See und als Landstreicher schien er endlich
einen sicheren Hafen zu finden, als er auf dem Hof
von Moa Martinson, seiner späteren Frau, zuerst
Anstellung und später Liebe fand. Hier entstanden
auch die Bücher, die ihn zu einem der berühmtesten
Schriftsteller Schwedens werden liessen. Vor allem
seine Traurigkeit, die eingehüllt wurde in eine
glänzende Sprache, und seine Naturschilderungen
haben ihm die Herzen seiner Landsleute zufliegen lassen.
Martinson
war aber viel mehr als nur ein brillanter Wortmaler.
Er erkannte bereits früh, in den Sechzigerjahren,
als noch kein Mensch Umweltsünden zur Kenntnis
nehmen wollte, sondern alle nur an den Fortschritt
glaubten und diesem das Wort redeten, welchen Schaden
seine geliebte Natur durch die brutale Ausnützung
des Menschen nehmen würde. Er schrieb dagegen
an und musste in den Siebzigerjahren erkennen, dass
die Menschen andere nur so lange lieben, solange sie
sich mit ihnen identifizieren können. Martinsons
"Anjara", eine Art epische Zukunftsroman,
in dem prophetisch bereits das Ende der Erde durch
Umweltverschmutzung und Kriege vorweggenommen wird,
war zuviel für die Schweden.
Viele
wandten sich von ihm ab und als er 1974 den Nobelpreis
erhielt, sprachen die Zeitungen von schweren Fehlern
in der Jury und davon, dass sich Schweden damit in
den Augen der Weltöffentlichkeit lächerlich
gemacht hätte. Wie wenig wussten diese Schreiberlinge
von der Wahrheit, die erst die Geschichte beweist.
Die Geschichte hat immer Recht. Heute würde Martinson
als einer der Vorkämpfer für Umweltschutz
und als Naturfreund gefeiert, damals beging er in
einem Anfall von Verzweiflung, als ihn keiner mehr
hören wollte und er sich völlig unverstanden
und missverstanden sah, Selbstmord, indem er, der
sich sein ganzes Leben mit fernöstlicher Mystik
beschäftigt hatte, Sepukku beging, eine Art ritualer
Selbstmord, indem er sich eine Schere mehrmals in
den Bauch rammte.
Hier
auf dem Immeln ist ein bisschen mehr los, denn gerade
als ich ein Buch hervorgeholt habe und darin zu lesen
beginne, gleitet ein Kanu um die Ecke und Henning
Olsen legt an. Henning ist ein Original. Ein Naturliebhaber,
der sein Hobby zum Beruf gemacht hat und Kurse im
Überleben gibt und wie man sich in der Natur
richtig verhält. Den letzten Winter hat er auf
dem Santiago de Compostella Weg verbracht, "das
war echt toll, so ganz allein monatelang unterwegs
sein", immer mit minimalem Gepäck, "so
um die sechs Kilo genügen", wie er auch
hier sein Kanu kaum bepackt hat und auch das Trinkwasser
dem See entnimmt.
"Was
willst du, das ist das Wasser für ganz Malmö,
also wird es schon nicht ungesund sein", meint
er und nimmt einen kräftigen Schluck aus der
Wasserflasche. Henning erzählt, dass er keinen
Kanuwagen braucht, weil er alle Bäche treidelt
oder, so möglich, paddelt. Das muss ja sein Kanu
ganz schön hernehmen, bei all den spitzen Steinen,
die jetzt überall aus dem Wasser ragen. "Ja,
das stimmt, das hat damit zu tun, dass das Wasser
des Immeln von den Kraftwerken geregelt wrd und im
Sommer ungefähr neunzig Zentimeter niedriger
ist als im Winter, daher bin ich auch oft im Winter
unterwegs, das ist dann extra spannend, nur schade,
dass die Nacht schon so früh kommt".
Ich
sehe mir sein Kanu näher an - schließlich
und endlich sieht man nicht jeden Tag ein schwarzes
Kanu, "das bessere ich immer wieder aus und daher
ist es jetzt schwarz", und vor allem macht mich
der riesige Baumstamm stutzig, der im Vorderteil verstaut
ist. "Das ist das Gegengewicht zu meinem Mast",
erklärt Henning, "denn hier auf dem Immeln
bläst oft eine schöne Brise, und wenn ich
Rückenwind habe, dann kommt mir mein Segel gut
zu statten", erklärt er und verweist auf
einen einfachen Holzmast, der ebenfalls im Kanu Platz
gefunden hat. "Gestern zum Beispiel beim Herauffahren
von Immeln hatte ich die ganze Zeit Rückenwind,
ich habe mein Paddel nur zum Steuern gebraucht".
