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Kanutour in Dalsland

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Mit dem Kanu von Insel zu Insel

Bertil ist ein richtiger Tausendsassa. In der kurzen Zeit, die wir bei ihm im Büro von Canodal, unserem Outfitter stehen, bestellt er Bahnticket von Ed nach Göteborg, bucht eine Wohnung und verbindet kunstgerecht das offene Knie eines Jungen, der beim Baden ausgerutscht ist. Gleichzeitig werkt er fleißig an einer neuen Hütte, die neben dem original Lappentipi zum neuen Treffpunkt der deutschen Urlauber werden soll. Canodal ist die erste Anlaufstelle für deutsche Urlauber in Dalsland. Daher scheint es nur recht und billig, dass auch wir uns hier um unser Kanu umschauen. Es wird wieder ein praktisch unsinkbares Linder Inka Alukanu, dazu kommen zwei wasserfeste Tonnen, vier Paddel, also für jeden eines plus ein Reservepaddel, Schwimmwesten und Schwamm, falls wir einmal Wasser aufnehmen sollten.

von Eduard Nöstl


Gewitzigt durch unsere Erfahrung nehmen wir diesmal wirklich nur das Allernotwendigste mit und lassen natürlich das Reserveregenzeug und andere Utensilien, die wir später dringend brauchen würden, im Auto. Aber davon wissen wir jetzt noch nichts, sondern freuen uns über ausreichend fussfreien Raum speziell für den Steuermann. Bertil hat zwar T-Röd Flaschen in seinem Büro, doch ich denke, wir werden mit einer Flasche auskommen. Wir kommen aus, aber ich muss die letzten beiden Tage über dem offenen Feuer kochen. Kein Problem, sondern eine spannende Erfahrung.

Von Ed zur Insel Skottön

Um 18 Uhr 20 stechen wir in See. Das ist diesmal wörtlich zu nehmen, denn der Stora Le (Grosser Le) macht seinem Namen alle Ehre und ist wirklich imposant anzusehen, wie er sich vor uns in aller Majestät gegen Norden erstreckt. Über uns wölbt sich ein strahlend blauer Himmel, die Sonnenstrahlen glitzern auf dem Wasser und wir sind voller Freude und Spannung, was uns die nächsten Tage wohl bringen werden.

Kanu in Dalsland 9Wir, das ist Dietmar (38), sein Sohn Chris (12) und ich. Also genau das, was so ein Kanu verträgt. Dazu die beiden Tonnen, eine fürs Essen und eine für die Schlafsäcke. Weiters haben wir mit eine Kühltasche, ein Zelt, einen wasserfesten Seesack und eine Persenning. Auf der Persenning haben wir bestanden, denn eine Persenning ist immer gut. Wir werden noch genug Grund haben, uns über diese unsere Halsstarrigkeit zu freuen.

Eigentlich hatten wir uns gedacht, den erstbesten Lagerplatz anzulaufen und es uns da gemütlich zu machen, aber da wußten wir noch nicht, wie beliebt dieses Gebiet bei den Kanufahrern ist. In jeder Bucht flackert bereits ein Lagerfeuer oder steht ein Zelt. Wir beschließen weiter zu paddeln, bis wir ein schönes Plätzchen finden. Es dunkelt erst um zehn Uhr, also haben wir Zeit genug. Bereits hier am ersten Abend erweisen wir uns als Anhänger der Devise: keine Kompromisse eingehen, auch wenn es ein paar Extrakilometer Paddelarbeit kostet. Eine Devise, die uns so manchen schönen Lagerplatz beschert und sicher viel zum Gelingen der Tour beigetragen hat.

Bertil hat uns vor dem Auslaufen noch eine Karte über unsere Tour in die Hand gedrückt, nach der wir uns am Westufer entlang pirschen, da uns die Ostseite des Sees zu wenig einladende Buchten aufzuweisen scheint. Wir paddeln und paddeln, schön langsam scheint uns die Zeit für einen Kompromiss gekommen, doch immer wieder meint einer von uns: "Noch eine Bucht," oder "Noch eine Insel". Als wir die Insel Skattön (Schatzinsel) vor uns auftauchen sehen, wissen wir, das wird auch unsere Schatzinsel sein. Siegesgewiss steuern wir darauf zu.

