Hohe
Küste/Kramfors
Durch
die wilde Slåttsdalsschlucht
Aha,
endlich einmal einer, der das Wandern ebenso wie ich als Herausforderung
empfindet. Kein müssiges Vorsichhintapsen also, sondern mit
Schwung geht's zur Sache! Jan Lindmark ist um die fünfzig,
ein Riesenkerl, an die einsneunzig, sportlich durchtrainiert, hohe
Stirn, kleines David Niven Bärtchen, für alle, für
die der britische Schauspieler kein Begriff ist, englisches Offiziersschnurrbärtchen,
und einen festen Händedruck. Da habe ich auch endlich einen
kompetenten Begleiter gefunden, der mir erklären kann, wie
man nun wirklich mit einem Kompass umgeht. Meine
Leser werden ja inzwischen wissen, dass ich meine liebe Not mit
diesem Werkzeug habe, beziehungsweise, dass ich mich nur ungern
darauf verlasse. Auf meine Frage holt Jan die Karte heraus und legt
den Kompass auf. "Okay, jetzt norden wir ein. So. Und wir wollen
dahin", sein Finger zeigt auf einen Punkt, der mit "Slåttdalsskrevan"
bezeichnet ist. "Jetzt ist es so, dass der Weg da vorn aufhört,
daher müssen wir dann eine Peilung durchführen, weil wir
einfach quer durchs Gelände gehen".
Von
Eduard Nöstl
Der Weg
hört auch wirklich auf. Nur nicht ganz dort, wo wir uns gedacht
hatten. Sondern viel weiter südlich. Ich kann mir ein Schmunzeln
nicht verbeissen. Ist ja gut, dass solche kleinen Schnitzer auch den
Besten passieren. Aber Jan bleibt Herr der Lage. "Zuerst wollen
wir einmal einen Bissen essen", brummt er, um Haltung bemüht.
Die
Hohe Küste hat ihren Namen von der Steilküste, die hier
in den Jahrtausenden seit der letzten Eiszeit entstanden ist. Bis
zu achthundert Meter hat sich das Erdreich, als es vom Gewicht der
kilometerdicken Eisschicht befreit war, gehoben. "Wie ein Schwamm,
der nach dem Zusammenpressen wieder seine ursprüngliche Form
annimmt", hatte mir das Janne Mellander aus Kramfors erklärt.
Und immer noch erhöht sich das Land um einige Zentimeter jährlich.
Die
Hohe Küste liegt im südlichen Norrland, am besten fährt
man von Stockholm die Küste entlang auf der Europastrasse 4
Richtung Norden, also über Uppsala, Gävle, Sundsvall und
schliesslich nach Härnösand über die siebentlängste
Hängebrücke der Welt. Da beginnt die Hohe Küste und
erstreckt sich dann ungefähr 130 Kilometer bis Örnsköldsvik.
Charakteristisch für die Hohe Küste sind Hügel, Felsen
und Inseln, die in eine Höhe bis über dreihundert Meter
direkt aus dem Meer herauswachsen.
SKULEBERG
Wir
sind von Ullånger zuerst Richtung Norden zum Skuleberg gefahren,
wo wir uns den Klettersteig ansehen, der hier neben der Srasse von
einem grossen Parkplatz aus angelegt wurde. Wir
tuckern ein Stück auf der E4 Richtung Norden, und bei einem
unscheinbaren Weg, der noch dazu nach fünf Metern von einem
Schranken versperrt ist, halten wir an und stellen das Auto ab.
Jetzt geht es los. Jan schlüpft in seine Gummistiefel, während
ich die Gamaschen an meinen Bergschuhen festmache. Karte hat er
mit, ein Blick auf den Kompass, und mit wahren Siebenmeilenschritten
legt Jan los.
Bei
unserer erzwungenen Pause holt Jan eine Elchwurst heraus. "Aus
Åsele", meint er, "da gibt es eine kleine Räucherei,
die macht ganz hervorragende Sachen". Dazu gibt es Kaffee aus
der Thermosflasche. Auch Thea, die zweijährige, leicht übergewichtige,
aber total freundliche Labradordame, bekommt ihren Teil davon ab.
Nach
dieser kleinen Stärkung wird wieder die Karte gezückt,
doch diesmal nicht eine richtige Wanderkarte. Wieder die gleiche
Prozedur, die Gradzahl wird abgelesen, dann führt Jan eine
Peilung durch. Eine Peilung ist, wenn man die Gradzahl des Zieles
bestimmt hat, und irgendeinen Baum oder einen Hügel, der in
Marschrichtung auffällt, anvisiert.
Darauf
marschieren wir jetzt zu und dann , wenn wir da sind, machen wir
einen neuerliche Peilung. Und so tasten wir uns an unser Ziel heran.
"Allerdings versuche ich nie, das eigentliche Ziel anzupeilen,
sondern immer eine Art Fangnetz - also einen Bach oder einen Weg,
damit man einen Spielraum hat", erklärt Jan.