Henning
kann sein Gepäck auch deswegen so niedrig halten,
weil er alles trocknet, was er auf seinen Kanutouren
mitnimmt. "Nimm zum Beispiel Hamburger, die mache
ich zu Haus fertig, dann gebe ich sie in den Ofen
und nach ein paar Stunden ist die ganze Flüssigkeit
draußen, das gleiche bei Chili con carne und
anderen Speisen", sagt er mit einem verschmitzten
Grinsen, als sei das die selbstverständlichste
Sache der Welt. Immerhin, die Idee ist nicht schlecht
und da es auch Dehydratoren zu kaufen gibt, werde
ich die Sache demnächst probieren. "Aber
wenn ich Lust auf frische Eier oder sonst was habe,
dann lege ich einfach bei Bauern an und frage, ob
sie mir nicht ein bisschen was abgeben können",
erklärt er seine Art, immer wieder Abwechslung
in seinen Speiseplan zu bringen: "jetzt werden
die Johannisbeeren reif, oder später die Himbeeren,
und Eier gibt es nahezu überall".
Um
zehn Uhr am Abend verabschiedet er sich und steuert
sein Kanu Richtung Süden, Richtung Immeln. Toller
Bursche, muss man schon sagen. Während unserem
Gespräch ist noch ein Kanu vorbeigekommen und
nach den langen Gesichtern der beiden Insassen zu
schließen, hatten sie ebenfalls auf diesen Lagerplatz
gehofft. Tut mir Leid, denke ich, war zuerst da. Das
ist ja das Schöne an diesen Kanutouren, die meisten
paddeln gleich weiter, wenn sie sehen, dass ein Lagerplatz
besetzt ist, denn schon auf der nächsten Insel
gibt es wieder ein schönes Plätzchen.
Am
nächsten Tag stehe ich ein bisschen früher
auf als sonst, irgendwie hat mich die Unruhe gepackt,
denn ich will heute nach Immeln runter und wer weiß,
wie das Wetter wird. Daher bin ich um neun Uhr schon
im Kanu. Der Himmel ist zwar blau, aber einige Wölkchen
werden vom Wind ganz schön schnell weiter getrieben.
Auch der See kräuselt seine Wellen. Doch noch
hat das keine Bedeutung, es ist gerade einmal eine
leichte Brise. Mal sehen, wie es weiter unten sein
wird.
Mein
erstes Ziel heute ist Breanäs, das liegt ungefähr
sechs Kilometer von hier entfernt. Ich schaue mir
die Karte genau an. Wenn ich mich links am Ufer halte
und bis zum Norregård paddle, dann kann ich
quer über den See direkt zum Fars Nabbe kommen,
aber wenn es dort unten bläst, dann habe ich
ein Problem, denn dort ist der See am breitesten.
Nein, besser gleich hier hinüberqueren auf die
andere Seite und dann im Schutz der zahlreichen Inseln
hinunterpaddeln.
Schon
in der Mitte der Überfahrt beglückwünsche
ich mich zu meinem Entschluss, denn es fängt
wirklich zu blasen an. Ich lasse meinen Blick prüfend
über den See schweifen, und der bleibt an einem
merkwürdigen Gefährt hängen: zuerst
denke ich, dass da einer sein Ferienhaus über
den See zieht, fürwahr eine originelle Art, sein
Haus zu transportieren, aber dann sehe ich, dass es
sich um ein selbst gezimmertes Hausboot handelt. Sehr
stabil sieht mir das zwar nicht aus, aber die Leute
wissen meistens, was sie tun, daher werde ich mich
jetzt lieber um mich selber kümmern, denn in
der kurzen Zeit, die mein Schauen gebraucht hat, hat
der Wind und die Wellen das ganze Kanu herumgedreht.
Jetzt
heißt es tüchtig paddeln um das Kanu auf
Kurs zu halten. Es geht, aber es ist zäh. Jetzt
wäre natürlich ein Zweiter angenehm, der
auch paddelt. Aber so ist es halt im Leben, keine
Rose ohne Dornen. Darum lege ich mich tüchtig
ins Zeug und kämpfe mich jeden Meter nach vor.