In der ersten Bucht sind zwar einige Kanus hochgezogen, doch bereits in der zweiten Bucht sehen wir ein einladendes Plätzchen neben einer alten Kiefer, die ihre abgestorbenen Äste romantisch in den Himmel reckt. Wir legen an und wirklich, besser hätten wir es uns nicht erträumen können. Noch dazu haben wir auf der Insel die Abendsonne, die wir am Festland nicht mehr genießen hätten können.

Das Anlegen ist kein Problem, "volle Möhre" geht es in die Bucht und wir ziehen und schieben das Kanu an Land, bis wir es bequem entladen können. Ein Platz fürs Zelt ist bald gefunden und die Feuerstelle liegt perfekt. Nicht auf der Felsplatte, sondern über dem Waldboden. Auf Felsplatten sollte man nicht Feuer machen, denn die Felsen springen leicht und splittern dann ab. Chris erweist sich als "Feuerman" und sammelt eifrig Brennholz, während ich mich über unseren Trangiakocher her mache. Heute steht eine Terrine aus Hühnchen und Makkaroni von Blå Band auf dem Speisezettel. Als Nachtisch Marillencreme.

canodal 2Die Abendsonne taucht alles in ein unglaublich klares Licht , die Konturen sind scharf abgehoben und es herrscht somit ideales, vor allem für Portraitaufnahmen freundliches Fotowetter. Leider begnügen wir uns mit ein paar Allerweltfotos in der Annahme, dass wir jetzt eine Woche Superwetter vor uns haben. Wie schnell das Wetter hier am Stora Le sich ändern kann, werden wir noch zur Genüge erfahren auf dieser Tour.

Dietmar folgt seiner Gewohnheit und stopft sich gleich nach der Ankunft mit Weingummis voll, unglaublich, wie viele von diesen Süßigkeiten der Mann verdrücken kann, nun, er wird wohl wissen, was er tut, hat er doch noch viel vor im heurigen Jahr: eben erst von einer Besteigung des Grossglockners (4000m) zurück, zieht es ihn nach dieser Tour zum Mont Blanc (4800 m), gefolgt von einer Reise nach Nepal zu einer dreiwöchigen Trekkingtour mt einigen Sechstausendern, dann noch eine Raftingtour zum Drüberstreuen und schließlich eine Tigersafari an der indischen Grenze. Nicht genug damit hat das Jahr noch einige Wochen und die wird Dietmar damit verbringen den Kilimandscharo (6000 m) in Tanzania zu besteigen. Dennoch weiß er die Vorzüge der Kanutour durchaus zu schätzen und nimmt das Paddeln als willkommenes Training für seine Touren.

Der Sonnenuntergang wird am Lagerfeuer genossen, die Insel ist völlig mückenfrei und daher genießen wir bis elf Uhr. Im Zelt ist es angenehm warm und wir träumen neuen Abenteuern entgegen.

Von der Skottön über die Furustadön zur Trondsholmarna

Um acht Uhr dreissig ist Tagwache und um neun Uhr fünfundvierzig steht das Frühstück auf dem Tablett. Ein besorgter Blick zum Himmel, nicht ganz unbegründet, denn es zieht zu. Immerhin - wir haben Rückenwind, als wir um elf Uhr zwanzig in See stechen. Es gibt leichten Wellengang, daher kreuzen wir hinüber ans rechte Ufer und gehen dort windgeschützt das Ufer entlang. Drei Kajaks begegnen uns. Nach der großen Kanuwelle dürfte das Kajakfahren immer mehr an Popularität gewinnen. Die Fahrzeuge sind auch wirklich schön anzusehen in ihrer Stromlinienform und gleiten schnittig durch das Wasser.

canodal 4Wir paddeln bis zur Furustadinsel und dahinter gehen wir ans Festland, denn laut unserer Karte gibt es da einen Windverhau mit Feuerstelle. Diese Feuerstelle ist eine der wenigen, die wirklich hervorragend ausgerüstet ist, mit reichlich Brennholz, sowie Säge und Axt. Wir wollen hoffen, dass der Grund, warum Axt und Säge hier bei der Hütte sind, nicht darin zu sehen ist, dass beide mittels einer Kette am "Fortwandern" gehindert werden.

Wir haben kaum unser Süppchen gekocht und Chris hat das obligate Lagerfeuer entfacht, als die nächsten beiden Besucher ankommen. Zwei Studenten aus Münster sind es, die im eigenen Kanu daherkommen. Trotzdem sie sich im Gespräch als alte Schwedenkenner herausstellen, ist binnen kurzem die ganze Holzhütte mit ihrem Zeugs vollgestopft, strategisch verteilt wie die berühmten Handtücher auf Mallorcas Stränden am besten Badeplatz.

