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Zauberhaftes Lappland - Arvidsjaur

Zur Rentierscheide nach Arvidsjaur

Carl Gustaf ist Rentierhalter, besitzt also eine Menge Rentiere und lebt von der Rentierzucht wie schon seine Vorfahren. Wir werden gemeinsam nach Maskaure fahren, das ist ein Plat in der Nähe von Arvidsjaur, wo die Samen ihre Rentiere zusammentreiben und Herden in Ordnung bringen. Jedes Samendorf besteht aus mehreren Familien und jedes Dorf hat seine eigenen Weidegebiete, die durch oft kilometerlange Zäune oder natürliche Hindernisse wie Bergketten oder Flüsse voneinander getrennt sind.

Von Eduard Nöstl



Auf dem Tannenreisig liegen Rentierfelle und auf diesen breite ich meinen Schlafsack aus. Jetzt noch einmal ordentlich Holz aufs Feuer gelegt und dann werde ich die Polarnacht wohl gut überstehen. Naja, so ganz wie ich mir das vorgestellt hatte, ist es nun ja nicht gerade, einige Male muss ich Holz nachlegen, weil es auch auf Rentierfellen kühl wird, aber schlafen tut man gut und tief an der frischen Luft. Bei einem Blick vor die Tür kann ich verfolgen, wie das Nordlicht in Kaskaden gigantischer Wasserfälle aus Neonlicht über den Himmel zieht.

Am nächsten Tag um acht bin ich mit Carl Gustaf verabredet. Carl Gustaf ist Rentierhalter, besitzt also eine Menge Rentiere und lebt von der Rentierzucht wie schon seine Vorfahren. Wir werden gemeinsam nach Maskaure fahren, das ist ein Platz, wo die Samen ihre Rentiere zusammentreiben und Herden in Ordnung bringen. Denn jedes Samendorf besteht aus mehreren Familien und jedes Dorf hat seine eigenen Weidegebiete, die durch oft kilometerlange Zäune oder natürliche Hindernisse wie Bergketten oder Flüsse voneinander getrennt sind.

Dieses Vorhaben nennt man "renskiljning" also Rentierscheide. Allen Nordlandfahrern wird im Sommer der kreisrunde "Korral" aufgefallen sein, den man an vielen Orten meist leer, weil ja im Sommer die Rentiere in den Fjälls auf Sommerweide sind, vorfindet. Nun, so ein Korral wird für dieses Rentierscheide und benutzt.

Pünktlich um acht stehe ich vor der Tür meines Blockhauses, angetan mit den wärnsten Sachen, die ich überhaupt besitze. Daunenparka mit Kapuze, Pelzmütze, Lodenhose, Überhose und vor allem die beim Skoterfahren bewährten warmen Stiefel, den Moonboots ähnlich, wie sie früher beim Apre Ski modern waren.

Auf dem Weg nach Maskaure erzählt Carl Gustaf ein bisschen was aus seinem Leben. Im Unterschied zu den ziemlich ruhigen Vertretern seiner Rasse ist Carl Gustaf eloquent und munter. Die Samen sind von den Schweden nicht nur von der Statur her verschieden. Sind die meisten Schweden stattliche Männer von ziemlich weit über einsachtzig so sind die Samen von der Statur her eher zierlich gebaut. Der mongolische Einschlag wird noch durch die dunklen Haare und hohen Backenknochen unterstrichen, auch haben viele Samen braune Augen.

Carl Gustaf hat sein Leben lang in Einklang mit seinen Rentieren, verbracht. Sein Jahr ist völlig auf den Bedarf der Tiere ausgerichtet. Im Sommer werden die Rentiere ins Fjäll getrieben und im Winter in die küstennahen Wälder, wo sie im Wald von Flechten leben, die von den Bäumen herunterhängen. Diese Flechten heissen denn auch "Renlav" und sind bezeichnend für gesunde Wälder und vor allem alten, naturbelassenen Baumbestand.

Vorsichtig chauffiert Carl Gustaf sein Gefährt auf der Schneefahrbahn. Es ist ihm anzumerken, dass er sich auf dem Skoter, also dem Motorschlitten sicherer fühlt als im Auto. Als wir an einem zugefrorernen See vorbeikommen, erinnert ihn der Anblick an einen der schlimmsten Augenblicke seines Lebens.