Bis zum Gnibe Nabbe geht es, aber dann kommt der Wind
direkt von Immeln rauf und hat da natürlich ordentlich
an Kraft gewinnen können, denn er hat die ganze
Länge des Sees gehabt, um an Stärke zunehmen
zu können. Die Wellen werden jetzt richtig hoch
und ich muss schauen, dass ich in einem Winkel von
ca. zwanzig Grad dagegen anfahre. Das genügt,
um das Kanu auf Kurs zu halten, aber auch nicht mehr.
Wie
komme ich jetzt nur um den Fars Nabbe herum? Ich halte
mich so nahe am Ufer wie möglich und dann nehme
ich gerade Kurs in die Wellen hinein, denn alles andere
hätte wahrscheinlich mein Kanu zum Kentern gebracht.
Ich verdopple meine Anstrengungen und merke, wie ich
langsam aber sicher an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit
komme. Die Zunge klebt am Gaumen und meine Schwimmweste
erweist sich zum ersten Mal als richtiges Hindernis.
Sonst bin ich stolz darauf, denn sie ist neu und leuchtet
durchdringend orange über den ganzen See. Auch
hat sie einen Kragen und das ist wirklich ein Vorteil,
wenn man bei Seegang ins Wasser fällt, denn dann
bleibt der Kopf über Wasser. Auch ist sie mit
einer Vorrichtung ausgestattet, die man zwischen den
Beinen durchzieht, sodass sie im Wasser nicht nach
oben getragen wird, wenn der Körper sinkt und
die Schwimmweste geht nach oben Richtung Kopf ist
das äußerst unbequem und kann leicht Panik
verursachen. Das ist mir beim Wasserschifahren ein
paar Mal passiert und das ist wirklich nicht angenehm,
speziell bei Wellengang, wenn du sowieso schon so
müde bist, dass du gerade noch Wasser treten
kannst um den Kopf über Wasser zu halten, aber
nicht auch noch an der Schwimmweste ziehen willst,
um sie nicht als Halskrause zu haben.
Jetzt
aber fährt der Wind voll in meine Weste hinein
und gerade weil es sich um eine Seglerweste handelt,
die noch dazu hochseetauglich ist, bietet sie natürlich
viel mehr Angriffsfläche und der Wind treibt
mich immer wieder zurück. Egal, daran darf ich
jetzt nicht denken, sondern ich muss mich voll auf
meinen Kurs konzentrieren und vor allem auf die Wellen,
uuuh, da vorne kommt eine große auf mich zugerollt,
liebes Kanu, bleib jetzt bloß auf Kurs - der
Bug geht steil in die Höhe, als die Welle genau
in dem Moment bricht, wo sie auf das Kanu stößt.
Ich spüre, wie sie unter mir durchgeht, wie wenn
man auf einem Drachen reitet, doch schon kommt die
nächste auf mich zu, auch die wird ausgeritten,
dann bin ich auch schon um Fars Nabbe herum.
Jetzt
gilt es das Kanu schnell zu drehen, um den Wellen
so wenig Breitseite wie möglich zu bieten, also
schnell gegengesteuert und dann noch mit aller Kraft
gegenverkehrt paddeln und schon schaut die Spitze
des Kanus Richtung Land und ich paddle wieder schräg
zu den Wellen dahin. Trotzdem bleibt immer noch ein
schönes Stück Arbeit. Weiter draußen
kommt wieder dieses merkwürdige Hausboot und
zieht in der gleichen Richtung wie ich parallel zu
mir dahin. Allzu stark dürfte der Motor ja nicht
sein, denn ich halte ungefähr die gleiche Geschwindigkeit
wie der Riesenkasten. Na ja, kein Wunder, das Haus
muss ja noch mehr Angriffsfläche bieten für
den Wind als meine Schwimmweste. Vielleicht sogar
noch mehr, wenn man die Fläche bedenkt, die der
Schiffsrumpf beansprucht, verglichen mit meinem schnittigen
Kanu.
Zwischen
Fars Nabbe und Klanabbe befindet sich eine Bucht.
Jetzt ist die Frage: ausfahren oder quer drüber?
Ich beschließe, es quer rüber zu versuchen,
denn ich habe jetzt enormen Durst und meine Kräfte
nehmen immer mehr ab. Das Kanu wird genau eingestellt,
dann paddeln, paddeln, paddeln, alles, was geht, und
siehe da, es funktioniert. Meter um Meter, Welle um
Welle, komme ich meinem Ziel näher. Endlich -
jetzt kann ich den Wind genießen, denn von hinten
treibt er mich richtiggehend in die Bucht hinein und
bringt mich meinem Ziel Breanäs näher.
