Göta
Kanal
Auf dem blauen Band
quer
durchs ganze Land
Juno
heisst das Schiff, das für die nächsten drei Tage mein Zuhause
sein wird. Die Juno liegt im Hafen von Stockholm vertäut und wartet
darauf, mit dreissig angehenden Seebären die Reise nach Göteborg
- immerhin 600 km quer durch die lieblichsten Gegenden Schwedens
anzutreten.
Von
Petra Stever
Vorbei an romantischen Burgen, Schlössern und der ältesten Stadt
Schwedens, dem sagenumwobenen Birka, von wo aus die Wikinger nach
Russland aufgebrochen sind, um den Leuten dort einen Namen zu
geben: Rus; "Russen" ist eine Wortschöpfung der harten Krieger
und Eroberer aus dem alten Wikingerstaat.
Gleich
beim Entern des Schiffes begrüsst uns eine freundliche Hostess,
Carina Samuelsson, die uns in unsere Kajüten einweist. Alles ist
in edlem Teak gehalten, nicht übermässig viel Platz zwar, doch
immerhin, hier lässt sich's aushalten. Die anderen Gäste sind
eine bunte Mischung Reisender aus aller Welt, wobei der englischsprachige
Anteil - Amerikaner und Australier - überwiegt, ein paar Deutsche,
Holländer und natürlich Schweden. Ein paar Leute, die unser Schiff
gerade in letzter Sekunde noch erreichen, sind bereits heiter
gestimmt und mit Piratenkopftuch ausgerüstet. Bald erfahren wir,
dass sie einen der ihren zum fünfzigsten Geburtstag auf grosse
Fahrt "entführt" haben.
Meine
Kabine liegt ganz oben, hat eine Waschgelegenheit und ein Fenster,
erinnert an eine Zugkabine, nur ist sie entschieden stilvoller.
Von der Kabine führt ein ein Meter breiter Gang an die Reling.
Zur Vorsicht kontrolliere ich mal schnell, ob die Schwimmwesten,
die laut Anschlag unter dem Bett sein sollen, auch wirklich da
sind. Ich bin beruhigt, die Dinger wohlverwahrt vorzufinden. Voller
Erwartung auf die vier Tage auf See nehmen wir Abschied von Stockholm.
Ich nehme auf dem Bett, das tagsüber zu einem Sofa umfunktioniert
wird, Platz, lehne mich zurück und geniesse erst einmal die Aussicht:
Keine zwei Meter von mir entfernt breitet sich das Meer aus.
Das
ruhige Gebrumm der Motoren begleitet uns. Die beiden Motoren leisten
immerhin 12 Knoten, und normalerweise pflügt das Schiff mit 3,8
Knoten durch das Wasser. Es handelt sich bei dieser Fahrt ja nicht
um eine Regatta, sondern um eine Vergnügungsfahrt der beschaulicheren
Art. Die Juno ist obendrein mit ihren 117 Jahren das älteste Passagierschiff
der Welt.
Vorbei
geht es am Königsschloss Drottningholm, leider winkt Silvia nicht
aus dem Fenster. Endlich verstehe ich, warum König Carl Gustav,
Silvia, die Kronprinzessin Victoria und ihre beiden jüngeren Geschwister
nicht in der Stadt wohnen. Diese Aussicht könnte mir auch gefallen.
Doch
jetzt geht's gleich ein Deck tiefer in den Speisesaal. Es ist
elf Uhr dreissig, und das typisch schwedische Smörgåsbord, übrigens
eines der wenigen Worte aus dem Schwedischen, das seinen Eingang
in die weite Welt angetreten hat, ist bereits serviert. Alle drängen
sich, die „Schlacht ums kalte Buffet" entbrennt.
Die
Schweden, die als letzte Gäste bereits fröhlich gestimmt an Bord
gekommen sind, haben inzwischen noch ein wenig zugelegt und unterhalten
uns Nicht - Wikinger mit ihren typischen "Schnapsliedern".
Noch
während des Essens kommen wir nach Södertälje mit der grössten
Schleuse Skandinaviens, ganze 135 m lang. Södertälje liegt zwischen
Ostsee und Mälaren; der Södertäljekanal wurde 1819 eingeweiht.
In
Kiel gebucht
Ich
sitze mit einem deutschen Paar gemütlich im Liegestuhl an Deck.
Die beiden, Inge und Bernhard, erzählen mir, dass sie die Reise
bereits im Reisebüro in Kiel gebucht hatten, nachdem sie einige
Ausschnitte davon im Regionalprogramm gesehen hatten. Inge: "Das
war so schön, dass wir uns sofort für diese Reise entschlossen
haben. Bis jetzt verläuft alles ganz nach unseren Erwartungen".