IM EIS VERSUNKEN

"Letztes Frühjahr war ich hier mit dem Motorschlitten unterwegs. Es herrschte dichter Nebel und das Eis war schon ziemlich dünn. Mitten auf dem See merke ich plötzlich wie das Eis unter mir nachgibt und wie der Schlitten langsam, langsam, zu sinken beginnt."

Carl Gustafs Stimme merkt man die Erregung an, die ihn damals in Todesangst versetzt hat.

"Der Nebel hat mich wie dicke, undurchdringliche Watte eingehüllt und trotzdem ich schrie, um mein Leben schrie, verhallten meine Schreie ungehört und mit jeder Sekunde versank mein Schlitten tiefer im Wasser. Nach kurzer Zeit sass ich bis zu den Hüften im eiskalten Wasser. Ich konnte überhaupt nichts machen, war wie gelähmt, wie im Zeitraffer beobachtete ich mich selbst umgeben in diesem unwirklich anmutenden Nebel.

"In letzter Verzweiflung brüllte ich den Namen meines Sohnes hinaus. Der kam, als mir das Wasser buchstäblich bis zum Hals stand und hat mich herausgezogen. Der Motorschlitten war weg. Aber ich habe überlebt."

Ein paar Wochen im Krankenhaus war die Folge dieses unfreiwilligen Bades und heute, fast ein Jahr später, fühlt sich Carl Gustaf noch immer nicht auf dem Damm.

"Es ist komisch, an einem Tag fühle ich mich pudelwohl und schon am Tag drauf komme ich nicht aus dem Bett", fasst er seinen Zustand zusammen.

AUF DEM RENTIERSCHEIDEPLATZ

Unter solchen Gesprächen und Gedanken erreichen wir den Rentierscheideplatz. Hier stehen bereits eine Menge Autos auf dem Parkplatz, die meisten mit Anhängern, um Rentiere, die sich zu einer fremden Herde verirrt haben, gleich mitzunehmen.

Die Luft vibriert, sie flimmert von Millionen kleiner Schneekristalle, die von den Hufen der Tiere aufgewirbelt werden. Ein Geruch nicht unähnlich dem Pferdeschweiss liegt wie eine Dunstglocke über dem Schauplatz des Geschehens. Der Korral ist voller Rentiere, es mögen fünfhundert, ja vielleicht sogar an die tausend sein, die hier im Kreis getrieben werden.

Mitten drinnen in diesem rasenden Inferno stehen Männer und Frauen, jeder mit einem Lasso in der Hand und halten mit scharfen Auge Ausschau nach den Tieren mit der eigenen Kennung im Ohr. Mir ist unerklärlich, wie die Leute diese kleinen Schnitte erkennen können.

Wir drängen uns zwischen den Tieren durch. Das ist leichter als es sich anhört, denn die Rentiere weichen mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit den Menschen aus. Trotz ihrer riesigen Geweihe und ihrer grossen Zahl auf kleinem Platz kommt es nicht einmal zu einer Berührung.

Auch Carl Gustaf hat ein Lasso mitgebracht und späht jetzt mit zusammengekniffenen Augen in die für mich alle gleich wirkenden Tiere. Er hat auch bereits eines als seiner Herde zugehörig identifiziert, ein kurzes Wirbeln des Lassos, ein Wurf und schon stemmt sich der zierliche Mann mit all seiner Kraft gegen das Gewicht des Tieres, das versucht, das lästige Hindernis, das so ein Strick mit einem daran hängenden Menschen ausmacht, abzuschütteln. Vergeblich.

Das Lasso kann sich entweder im Geweih verfangen oder wird durch eine geschickte Bewegung der Hand während des Wurfs auf dem Boden aufschlagen und sich dann um die Vorder- oder Hinterläufe des Tieres schlingen. Mit vereinten Kräften wird das Rentier unter Mithilfe anderer Samen zu einem Aufkäufer geschoben, der mit lauter Stimme Namen und Art des Tieres ruft, was seine Sekretärin penibel auf Papier festhält.

Das Rentier wird dann in einen kleineren Korral geschoben und das nächste Tier wird aus der Menge herausgesondert. Ich stelle mich ganz nahe neben Carl Gustaf auf und versuche, seinem Blick zu folgen.

"Jeder Rentierhalter erkennt sein Tier auf einen Blick", meint er. "Das ist eines der ersten Dinge, die du lernst. Von klein auf. Dein eigenes Zeichen zu kennen ist wichtiger als Lesen und Schreiben." Und schon wirbelt das Lasso wieder durch die Luft. Doch diesmal ist das Tier schneller, nur um bei der nächsten Runde eingefangen zu werden.