Fast
zeitgleich mit mir legt das Hausboot an. Ich vertäue
mein Kanu am Steg und mache mich auf Suche nach Trinkwasser.
Irgendwo muss es doch einen Schlauch oder einen Wasserhahn
oder etwas Ähnliches geben? Ich spaziere umher
ohne fündig zu werden. Schließlich gebe
ich auf und nehme stattdessen einen Schluck aus der
Wasserflasche, die ich in der Früh mit grünem
Tee angefüllt hatte. Da muss ich aber schon haushalten
jetzt, denn bis zum heutigen Ziel, den Kvinnöarna
Inseln ist es noch weit. Na ja, eigentlich nur zwei
Kilometer, aber bei dem Wind und den Wellen schaut
es nach einem schönen Stück Arbeit aus.
Bevor
ich mich wieder ans Paddeln mache, gleite ich ein
Stück den Strand entlang zu dem Hausboot. Der
Kapitän hat es sich an Deck bequem gemacht und
nimmt gerade einen guten Schluck aus der Bierdose.
"Na, da hast du ja ganz schön zu tun gehabt
bei dem Wind, was?" ruft er mir leutselig zu,
als er meiner ansichtig wird. Ich gebe zu, dass es
nicht ganz einfach war und Ole, so heißt der
Mann, bestätigt, dass auch er umgedreht hat um
hier den sicheren Hafen zu suchen, anstatt in einer
der Buchten vor Anker zu gehen, was er eigentlich
beabsichtigt hatte. "Der Wind kann einem schöne
Streiche spielen, der holt sich einfach das Wasser
und treibt es vor sich her und auf einmal hast du
nicht mehr genügend Wasser unter dir und sitzt
auf. Immerhin wiegt mein Schiff drei Tonnen",
erklärt er mir im stolzen Ton des Selbst ist
der Mann Handwerkers, dem ich entnehme, dass er sich
sein Hausboot eigenhändig gebastelt hat. "
Ja, bestätigt er auf meine Frage, ich wohne ja
gleich hier in Breanäs und habe mir das Ding
im Garten zusammengebaut. Mehr als zweitausend Schrauben
und Nieten habe ich verbraucht, aber jetzt hält
es auch. Und der Motor ist nicht umzubringen, der
startet immer", meint er stolz und fährt
mit der Hand liebevoll über die Reling.
Nach
ein paar bewundernden Worten verabschiede ich mich
und lasse ihn mit seinem Bier und seinen Erinnerungen
zurück. Die kleine Pause hat mir gut getan, auch
der Gedankenaustausch beflügelt mich ein wenig
und daher nehme ich Kurs auf die Kvinnöarna.
Der
Wind hat nicht abgeflaut, trotzdem es jetzt schon
drei Uhr vorbei ist, sondern er bläst mit unverminderter
Kraft weiter. Von Breanäs nehme ich zuerst die
Richtung zur Prästön, dadurch brauche ich
nicht die ganze Länge des Immeln gegen mich zu
haben, sondern habe ein bisschen Lee durch die kleine
Insel. Von der Prästön schräge ich
hinüber zur Äspön und von hier mitten
im Vogelschutzgebiet weiter zur Tjärön und
von da das Ufer entlang bis zu den Kvinnöarna.
Dabei
handelt es sich um zwei kleine Inseln, die durch einen
schmalen Sund voneinander getrennt sind. Der Karte
nach gibt es zwei Lagerplätze, auf jeder Insel
einer. Die nördlichere gefällt mir nicht
so richtig, der Lagerplatz ist schwer auszumachen,
und daher nehme ich die südlichere in Augenschein.
Als ich durch den Sund komme, höre ich Stimmen:
der Anlegeplatz befindet sich im Lee zwischen den
Inseln und hier haben auch die zwei Burschen, die
gestern an der Högön vorbeigepaddelt waren,
angelegt. Sie sitzen auf dem Steg und plaudern. Ich
lasse mein Kanu heran gleiten und wie sich gleich
bei den ersten Worten herausstellt, handelt es sich
bei den beiden um Schweizer aus Zürich.