Über die Stena Line wird eine Pauschalreise gebucht, wo nicht
nur alles inklusive ist, sondern - nach kurzem Preisvergleich
kommen wir drauf - auch extrem preisgünstig!
Auf
dem Schiff gibt es auch einen kleinen Souvenirladen mit Ansichtskarten
und anderem. Da die Juno einen eigenen Poststempel hat, Iässt
es sich natürlich keiner nehmen, die Post in den eigens an Bord
angebrachten Briefkasten zu werfen.
Schären
sind übrigens nicht überall gleich Schären. Waren sie in der Stockholmer
Gegend noch weitverzweigt, viele kleine und grosse Inseln, die
zum Teil besiedelt waren, so ist die Gegend jetzt romantisch,
wild romantisch sogar.
Hoppla,
ich bin wohl ein wenig eingenickt - schon ruft die Schiffsglocke
zum Kaffee. Ein Blick auf die Uhr, es ist vier Uhr nachmittags.
Im vorderen Salon werden Kaffee und Kuchen serviert.
Bei
unserem nächsten Abenteuer, in Nyköping, benötigt niemand spezielle
Servierkenntnisse - wir nehmen eine Art Henkersmahlzeit ortsüblich
mit den Fingern zu uns. Dazu führen zwei Troubadoure in farbenprächtigen
Gewändern das vor, was 1317 als Gastmahl von Nyöping in die Annalen
der schwedischen Geschichte Eingang gefunden hat: Damals hatte
der König Birger Magnusson aus Angst um den Thron seine Brüder
Erik und Waldemar nach einem grosszügigen Gastmahl beseitigen
lassen.
In
Söderköping sind acht Schleusen hintereinander zu überwinden.
Da diese Schleusendurchquerungen immer mit einem beträchtlichen
Zeitaufwand verbunden sind, nutzen wir die Möglichkeit, neben
unserem schwimmenden Hotel entlangzuspazieren. Immerhin 16 Meter
Höhenunterschied überwinden die Schleusen in Söderköping.
Wandern
macht hungrig - gut, dass fleissige Bienen inzwischen das Frühstücksbuffet
aufgebaut haben. Man wird richtig zum Schlemmen verführt: Obst,
frisch natürlich, verschiedenste Wurst- und Käsesorten, weiche
Eier, Schinken, geräuchert und gekocht, und sogar Rührei,
für alle, die es deftig lieben.
Mir
wurde heute ein Paar aus Kalifornien als Tischnachbarn zugeteilt.
Barbara und ihr Mann David haben gerade eine spannende Fahrt auf
der Wolga von Moskau nach St. Petersburg hinter sich. Sie wollen
alle Wasserwege ausnützen, die es auf ihrer Europareise gibt.
Von St. Petersburg sind sie mit der Viking Line über die Ostsee
nach Stockholm gekommen, jetzt durchqueren sie Schweden auf dern
Götakanal, und anschliessend geht es mit dem Schiff der Stena
Line nach London, wo schon die Queen Elizabeth wartet, mit der
sie dann zurück nach Amerika dampfen wollen.
Über
den See Asplängen kommen wir zu einer idyllischen Schleuse bei
Hulta. Merkwürdig, wie schnell sich das Schiff in die Höhe bewegt.
Wie in einem Expresslift. Konnte man eben noch an Land springen,
so wäre es jetzt, eine Minute später, ein gewagtes Unterfangen.
Auf
dem Roxensee gibt es Mittagessen, danach setzen sich die meisten
Passagiere an die Sonne, die von einem azurblauen Himmel lacht.
Um drei Uhr ist es wieder soweit: Eine Schleusentreppe aus sieben
Schleusen klettern wir langsam empor. In Vreta tun wir etwas für
die Kultur und besichtigen die dortigen Klosterruinen. Schweden
war früher einmal katholisch; der geschichtlich Bewanderte wird
sich in Erinnerung rufen, dass die Königin Kristina, die streitbare
Tochter des berühmtesten Schwedenkönigs, Gustav II. Adolf, nach
Rom zum Papst gezogen ist, um sich dort in hochgeistigen Diskussionen
zu ergehen.