Wir machen, das wir wegkommen. Am Ufer unter einer großen Weide schlägt ein Kajakfahrer eben sein Zelt auf. Er hat genug für heute, außerdem hat es leicht zu regnen begonnen. Wir legen unser Regenzeug an. Dietmar hat Goretexhosen und seine neue Regenjacke, Chris leider nur ein Nylonzeug, das ihn zwar auf dem Fussballfeld vor Schauern schützen mag, aber das gegen echten schwedischen Landregen ziemlich machtlos ist.

Wir paddeln zwei Stunden durch den zunehmenden Regen, bis uns der Wind ans Gestade einer Insel treibt, die uns gut dimensioniert und ausreichend groß vorkommt, um uns vielleicht einen idealen Lagerplatz zu bieten wie am Abend zuvor. Groß ist unsere Enttäuschung, als Tafeln verkünden: Camping und Feuer machen verboten. Wir umrunden die Insel und sehen, dass diese durch einen kleinen Sund von einer um vieles kleineren Insel getrennt ist. Mehrere Kanus liegen bereits am Ufer in mehr oder weniger großer Hast verlassen. Es schüttet. Wir gehen zum Holzverschlag, wo es sich bereits zwei Pärchen bequem gemacht haben und uns ohne große Begeisterung begrüßen. Trotzdem, es hilft nichts, Chris ist nass bis auf die Haut und wir fordern unseren Platz am Lagerfeuer ein. Zumindest für den Jungen.

Dietmar und ich suchen einen Platz fürs Zelt. Die Insel ist so winzig, dass wir nicht lange zu suchen brauchen. Auf der dem Wind abgewandten Stelle finden wir einen Platz auf einer Felsplatte, die genau nach den Abmessungen unseres Igluzelts geformt zu sein scheint. Statt der Heringe verwenden wir Schnüre, mit deren Hilfe wir unser Zelt an den umliegenden Bäumen vertäuen. Das Kanu haben wir gleich nach dem Entladen an Land gezogen, umgedreht und festgebunden.

Noch während wir unser Zelt aufstellen, kommen neue Besucher, es werden immer mehr. Zuletzt kommt noch eine Jugendgruppe von vielleicht zehn Mann. Meine Güte, sind die jungen Leute durchnäßt. Mit der Regenkleidung, die die haben, würde ich nicht einmal vors Haus gehen, geschweige denn eine Kanutour damit machen. Sie tun mir echt leid, umso mehr, als ich höre, dass sie ihr Essen über dem offenen Feuer zubereiten müssen - und auf der ganzen Insel ist nicht ein Fuzelchen Holz zu finden.

In dieser Situation habe ich volles Verständnis dafür, dass sie kurzerhand auf die Nachbarinsel hinüber marschieren und nach kurzer Zeit mit ein paar morschen Ästen zurückkommen. Not kennt eben kein Gebot. Schließlich und endlich scheint es in den Verantwortungsbereich der Kanuvermieter zu fallen, oder Dano, wie diese ganze Gegend heißt, zu jeder Hütte ein wenig Holz herbeizuschaffen, denn warum sollen die Kanuten verantwortlich gemacht werden, wenn sie kein Holz vorfinden?

Es ist wohl eher die Pflicht des Outfitters, einen Mann für solche Dinge abzustellen, denn Holz gibt es in Schweden nun wirklich genug. Als wir nach unserer Rückkehr dieses Problem mit Bertil besprechen, klärt er uns auf, dass es einen Mann gibt, der die Holzversorgung über hat, aber dessen Frau jeden Moment ein Kind erwartet und er daher unabkömmlich ist und seiner Frau beistehen will, Holznot hin Holznot her.

canodal 3Das Zelt steht, wir holen Chris und mit Hilfe der Plane halten wir ihn trocken und geleiten ihn zu seinem Schlafsack. Es ist erstaunlich, mit welcher stoischen Ruhe Chris und auch Dietmar die Unbillen des Wetters ertragen. Schließlich haben sie einen Sommerurlaub erwartet, haben drei Badehosen und Badeschlapfen mit und jede Menge kurzärmeliger Leibchen, und landen mitten in einem Sturm, naja, Stürmchen, der den Wellen Schaumkronen aufsetzt und uns ganz schön um die Ohren pfeift. Zum Glück ist es nicht direkt kalt, nur eben etwas feucht. Mit Hilfe der Persenning und der Paddel baue ich mir ein behelfsmäßige Feldküche, in der ich in Ruhe das Abendessen zubereiten kann.