So
ist er auch bei einer Winterwanderung nicht genau auf die Hütte
losmarschiert, sondern auf einen Fluss oder einen Hügelzug,
dem er dann einfach bis zum Ziel gefolgt ist. "Bei Nebel oder
im Schneesturm übersiehst du eine Hütte leicht, aber einen
Bach nicht", meint er. Ausserdem hatte er für den Notfall
ein GPS mit, auf dem er alle Hüttenkoordinaten eingegeben hat.
Wir
brechen auf. Über Stock und Stein, durch Jungwald und über
einen moorigen Abschnitt, geht es mit der gleichen Geschwindigkeit
dahin, wie vorher auf dem ebenen Weg. Immer wieder wird der Kompass
zu Rate gezogen und geprüft, ob die Richtung stimmt. Ein Bach
hat sich ein tiefes Bett, ja fast könnte man sagen, eine kleine
Klamm, gegraben.
Da
müssen wir hinunter und drüben wieder hoch. Die Vegetation
ist üppig, die Bäume sind zum Teil durch Windbruch gefällt
und versperren uns den Weg. Riesige Eiszapfen hängen von den
Felswänden, zum Teil liegen sie zentnerschwer am Boden, vom
Tauwetter geborsten.
Nach
der Überwindung des Bachs stellt sich uns ein Berg in den Weg.
"Na, den wollen wir lieber umgehen", meint Jan, "ich
mache das meistens so, dass ich einem Tal folge". Daher machen
wir einen Blick auf die Karte und entschliessen uns, den Berg rechts
zu umgehen, in der Hoffnung, dadurch auf einen Weg zu stossen, der
uns nach einigen Kurven auf den Hohe Küste Wanderpfad führen
soll.
Hinter
dem Berg breitet sich ein Moor aus. Da müssen wir halt drüber,
meint Jan und stapft unbekümmert drauf los. Ja, er tut sich
leicht mit seinen kniehohen Stiefeln. Ich beschliesse, dem Rand
des Moores zu folgen. Das dauert zwar etwas länger, aber dafüf
bleibe ich trocken. Nach dem Moor noch einen Hang hoch und siehe
da, ein blaumarkierter Weg!
ZUR
RÄUBERSCHLUCHT SLÅTTDALSSKREVA
Auf
dem bleiben wir jetzt. Er ist schmal und eng, ein richtiger kleiner
Waldsteig. Stetig geht es bergauf, unglaublich, wie bergig es ist
an der Hohen Küste. Wir sind jetzt ungefähr drei Stunden
unterwegs. An einer Weggabelung stossen wir auf den Weitwanderpfad,
der orange markiert ist. Doch ehe wir uns Richtung Räuberschlucht
bewegen, machen wir einen Abstecher zu einer kleinen Hütte
auf einer Lichtung.
"Zum
lachenden Barsch" heisst der Teich, an dem die Hütte liegt
(Skrattaborrtjärn). In der Hütte ist es trocken und unsere
Kerzen verbreiten einen heimeligen Schein. Jan packt ein gegrilltes
Hühnchen und ein Bier aus. Ein richtiges Festessen erwartet
uns.
Auch
Thea freut sich über ihren Anteil. Leider sind wir ein wenig
in Zeitdruck geraten, denn jetzt im Herbst wird es schon früh
dunkel. Daher können wir im Kanonenofen kein Feuer entfachen.
Aber im Winter kann ich mir vorstellen, lässt es sich hier
aushalten, wenn ein Feuer im Ofen bullert und eine angenehme Wärme
verströmt.
Nach
Passieren des Teichs geht es wieder aufwärts, wir wandern am
Scheitel eines Hügelzuges entlang. Es ist wie auf einer Alm
in den Alpen - Felsen, vereinzelt ein paar verwitterte Föhren.
Bei guter Sicht müsste man die der Küste vorgelagerten
Inseln ausnehmen können. Heute ist die Sicht auf ungefähr
zwanzig Meter beschränkt. Wir tasten uns voran, der Wind treibt
uns Schneeflocken ins Gesicht. Immer wieder halten wir Ausschau
nach der Markierung, denn der Weg ist bereits verweht.
Da,
ein Schild: "Slåttdalsskrevan" dreihundert Meter.
Wir steigen durch einen schönen Wald aufwärts und nach
den dreihundert Metern kommen wir zu einem Tor, das durch einen
querliegenden Felsbrocken, der sich über eine Schlucht gelegt
hat, gebildet wird. Naja, Schlucht ist vielleicht übertrieben,
aber immerhin, eine Felsspalte von vielleicht zwanzig Meter Höhe.
Nach
dem Durchschreiten dieses Tors sind wir in der Räuberschlucht.