Heute
werden wir sogar gefilmt. Das norwegische Fernsehen ist da und
produziert einen Film über den Götakanal. Da darf die Juno nebst
Passagieren natürlich nicht fehlen. In Ljungsbro steht die Welt
Kopf: Hier befahren wir nämlich einen Aquädukt und sehen die Strasse
vom Schiff aus von oben. Alle stehen mit dem Fotoapparat bereit
und sind glücklich, die ungewohnte Perspektive im Bild festzuhalten.
Ein Souvenir für die staunenden Freunde daheim.
Marie
Antoinette lässt grüssen
Auf
dem Långkanal geht es weiter. Langsam gleiten wir am Guthshof
Ljungs Säteri vorbei. Er war zwischen 1730 - 1868 im Besitz derer
von Fersen. Ein Graf von Fersen war einer der glühendsten Anhänger
von Marie Antoinette am Hofe Ludwig XVI. in Versailles. Als die
hungerleidende Bevölkerung von Paris kein Brot mehr hatte, ist
von Marie Antoinette der charmante Ausspruch überliefert: "Dann
sollen sie doch Kuchen essen". Was von Fersen als waschechter
Schwede dazu gesagt hat, ist nicht überliefert. Vielleicht hat
damals das schwedische Herz noch nicht für die Armen in aller
Welt geschlagen.
In
Motala angekommen, geht es gleich ins Kanalmuseum. Wir erfahren,
dass 58.000 Soldaten den Götakanal in der Zeit von 1810 bis 1832
unter der Leitung des Baltzar von Platen gebaut haben. Die Juno
bleibt über Nacht hier verankert, und früh am nächsten Morgen
geht es auf den Vätternsee, den zweitgrössten See Schwedens. Für
die Überfahrt sind zwei Stunden vorgesehen. In Forsvik steht bereits
die Familie Kindbom, die uns mit Blumen und Gesang empfängt, eine
bald hundertjährige Tradition zum Segen der Seeleute.
Weiter
geht's durch den Vikensee, eine traumhaft schöne, idyllische Gegend.
Nach dem Vikensee wird das Schiff auch schon mal um die Ecke gezogen,
weil hier der Kanal so eng ist.
In
dieser Gegend hat John Bauer, ein bekannter schwedischer Maler,
seine Ideen für seine zauberhaften Bilder mit Trollen und Feen
gefunden. Leider ist ihm seine Sehnsucht nach dem Wasser zum Schicksal
geworden. Er fand mitsamt seiner Familie an einem kalten Dezemberabend
ein nasses Grab auf dem Vätternsee, als sein Schiff im Sturm kenterte.
Bei
Sjötorp mündet der Götakanal in den Vänernsee. Der Vänern ist
mit 5.650 qkm der grösste See Schwedens, elfmal so gross wie der
Bodensee. Auf diesem Binnenmeer erwartet uns ein Sturm, wie ich
ihn mein Lebtag noch nicht mitgemacht habe!
Die
Juno sollte eigentlich Diana heissen, denn wie die wilde Jagd
fliegt sie auf den Wellen dahin. Unglaublich, welche Kraft der
Wind auf diesern Binnenmeer entwickeln kann, und toll, was die
Juno so aushält. Alles, was nicht festgezurrt ist, fliegt durch
das Zimmer. Ich liege in meiner Koje und werde gründlich durchgeschüttelt.
Oh Gott, lass diese Reise bald vorübergehen. Mein Stossgebet wird
nach drei Stunden erhört, der Sturm flaut ab und der Kapitän kann
die jetzt wieder friedliche Juno nach Vänersborg hineinsteuern.
In
Trollhättan wird die Juno auf das Niveau des Götälv-Flusses, unserer
letzten Etappe, hinuntergeschleust. Bald wird steuerbord die Festung
von Bohus sichtbar. Der norwegische König Hakon liess sie errichten,
um hier bequem Zoll von den Kaufleuten, die nach Bohus unterwegs
waren, kassieren zu können. Mit dem Frieden von Roskilde 1658
wurde die Festung dreihundert Jahre nach ihrer Errichtung schwedisch.
Erstes
Zeichen von Göteborg ist die Angeredbrücke, 930 Meter hoch, 47
Meter breit. Der Hafen von Göteborg ist der Atlantikhafen Schwedens
und dementsprechend interessant und riesengross. Unter der Götaälvbrücke
durch, und schon legen wir beim "Lilla Bommen", einem Werk des
bekannten schwedischen Architekten Ralph Erskine, neben der Barke
"Viking" an. Die Juno hat uns gut von Stockholm quer durch Schweden
an unser Ziel Göteborg gebracht. Die Besatzung nimmt zu beiden
Seiten der Gangway Aufstellung, und wir verabschieden uns von
Freunden.