Das Inselchen gleicht inzwischen einem Ameisenhaufen, dessen Einheitssprache deutsch ist. Dafür alle möglichen Dialekte, vom schwäbischen übers rheinländische bis zum weichen österreichisch. Die Jugendgruppe, die zuletzt angekommen ist, stammt aus Schwaben und obwohl die jungen Leute total durchnäßt sind, sind sie enorm freundlich und finden bei jedem Passieren meiner Küche ein nettes Wort, das in fröhlichem Ton herüber kommt.

Für mich werden die Trondsholmarna, wie unsere beiden Inseln heißen, zur echten Bewährungsprobe in punkto Essenkochen, doch die Reaktion meiner Mitreisenden ist durchaus positiv. Ich werde zum "Dreipaddelkoch" befördert. Trotzdem bin ich froh, als ich zu den beiden ins trockene Zelt kriechen kann. Wir spielen "Uno" und trinken Tee. Die Partie entscheidet Chris souverän für sich.

Von den Trondsholmarna über die Guppviksön zur Tullön

Am nächsten Morgen bläst es zwar immer noch, aber der Regen hat nachgelassen. Wir erreichen wieder unseren normalen Tagesrhythmus, frühstücken um neun und legen ab um elf. Heute sind die Inseln Guppviksön und Tullön unser Ziel. Mittag machen wir auf der Guppviksön, wo wir einen ganz bezaubernden Lagerplatz in einer kleinen Bucht auf einem minimalen Nebeninselchen ergattern. Kaum haben wir unsere chinesische Nudelsuppe hinuntergeschlungen, als schon die nächste Regenfront heranwächst. Ein Guss, und dann herrscht wieder Sonnenschein. Dieses Inselchen ist so liebenswert, sie ist vielleicht dreissig Meter lang und fünfzehn Meter breit mit einem kleinen Berg in der Mitte, bewachsen von wettergebeugten Kiefern, und inmitten von ein paar Felsblöcken finden wir eine kleine Feuerstelle. Leider macht der Regen, dass wir kein Feuer anzünden können. Wir bleiben bis drei Uhr an diesem gastfreundlichen Ort.

Um fünfzehn Uhr brechen wir auf. Heute haben wir Chris in die Persenning eingemummelt, sodass er zumindest nicht nass wird. Da hätten wir auch schon gestern draufkommen können! Weiter geht es Richtung Trollön. Jetzt ändert sich der Charakter des Sees Stora Le, der Inseln werden immer mehr. Der Karte nach nähern wir uns der Stelle, wo die Westseite des Sees zu Norwegen gehört. Wir machen einen sanften Bogen nach Osten und paddeln Richtung Foxensee und Lennartsfors, dem Ort, wo wir morgen durch die Schleusen zum See Lelången kommen werden.

War ich mir bisher nicht ganz sicher gewesen, ob wir die angegebene Strecke, immerhin etwa hundert Kilometer, auch in der vorgesehenen Zeit schaffen würden, so sind wir inzwischen ein so gutes Team, dass wir nach einem kleinen "Thing" beschließen, wirklich die ganze Rundfahrt durchzuführen. Wir paddeln daher bis spät am Abend, immer getreu unserem Wahlspruch: "keine Kompromisse" und haben dadurch das tolle Erlebnis, die unzähligen Inselchen und Inseln des Foxensees, der einen viel lieblicheren Eindruck macht als der etwas düstere Stora Le, im Abendlicht zu genießen.

Trotzdem finden wir unseren Rastplatz an diesem Abend am Festland mit herrlichem Blick über den Foxensee. Wir lagern auf einer Preiselbeerlichtung unter alten Kiefern und machen entgegen unserer Gewohnheit kein Lagerfeuer, da einfach kein geeigneter Platz fürs Feuer zu finden ist und wir uns nicht der Blamage eines Ertapptwerdens bei einer Gesetzesübertretung aussetzen wollen.

canodal 10Wir befinden uns etwa einen Kilometer hinter der Tullön rechts (die Tullön war bereits besetzt, ansonsten scheint sie sehr hübsch zu sein). Bis hierher sind wir etwa fünfzig Kilometer gepaddelt, allerdings mit Rückenwind. Auf dem Preiselbeergebüsch schläft es sich enorm gut und wir träumen viel und total realistisch und doch phantastisch. Wie Bilder von Arik Brauer oder Harry Potter Geschichten. Echt und doch surreal in ihrer Vieldimensionalität und dem kunterbunten Ablauf der Geschehnisse.