Diese ist zur Hälfte von Geröll verschüttet und jetzt
heisst es wieder bergauf steigen. Fast senkrecht erheben sich die
Wände links und rechts des Weges. Ungefähr dreihundert
Meter soll die Schlucht der Beschreibung nach lang sein. Mir kommt
sie kürzer vor, doch mag das auch mit der Weite des Landes
zusammenhängen, so dass sich die Perspektiven verschieben.
Das
gegrillte Hühnchen war ordentlich gewürzt und hat uns
durstig gemacht. Zum Glück hat Jan auch eine Thermosflasche
mit heissem Wasser mit. Selten hat heisses Wasser so gut geschmeckt.
Dann marschieren wir auf dem Weitwanderpfad.
Schon
nach einer guten halben Stunde kommen wir zur Küste, wo die
Wellen des bottnischen Meeres an den Strand schlagen. Der Küste
vorgelagert ist die Insel Möja, die wir als grauen Schatten
im Wasser vielleicht drei Kilometer von der Küste entfernt
ausnehmen können. Ab hier ist der Hohe Küsten Wanderpfad
wirklich toll. Am Ufer entlang leicht zu gehen und mit dem Wasser
auf der einen Seite und einem sehr schönen, alten Wald auf
der anderen.
Der
Wind rauscht in den Zweigen. Im Sommer muss es hier wirklich angenehm
zu wandern sein, da durch die Meernähe keine Gelsen (Stechmücken)
vorhanden sind. Nach einer Stunde sind wir bei einem Holzverschlag
mit Feuerstelle angekommen. Rundherum herrliche, geschützte
Zeltplätze. Mir tut es richtig leid, dass wir hier nicht verweilen
können, den Unbillen des Wetters zum Trotz. Die Natur ist wild
und ursprünglich, Feuerholz gibt es genug und so am Feuer zu
sitzen und übers Meer zu schauen, ist immer ein Genuss.
Vom
Windverschlag ab bleiben wir auf dem Pfad, der am Ufer entlang führt,
doch er ist nicht mehr markiert, sondern geht nur zu einigen weiteren
schönen Zeltplätzen. Dann kommen wir an einen ziemlich
breiten Bach, den wir nicht furten können, daher beschliessen
wir, daran entlang zu laufen bis wir auf den richtigen Weg kommen.
Improvisation wird in Jans Wortschatz gross geschrieben.
Wir
laufen und laufen, bis wir zu einem riesigen Schneebruch kommen,
der hier seit dem letzten Winter liegt, als innerhalb von einer
Nacht ein dreiviertel Meter Schnee gefallen ist. Buchen und auch
Fichten liegen kreuz und quer, das erinnert uns, dass wir uns in
einem Nationalpark befinden, in dem nichts geändert werden
darf, in dem also menschliche Eingriffe verpönt sind.
Der
Bach mäandert sich vor und zurück, bis wir einsehen, dass
wir so nicht weiter kommen. Ausserdem wird es schon ziemlich dunkel.
Also beschliessen wir, in unseren Spuren wieder zurückzugehen.
Beim Windverschlag finden wir den richtigen Weg auf Anhieb. Es sind
jetzt nur mehr drei Kilometer zurück zum Parkplatz. Der Weg
ist breit und so können wir nebeneinander herlaufen.
Jan
erzählt voll Stolz von seinem Nachzügler, einem zehnjährigen
Buben, der bereits, noch ehe er laufen konnte, an einem See mit
dem Schnuller im Mund und Windeln in der Hose, drei Saiblinge herausgezogen
hat. Früh übt sich, was ein Sportfischer werden will.
Nach
einer Stunde und in völliger Finsternis sind wir beim Auto
angekommen. Ein toller und lehrreicher und vor allem spannender
Tag neigt sich seinem Ende zu und ich freue mich schon auf den Sommer,
wenn ich unbedingt hierher zurückkommen will und wenn schon
nicht den ganzen, so doch einige Etappen des Hohe Küste Weitwanderpfades
abzugehen denke.
Gebiet:
Hohe Küste zwischen Kramfors und Örnsköldsvik in
Västernorrland
Wanderpfad: Högakustenleden, 130 km zwischen der Mündung
des Ångermanflusses an der Brücke "Höga Kusten
Kusten Bron" bis zum Varvsberg in Örnsköldsvik, 13
Etappen. Hier beschrieben: Skuleskogens Nationalpark.
Wichtige
Adressen und Telefonnummern:
Docksta Jugendherberge und Campingplatz, Matz Bergman: +46
613 13064.
Entré Höga Kusten AB: Box 27 Nordingråvägen 5, S- 870 32 Ullånger
Tel: +46 613 108 50, Fax: +46 613 108 53, e-mail info@hogakusten.com,
www.hogakusten.com
Touristenbüro Kramfors: Ansprechpartner Janne Mellander,
Företagens Hus, S-872 80 Kramfors, Tel: +46 612 805 05, Fax:
+46 612 71 14 45, e-mail janne.mellander@kramfors.se
Last
Updated: Montag, 1. September 2008
Copyright 1999-2008 Dr. Eduard Nöstl
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