Wandern
in Nordschweden:
STORA
BLÅSJÖN /JÄMTLAND
Vom Grossen Blauen See zum Bjurfluss
Unser
Blockhaus in Stora Blåsjön liegt am Fuss des Mesklumpen,
mit seinen 923 Metern die höchste Erhebung der Umgebung und zugleich
auch der Schiberg des Ortes. Die Wanderpfade beginnen alle gleich
einen Steinwurf von unserem Haus entfernt. Leipikvattnet 15, steht
da, oder Korallgrottan oder Ankarvattnet oder Bjurälven.
Die
Korallenhöhle ist Schwedens längste Höhle und das Bjurälvgebiet
ein Naturschutzgebiet mit interessanten Karsterscheinungen. Vattnet
steht für See. Allen diesen Wegen ist gemeinsam, dass sie sehr gut
gekennzeichnet sind, was wir ihrer Eigenschaft als teils Skooterpfad
aber auch gekennzeichnetes Langlauf(touren)gebiet zu verdanken haben.
Die
Wege sind gut bis ausgezeichnet markiert. Ohne diese Kennzeichnungen,
also die Andreaskreuze, die in Abständen von 25 m aufgestellt sind,
wäre es, zumindest für den unbedarften Mitteleuropäer, der nicht
mit Karte und Kompass aufgewachsen ist, so gut wie unmöglich, sich
zurechtzufinden. Denn die Wege sind nur selten begangen - es gibt
also kaum Spuren im Gelände oder über die Hochmoore, sondern der
Wanderer orientiert sich allein an den Andreaskreuzen. Zumindest
gilt das für uns und wir sind jedesmal heilfroh, wenn wir einen
Pfad finden, der so gekennzeichnet ist.
Es
ist nicht angenehm, nach vier Stunden Wanderns plötzlich feststellen
zu müssen, dass man eigentlich keine Ahnung hat, wo man sich befindet.
Und in diesem Zustand der zunehmenden Nervosität noch eine Positionsbestimmung
auf der Karte durchführen zu wollen, tja, das kommt für uns zumindest
einem Alptraum gleich.
Aber wie gesagt, die Pfade hier in Blåsjön sind angenehm gut markiert.
Die Karte Z1, Stekenjokk - Frostviken, sollte aber trotzdem jeder
dabeihaben. Wenn sonst nichts, so ist es lustig, nach dem Nachhausekommen
sich anhand der Karte an besonders schöne Wegstrecken zu erinnern.
Bei
der Orientierung am ersten Abend ist uns bereits eine schöne Wanderung
ins Auge gefallen. Und zwar deshalb, weil sie sich geradezu als
Einstimmung anbietet: um den Mesklumpen und dann über die Danielhütte
zum See Holmtjärnen. Das Gute an dieser Tour ist, dass sie wie eine
Acht angelegt ist, wodurch man nicht zweimal den gleichen Weg gehen
muss.
Als wir uns mit ein paar Einheimischen unterhalten, meinen die,
dass wir doch gleich zum Leipiksee durchmarschieren sollten, das
wäre ja etwas ganz besonderes. Nochmals wir die Karte studiert und
ja, warum nicht? Der Weg ist gut gekennzeichnet und fünfzehn Kilometer
sind ja nicht so schlimm (dreissig, wenn man retour auch noch mitrechnet).
Am nächsten Tag regnet es. Na gut, immer kann die Sonne nicht scheinen,
ausserdem brauchen Pilze Regen zum wachsen und wir haben ja unser
neues Regenzeug, da werden wir gleich einmal prüfen, ob das Zeug
hält, was der Hersteller verspricht.
REGENZEUG
UND GUMMISTIEFEL
Die
ersten hundert Meter gehen wie immer durch einen Nadelwald, vermischt
mit Birken. Dann gleich die erste Hochebene und der Blick zurück
über den Blauen See. Rechts von uns der Mesklumpen, zwischendurch
entdecken wir eine Liftstütze, aber das stört nicht, da das Schigebiet
relativ klein ist. Inzwischen sind wir auf ungefähr siebenhundert
Metern, und es regnet noch immer.