Gedanken werden hochgewirbelt, zerfallen in ihre Bestandteile und werden in einem völlig neuen und überraschenden Mosaik wieder zusammengesetzt. Anscheinend ein Beweis für unsere totale Entspanntheit, das Loslassen und die Abwesenheit des stressbetonten Alltags. Hier kann sich nicht nur der Körper erholen, sondern auch die Seele gönnt sich einen Urlaub und zeigt uns, zu welcher Farbenpracht sie fähig ist - wenn wir sie lassen.

Von der Tullön über Kollarebonäset zur Gummenäsön

Wir stehen erst spät auf um acht Uhr dreissig und lassen uns viel Zeit beim Frühstück. Lennartsfors und die Schleusen sind der nächste Höhepunkt. Immer wieder wenden wir uns um zu den Inseln des Foxensees, die sich wie an der Perlenschnur aufgereiht darbieten. Fürwahr, ein wunderschönes Fleckchen auf unserer buckligen Welt.

Um dreizehn Uhr sind wir in Lennnartsfors. Grünes Licht empfängt uns an der Einfahrt zur Schleuse. Wir nehmen das als gutes Omen und lassen uns an der Felswand entlang treiben. Rechts oben ist das Schleusenwärterhaus und auf unser Rufen erscheint ein älterer Herr mit weißem Haar. Die Ruhe selbst holt er zuerst einmal seine Regenjacke, wobei er anscheinend vergessen hat, wo er sie hingehängt hat, nach der Dauer zu schließen, bis er sich wieder blicken lässt. Aber dann geht es Schlag auf Schlag.

Wir fahren in die erste Schleuse ein, er wirft uns ein Seil zu, an dem wir uns festhalten, und dann wird das Wasser abgelassen. Ebenso bei der zweiten und dritten Schleuse. Es ist ein ziemlich unheimliches Gefühl, da mehr als sieben Meter unter den zahlreichen Neugierigen zu sitzen, die auf uns hinunter schauen. Hinter uns ist eine Familie mit zwei kleinen Kindern im Kanu. Auch auf ihren Gesichtern mischt sich freudiges Erstaunen mit etwas Angst. Endlich öffnet sich das letzte Schleusentor und wir sind auf Höhe des Lelången. Befreit von der drückenden Enge der Schleusen paddeln wir drauf los, als wäre der Teufel hinter uns her.

Kein wunder, dass wir bereits um vierzehn Uhr beim Kollarebonäset ankommen, einem Rastplatz von Dano mit schönem Seeblick. Hier stärken wir uns ausgiebig ehe wir bei schwerer See mit Schaumkronen auslaufen. Chris verkriecht sich sofort unter der Persenning und Dietmar paddelt was das Zeug hält. Der Wind pfeift und es ist keine Unterhaltung möglich. Wir suchen Schutz am Ufer und tasten uns von Bucht zu Bucht.

So kommen wir bis zum Verkenäset, dann merken wir, dass wir uns bewohntem Gebiet nähern und beschließen, auf die gegenüberliegende Seite des Sees wieder in die Wildnis zu queren. Dies ist bisher die härteste Kraftprobe für uns, speziell das Steuern gegen den Wind ohne dass das Boot zu viel "suppt", also Wasser aufnimmt, erweist sich als schwieriges Unterfangen. Doch allein das Gelingen entscheidet und wir werden für unsere Anstrengungen mit einem wirklich schönen Rastplatz auf einer Sandbank in Båtviken auf der Insel Gummenäsön belohnt.

Dalsland 7Es ist wirklich kaum zu glauben, aber bis jetzt hatten wir immer Superrastplätze. Auch hier. Weit und breit keine Menschenseele, unsere Sandbank hat eine kleine Feuerstelle, und Holz gibt es massenhaft vom nahegelegenen Kahlschlag, der wiederum bereits mit Preiselbeersträuchern überwuchert ist. Um die Feuerstelle sind Holzstämme zum Sitzen aufgebaut und Dietmar hat sich kaum niedergelassen, als der Baum nach hinten rollt! Alle stimmen ein fröhliches Gelächter an, ein Zeichen, wie gut die Stimmung ist, dass auch kleine Missgeschicke uns nichts anhaben können.