Patrick
und Peter sind mit dem Flugzeug von Zürich nach
Kopenhagen geflogen und von dort mit Öffis nach
Immeln gelangt. Nicht ganz einfach, aber mit Bus und
Zug und noch einmal Bus schon zu machen. Außer
dass am Sonntag kein Bus von Knislinge nach Immeln
geht. Also wurde ein Taxi genommen, nur um dann in
Immeln draufzukommen, dass gerade an dem Tag kein
Kanu mehr zu haben war! Aber am Tag darauf hat es
dann endlich geklappt und die beiden sind die Fünf
Seen Route abgefahren und jetzt auch am Weg zurück.
Das ist ihre letzte Nacht auf dem See. "Ist ja
echt toll hier, und vor allem überhaupt keine
Leute", meint Peter in ausgeprägtem Schwyzerdütsch,
"das ist zu Hause nicht so". Von Peter und
Patrick muss ich mir auch sagen lassen, dass es bei
der Baggegbro am Raslången sehr wohl einen Übergang
in den Gillesee gibt, durch einen kleinen Kanal auf
der linken Seite, aber die beiden hatten auch den
Vorteil, dass sie ja praktisch von der anderen Seite
gekommen sind und daher automatisch dem richtigen
Weg gefolgt sind.
Peter
erzählt, dass er ein Kochbuch für Kanupaddler
plant, "ganz natürlich und viel frische
Sachen, da kann man ganz viel machen, nur wissen das
die meisten nicht", meint er geheimnisvoll, und
erläutert schließlich: "Milch zum
Beispiel, die gefrierst du vor dem Wegfahren und die
hält sich dann wenigstens zwei Tage frisch, oder
Tomaten halten sich auch und dann natürlich das
Dehydrieren von Speisen, das ist ganz toll".
Bei diesen Worten werde ich hellhörig, denn das
ist jetzt schon der zweite Hinweis nur auf dieser
Tour auf das Flüssigkeitentziehen bei der Nahrung
und dass das so gut wirkt. Ich denke wenn Patrick
das durchzieht, dann hat er sicher gute Chancen einen
Volltreffer zu landen, denn so ein Kochbuch für
Weitwanderer oder Kanuten kenne ich noch nicht und
jeder ist wohl gern bereit, sich über gutes Essen
auf einer Tour beraten zu lassen. "Vor allem
wo es nicht teurer wird", meint Patrick sehr
schweizerisch sparsam.
Peter
erzählt von ihrem Hobby in der Schweiz, dem Flusswandern,
etwas ganz Neues, dabei wandert man ganz einfach einen
Bach oder einen Fluss entlang und folgt dem Wasserlauf.
Klingt recht spannend, nur scheint es mir nicht ganz
ungefährlich für die Knöchel, wenn
man da von Stein zu Stein hopsen muss. Da bin ich
lieber sicher im Kanu.
Die
beiden haben ihr ganzes Gepäck noch im Kanu,
gut verzurrt wie es sich gehört, innerlich muss
ich schmunzeln, weil die beiden so ganz und gar dem
Bild des sicherheitsbewussten Schweizers entsprechen.
Es ist schon komisch, wie man dem Klischee des eigenen
Landes entspricht. Merkwürdig, welch großen
Einfluss die Sozialisation trotz allem auf den Menschen
hat oder zumindest darauf, wie er sich nach außen
gibt.
Ein
paar Regentropfen vertreiben uns vom Steg und wir
suchen Schutz in einem Windverschlag. Um die Zeit
zu überbrücken koche ich Tee und Peter zaubert
ein paar Kekse aus dem Rucksack hervor. Die beiden
geben in ihren Kommentaren der Bewunderung über
die schönen Lagerplätzen, die immer wieder
der Tour entlang zu finden sind, Ausdruck und wundern
sich darüber, dass so gar keine anderen Leute
unterwegs sind. "Vielleicht kommt der große
Ansturm erst im Juli", meint Patrick und freut
sich, dass sie schon jetzt im Juni hierher gekommen
sind. "Wenn wir morgen das Kanu abgeben, dann
haben wir noch drei Tage Zeit bis zu unserem Flug
und da haben wir gedacht, wir werden noch den Schonenwanderweg
ein Stück verfolgen", erzählt er. Das
nenne ich Unternehmensgeist, denn so angenehm es hier
auf dem Wasser ist, bei fast dreißig Grad mit
voll bepacktem Rucksack dahin zu marschieren, scheint
mir nicht allzu verlockend.
Schliesslich
inspizieren wir gemeinsam die Insel, denn hier auf
der Seite des Stegs ist es nicht sehr einladend, da
die Latrine direkt neben dem einzigen mit Gras bewachsenen
Plätzchen steht, wo man am besten zelten kann.