Mir wird ob so viel kreisförmiger Aktivität schwindlig und ich verlasse den Zauberkreis. Auch rund um den Korral ist Aktivität. Rentiere werden auf riesige Lastwägen verladen, Samen verhandeln über den Preis eines Rentieres, und Frauen kochen gemütlich Kaffee am offenen Feuer.

Als ich um einen der Lastwagen herumgehe, bleibe ich erstaunt stehen. Mein Blick fällt auf ein Gerüst, an dem drei eben geschlachtete Rentiere hängen. Zwei Männer ziehen ihnen seelenruhig das Fell über die Ohren. Es geht ruhig und professionell zu.

IM RENTIERLAND

Ich marschiere wieder zurück zum Korral, da kommt mir schon Carl Gustaf entgegen. Er hat die Arbeit seinen Söhnen überlassen und sucht jetzt einen geeigneten Platz für ein kleines Lagerfeuer. Ein windgeschützter Platz ist hinter einer Schneewächte gefunden, dann wird die Axt hervirgeholt und ein Holzstock zerkleinert.

Mit dem Messer werden Späne geformt, auf einen Haufen geschichtet, mit Flechten statt Papier wird das Feuer entzündet und schon nach nicht einmal fünf Minuten flackern die Flammen auf. Carl Gustaf rollt ein ungegerbtes Rentierfell aus und wir lassen uns nieder.

"Hungrig?" fragt er und auf mein Nicken holt er aus den unergründliches Tiefen seines Rucksacks eine Bratpfanne und einen Sack mit Rentierfleisch. Butter wird in die Bratpfanne geschnitten, Rentiergeschnetzeltes dazugemengt und schon nach kurzer Zeit brutzelt das Fleisch über dem Feuer und verbreitet einen verführerischen Duft..

Ein Glas mit Preiselbeermarmelade wird geöffnet und schon setzt ein Schlemmen an, das seinesgleichen sucht. Keine Frage, die Samen verstehen zu leben. Im Rentierland gibt's Rentierfleisch. Und wenn man das nicht jeden Tag hat, so wird es zur Delikatesse. Das Fleisch ist fettarm und wird von Feinschmeckern dem Elchfleisch vorgezogen, da es nicht so faserig ist, also viel zarter.

Während wir noch geniessen, hängt Carl Gustaf den Kaffeekessel, der schon ganz schwarz vom oftmaligen Gebrauch ist, an einem Stock übers Feuer, binnen kurzem kocht das Wasser, Kaffee wird dazugegeben, noch einmal aufgekocht, der Kessel wird vom Feuer genommen, damit sich der Sud setzen kann und dann gibt es Kaffee und dazu hausgemachten Kuchen.

Wieder habe ich Gelegenheit die Lebensqualität dieser Menschen zu beobachten. Dieses völlig unhektische Dasein hier heraussen in der freien Natur. Kilometer um uns herum ist nichts. Wald, Schnee, Stille. Nur im Korral herrscht Aktivität. Doch um uns zeitlose Ruhe.

Irgendwie scheint Carl Gustaf das Kunststück gelungen zu sein, das beste aus zwei Welten in seinem Lebensstil zu vereinen. Auf der einen Seite die Vorteile des freien Lebens in der Natur auf der andern die sicher angenehmen Bequemlichkeiten der modernen Zivilisation. Für ihn ist alle Spekulation über das moderne Leben müssig. Carl Gustaf, Rentierhalter, hat seinen Platz im Dasein gefunden und ist's zufrieden.


4000 Seen, 8000 Einwohner, 25.000 Rentiere. Das ist Arvidsjaur. Der winzige und doch so wichtige Ort liegt mitten in Lappland und bildet einen Teil des sogenannten Lappland Triangels, das sich zwischen Arjeplog, Jokkmokk und eben Arvidsjaur erstreckt. Hoher Norden also, doch die Anreise wird durch die Reichsstrasse 45 leicht gemacht. Die Anreise von Stockholm per Flugzeug dauert knappe zwei Stunden.

Informationen:
Arvidsjaur Turistbyrå
Garvaregatan 4
933 32 Arvidsjaur
Tel: +46 960 175 00
Fax: +46 960 136 87


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Last Updated: Freitag, 14.Oktober 2011
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