Zum Abendessen gibt es einen Markenwechsel zu vermelden. Hatten wir früher Blå Band verkostet, so wurde in Karlstad in den Outdoorboutiquen eine neue Marke gefunden: Reiter, eine deutsche Firma. Dementsprechend ist die Würze etwas herzhafter und wird dem deutschen Gaumen eher gerecht als die sehr milden Speisen von Blå Band. Leider sind die Reiterportionen wirklich knapp bemessen.

Zum Glück haben Dietmar und Chris eine neue Nachspeise kreiert: Kartoffelstock mit Erdbeercreme. Kartoffelstock ist nichts anderes als das gute alte Kartoffelpüree, ganz simpel herzustellen aus Kartoffelpulver und heißem Wasser. "Rühren, rühren, rühren". Die Erdbeercreme wird kalt angerührt. Beides zusammen gibt eine nahrhafte und extrem wohlschmeckende Speise. So gut, dass sie immer wieder verlangt wird und sich dadurch für den Koch der Brennspiritus gefährlich schnell dem Ende zuneigt.

Daher wird aus der Not eine Tugend gemacht und ab jetzt heißt es: Trapper kochen über dem offenen Feuer ... und es dauert gar nicht einmal länger! Das war nun wirklich eine interessante Entdeckung, wie einfach sich die Zubereitung der Speisen auch über dem offenen Feuer zuwege bringen lässt. Ein supertolles Abendglühen lässt uns ganz still werden und wie verzaubert in den glutroten Abendhimmel starren.

Der Ruhe des Abends folgt eine stürmische Nacht. Wieder einmal bin ich um drei Uhr auf, weil ich glaube, der Wind reißt unser Zelt aus den Heringen. Außerdem sind die Wellen so laut, dass ich das Kanu zur Vorsicht noch einmal inspiziere. Keine Bange, alles unter Kontrolle. Danach liege ich noch lange wach und denke über das Angstphänomen nach. Mit zunehmendem Alter stelle ich ein immer größeres Potential an mir fest, undefinierbaren Angstzuständen Raum zu geben. Doch diese Angst kann, wie mir jetzt, in der stürmischen Nacht im Båtsviken klar wird, über das Erkennen der Gefahr und ihre Definition wieder in positive Energie umgewandelt werden.

Wie eben, als ich das Boot festgebunden habe, den fahlen Mond beobachte und mich ganz den Elementen überlasse, wird die Angst, die mich im Zelt befallen hatte, durch dieses Loslassen zu einem Ansporn für die Gedanken, die hier an der frischen Luft und auf Tuchfühlung mit der eingebildeten Gefahr mich stark werden lässt und mit erhobenem Kopf aus der Schwächephase hervorgehen lässt. Ein durchaus angenehmes Gefühl.

Von der Gummenäsinsel zur Storön

Um acht Uhr ist Tagwache. Ich bin noch etwas benommen von den Erkenntnissen der Nacht und es fällt mir schwer, mich auf meine täglichen Pflichten zu konzentrieren. Auch Dietmar ist die Anstrengung des gestrigen Tages anzumerken. Er fühlt sich etwas schlapp und wir bleiben extra lange beim Frühstück sitzen. Nur Chris ist guter Dinge, eine Laune, die sich auch durch ein Missgeschick beim Zähneputzen nicht einschränken lässt, als zuerst die Zahnpaste ein Raub der Wellen wird und dann beim Bergungsversuch Nahkontakt dritten Grades mit dem Wasser eintritt.

Erst vier Stunden später schieben wir unser Kanu ins Wasser und um vierzehn Uhr kommen wir beim kleinen Ort Torvskog vorbei, eine Kirche und ungefähr drei Häuser bei schönem Wetter, die Strahlen der Sonne lassen die Kirche in hellem Weiß erstrahlen. Um achtzehn Uhr sind wir bei unserem letzten geplanten Rastplatz angekommen, der Insel Storön, doch wir spüren alle drei, dass wir an diesem letzten Abend nicht unbedingt mit anderen teilen wollen, daher paddeln wir noch weiter und zwar am linken, dem Ostufer des Lelången. Dort erhebt sich zwar eine steile Felswand, doch wir rechnen uns aus, dass wir schon irgendwo ein Plätzchen finden werden.