Weiter drüben ist der nackte Fels und zum Steg
hin besteht der Boden aus merkwürdig schwarzem
schotterartigem Kies, als hätte hier jemand die
Kohle einer ganzen Saison verstreut. Ein kleiner Pfad
führt um die Insel herum und auf der anderen
Seite scheint sich unsere Hoffnung auf einen guten
Lagerplatz zu bewahrheiten. Patrick und Peter sind
Feuer und Flamme, die Sonne scheint noch auf der Seite
und auch eine Superanlegestelle fürs Kanu bietet
sich an.
Die
beiden springen in ihr Kanu und paddeln auf die andere
Seite. Ich suche mir einen Lagerplatz auf der Krönung
der Insel und bin recht zufrieden. Das Gras ist zwar
hoch, aber dafür schön weich, und ich bin
weit genug entfernt von Peter und Patrick, dass ich
die beiden nicht störe. Am Abend nach dem Abendessen
sitzen wir noch ein bisschen am Steg und plaudern,
ehe ich mich in mein Zelt zurückziehe.
In
der Früh weckt mich ein seltsames Geräusch.
Sssswisch, ssschwisch.Schlaftrunken drehe ich mich
im Schlafsack herum und habe die Augen halboffen,
als es mich plötzlich reißt: ein riesiger
Schatten scheint auf das Zelt zu fallen, klettert
die Leinwand hoch, und rutscht hinunter. Als ich die
Augen aufsperre, begreife ich, was da los ist: wie
die Backenhörnchen in Donald Duck vergnügen
sich hier Mäuse damit, die Zeltaußenwand
hochzuklettern und dann hinunterzurutschen! Nicht
einmal, mehrmals! Ich verfolge das Schauspiel und
freue mich mit ihnen. Ob das eine Art Spieltrieb ist,
der den Mäusen innewohnt? Was wohl E.O. Wilson
dazu sagen würde?
Nach
einiger Zeit stehe ich auf und packe in Ruhe meine
Utensilien ins Kanu. Peter und Patrick schlafen noch,
als ich um sieben Uhr mein Kanu ins Wasser schiebe
und lospaddle. In der Nacht sind doch noch Leute gekommen,
denn als ich um die andere Insel herumpaddle, sehe
ich, dass zwei Personen ihre Schlafsäcke auf
dem Felsen über dem See ausgerollt haben und
fest schlafen.
Von
den Kvinninseln sind es ungefähr drei Kilometer
hinunter zum Ort Immeln und heute haben sich die Wellen
auch wieder beruhigt und der See liegt ziemlich still
da, es dürfte sich also um eine Genusstour handeln
die letzten Kilometer. Diese letzte Strecke ist ziemlich
unspektakulär, erwähnenswert ist vielleicht,
dass sich hier kaum eine Gelegenheit zum Lagern anbietet.
Wenn man also von Immeln losfährt, sollte man
so viel Zeit einkalkulieren, also etwa eineinhalb
Stunden, um bis zu den Kvinninseln zu kommen. Die
letzten fünfhundert Meter bis zum Ort Immeln
gehen durch eine Art Sund mit Ferienhäusern links
und rechts am Ufer. Hier hält man sich als Kanupaddler
am besten schön am Ufer, teils weil hier immer
wieder der Dampfer mit Ausflüglern fährt,
teils weil die Motorboote der Anrainer doch ziemlich
rasch unterwegs sind und die Wellen ein Kanu ganz
schön ins Schaukeln bringen können. Außerdem
sieht man so die tollen Villen viel besser. Und wie
gepflegt alles ist! Jede Wiese ist millimetergenau
gemäht und alle Büsche beschnitten wie es
sich gehört und wie man es sich erwartet. Die
beiden Schweizer werden hier ihre Freude haben.
In
Immeln kann man sich wie gesagt ein Kanu ausleihen,
am Campingplatz duschen und in der Rezeption frisches
Gebäck und andere gute Sachen für die Fahrt
erstehen. Wie immer nach einigen Tagen im Kanu fällt
die Umstellung auf Verkehr und Menschen und Zeitdruck
nicht ganz leicht. Diese Tour auf den fünf Seen
werde ich jetzt, wo ich weiß, wie ich vom Raslången
zum Gillesee komme, sicher zu meinen Standardtouren
dazuzählen. Aber ich werde auch weiterhin immer
in Alltidhult mit der Tour beginnen, so gut hat es
mir auf "meiner" Insel im Blankaviken gefallen.