Dalsland Kanu 14Wie erwartet tut sich eine Bucht auf und wir gehen auf einem Schotterstrand an Land. Der Strand ist etwa vier Meter breit, dann folgt ein Absatz und unter einigen Birken ist ein Schotterabsatz, der wie von den Wellen geformt erscheint. Wenn das kein ergonomisches Bett ist, fährt es mir durch den Kopf. Klar, es sind Steine, aber irgendwie erscheint mir diese Form vielversprechend. Wir beschließen, hier unser Zelt aufzustellen und die Nacht zu verbringen. Wir entfachen das obligate Lagerfeuer direkt am Strand, allerdings ein recht kleines, um keinen Ranger auf uns aufmerksam zu machen. Chris ist außer sich vor Freude über die vielen Steine und übt sich ohne Pause im Weitwerfen.

Langsam ziehen zwei Kajaks durch die untergehende Sonne, Dietmar wirft die Angel aus. Wieder werden wir für unsere Kompromisslosigkeit bei der Wahl des Lagerplatzes belohnt. Am Abend zuvor hatte ich Dietmar in Erstaunen versetzt mit einem Ausspruch: "Es ist wie es ist und wie es ist, ist es gut".

"Dafür habe ich ein sündteures Seminar bei Professor Wischnevski in der Schweiz besucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen," meint er, "und du sagst das einfach so her". Heute revanchiert er sich, indem er mir beweist, wie sehr wir uns von unseren eigenen Vorstellungen einengen lassen.

Das tut er anhand einer Übung, die ganz leicht nachzuvollziehen ist: "Stell dich mit dem Gesicht zum See auf, Knie leicht gebeugt. Jetzt streck deinen rechten Arm nach vor mit ausgestrecktem Zeigefinger. Nun bewege den Arm so weit du kannst nach hinten. Noch ein Stück, he, du schaffst noch ein Stück. Okay, jetzt schau nach hinten und merke dir, wie weit du den Arm nach hinten bewegt hast. Nun schließt du die Augen und bewegst den Arm noch mal nach hinten so weit du kannst. Hast du's? Noch ein Stück, so weit du kannst. Okay. Laß den Arm dort, öffne die Augen und schau nach hinten."

Zu meiner Überraschung war der Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger mindestens dreissig Zentimeter weiter nach hinten gerückt als vorher. "So sehr schränkt uns unsere Vorstellung von unseren wahren Möglichkeiten ein", meint Dietmar lakonisch. Ein Aha - Erlebnis der Sonderklasse, an das sich auch meine Überlegungen der kommenden Nacht anschließen, als mich die Regentropfen und das Rütteln des Windes an der Zeltplane nicht schlafen lassen.

Worauf kommt es an im Leben? Was haben wir für Möglichkeiten? Ich glaube am wichtigsten ist das Überleben. Dann kommt die Fortpflanzung und dann wohl die Erkenntniserweiterung. So eine Kanutour fördert die merkwürdigsten Gedanken glasklar zu Tage und macht uns auf das Wesentliche aufmerksam. Und vielleicht sogar achtsam durch die geschärfte Wahrnehmung und Empfänglichkeit für die wichtigen Dinge des Lebens.

Von der Storön über die Liebesinsel nach Bengtsfors

Es regnet noch in der Früh des nächsten Tages. Wie ist jetzt das Wasser für den Frühstückskakao zum Kochen zu bringen? Zum Glück haben wir die Birken. Wie jeder Trapper weiß, brennt Birkenrinde wie Zunder und ermöglicht das Entfachen eines Feuerchens auch bei strömendem Regen. Das trockene Brennholz kommt von abgestorbenen Ästen eines Nadelbaums. So staunen meine beiden Gefährten nicht schlecht, als der heimelige Geruch des Feuers in ihre Nasen steigt - trotz strömenden Regens. "Nanu, hast du gezaubert?" fragt Chris und befördert mich im gleichen Atemzug zum Vierpaddelkoch.

Kanu in Dalsland 15Noch während dem Frühstück lasse ich meine Blicke des öfteren unruhig über das aufgewühlte Wasser schweifen. Mir ist klar, dass wir heute nicht den Kurs einfach verfolgen können, sondern uns etwas einfallen lassen müssen, um den Unbilden des Wetters ein Schnippchen zu schlagen. Was hätte Kapitän Hornblower wohl jetzt getan, frage ich mich selber zum hundertsten Mal.

Er wäre wohl mit dem Wind in die nächste Bucht gefahren, hätte dort gewendet und wäre dann schräg gegen den Wind zur Insel hinübergekreuzt, würde dort an der Nordseite im Windschatten verweilt haben um wieder zu Kräften zu kommen, und hätte sodann das gegenüberliegende Ufer angepeilt. Immer Schutz von einer Insel zur nächsten.

Gesagt getan. Dietmar lässt sich von meinen Argumenten überzeugen, jeder nimmt sich ein paar Müsliriegel als eiserne Reserve, falls wir ans falsche Ufer gespült werden, Chris verkriecht sich wieder in seine Persenning und macht sich unsichtbar, Dietmar spuckt in die Hände und wir nehmen den Kampf mit dem Wind auf. Es erweist sich als leichter, als ich dachte. Nur das Halsen bringt uns einen Augenblick aus dem Gleichgewicht und einige Mal klatscht das Kanu auf den heranrollenden Wellenkamm, und beschert Dietmar eine kalte Dusche, ehe ich es etwa zwanzig Grad seitlich vom Wellenkamm versetzt steuere, wodurch wir die Wellen gut abrollen können. Mit viel Kraft und Muskelschmalz von Dietmar erreichen wir nach einer halben Stunde die schützende Insel Storön.

Eine wohlverdiente Pause für unsere Arme oder besser gesagt wohl für Dietmars, der brav und ausdauernd wie ein Motor paddelt und uns vorwärts treibt. Wir halten aufs westliche Ufer zu und nehmen dann Kurs auf unser Ziel Bengtsfors. Doch vorher wollen wir noch Mittagessen. Daher laufen wir die Insel Greaön an. Doch die ist eine herbe Enttäuschung. An jedem Ende ein Zelt, auch der Holzverschlag ist fest verschlossen durch eine Plane. Ich kann es mir nicht verkneifen und grüße laut und deutlich, worauf sich ein verschlafenes Gesicht zeigt und irgendetwas unverständliches brummt.

Auf der ganzen Insel, die nicht einmal klein ist, ist kein Bröserl Holz zu finden. Nach dem Besuch der Biotoilette beschließen wir, zu einer kleinen Insel zurück zu paddeln, die sich wie ein Atoll aus dem Wasser erhebt und wie eine Insel der Malediven mit einem hellen Sandstrand lockt. Es ist mir unverständlich warum sich alle auf dieser Insel drängen, wo doch die Atollinsel, die noch dazu den verführerischen Namen "Kärleksön", also Liebesinsel trägt, zu fahren.

Auch gut, so haben wir die Insel für uns. Nach zehn Minuten mit Rückenwind legen wir in einer kleinen Bucht an. Es regnet nicht mehr und die sonne zeigt sich und wirft ihre Strahlen auf die umliegenden Wälder und taucht das Wasser in ein herrliches Grün. Chris inspiziert die Insel und ruft uns begeistert zu: "Hier bleiben wir". Die Essenstonne wird geschultert und wir erklimmen die Insel. Obenauf stehen ein paar Kiefern. In der Mitte befindet sich eine Feuerstelle, leider ohne Holz, doch das tut unserem Wohlgefallen keinen Abbruch.

Was steht heute wohl auf dem Speiseplan? Gemüsesuppe, Käsebrot und Kartoffelstock mit Blaubeerencreme als Nachspeise. Zum Glück ist noch etwas Brennspiritus in der Flasche, sodass einem Schlemmen satt nichts im Wege steht. Jeder kriegt auch noch einen Nachschlag.

So gestärkt machen wir uns auf den Weg nach Bengtsfors. Im Sund von Bengtsfors wirft Chris noch einmal seine Angel aus - und was passiert? Eine Forelle beißt an. Der neue, bisher unerprobte Blinker tut seine Schuldigkeit, unser aller Erwartung zum Trotz. "Na, den hast du dem Fisch wohl auf den Kopf geworfen," meint Dietmar.

Doch die Freude über den unverhofften Fang währt nur kurz,. Noch während wir nach einem Plätzchen Ausschau halten, wo wir anlegen können, befreit sich die Forelle und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. "Macht nichts, immerhin sind wir Zeugen deines Angelgeschicks", trösten wir Chris.

Dalsland Kanu  8Um sechzehn Uhr sind wir am ausgemachten Treffpunkt angekommen und beschließen unsere Tour in Dalsland mit einem riesengroßen Eis. Bald schon taucht Bertil auf und wir laden unser Kanu mit leiser Wehmut auf den Hänger. Es ist schon so, je größer die Anstrengung, umso größer die Belohnung. Wir fühlen uns alle drei reich. Reich an Erlebnissen, an Überwindungen und an daraus gewonnenen Erkenntnissen.

 

Last Updated: Freitag, 14.Oktober 2011
Copyright 1999-2011 Dr. Eduard Nöstl

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