Das
Regenzeug hält, nur die Schuhe sind ein trauriges Kapitel. Trotz
der Gamaschen sind die Füsse bereits nass. Am Danielvattnet, einem
kleinen Bergsee, steht auch die Danielhütte, eine winzige Hütte
mit einem Raum. Die Hütten sind hier generell nicht bewirtschaftet,
sondern eben Stützpunkte, wo sich Wanderer oder Schitourengeher
an einem kleinen Ofen wärmen können. Wir lassen die Hütte links
liegen.
Das
ist schon der erste Fehler, denn es empfiehlt sich immer wieder,
bei Hütten einzukehren, und anhand der Karte den nächsten Abschnitt
des Weges zu bestimmen. So werfen wir nur einen kurzen Blick auf
die Schilder, Holmtjärnen steht da, aha, das ist ein Umweg, das
wissen wir noch von der Karte, weiters Korallgrottan, Ankarede,
Leipikvatten.
Zum Leipikvatten weisen zwei Schilder, ein Schild weist in Richtung
Holmtjärn, nein, das ist nichts, wir entschliessen uns für das Schild,
das mit einem Skooter gekennzeichnet ist. Total falsch! Jeder, der
ein bisschen über schwedische Gepflogenheiten informiert ist, weiss,
dass die Skooterwege über Moore führen und kleine Seen passieren,
die im Winter natürlich alle zugefroren und von einer dicken Schneedecke
bedeckt sind.
Wir
wundern uns, dass wir da mal einen kleinen See umrunden müssen,
dort in den Morast einsinken, aber immer folgen wir tapfer den Andreaskreuzen
mit dem Skooterfahrer drauf. Nach einiger Zeit wieder ein Schild,
Ankarvattnet 2 km.
Merkwürdig,
wie nahe wir hier Ankarvattnet sind, geht es mir durch den Kopf,
aber diese Andeutung eines Gedankens wird gleich von der Freude
verdrängt, dass hier endlich einmal ein paar Bohlen ausgelegt sind,
die uns über ein Moor transportieren und dass nachher ein richtiger
Pfad zu sehen ist. Klar, denn wir befinden uns auf dem Weg zur Korallenhöhle,
der Hauptattraktion der Gegend.
Schliesslich
kommt auch ein Schild, Korallenhöhle 1 km. Für uns verschwindet
damit der schöne Weg, da wir ja zum Leipiksee weitermarschieren
und wir kämpfen uns durch den nächsten Morast. Wassertreten ist
angesagt. Sind wir am Anfang noch von trockener Stelle zu trockener
Stelle gesprungen, macht sich jetzt schon eine Teilnahmslosigkeit
gegenüber dem Wasser breit, und jeder gatscht so vor sich hin.
Der Regen trommelt auf die Kaputzen der Anoraks und die Stimmung
sinkt mit der Temperatur. Aber immerhin weht kein Wind. Ein Moor
schliesst sich ans nächste an, wir machen hier eine richtige Kneippkur.
Da sich der Mensch aber an alles gewöhnt, so merken wir immerhin,
dass sich der Herbst naht. Und da wir jetzt das Schlimmste hinter
uns zu haben scheinen, erfreut sich das Auge an den kaminrot gefärbten
Blättern der jungen Eschen, die da und dort sich gegen das Wetter
zu behaupten suchen.
Habe
ich eben gesagt, das Schlimmste war vorbei? Es kommt immer noch
schlimmer. Wir kommen an den Bjurfluss (naja, eigentlich ist es
ein Bach), und hier sollten eigentlich nach der Karte eine Brücke
drüberführen. Die Brückenverankerungen sind auch noch da. Die Brücke
fehlt. Ziemlich hohe Ufervegetation verdeckt den Blick auf den Bach.
Daher beschliessen wir, bachaufwärts zu furten.
Ich springe vom Ufer in den Bach und habe mich bei der Tiefe gründlich
verschätzt. Bis zu den Oberschenkeln stehe ich im Wasser. Wie ein
Elch stakse ich auf die andere Seite, das Wasser ist natürlich in
die Schuhe geronnen. Vielleicht sollte man die Schuhe jetzt ausleeren.
Die Gamaschen lösen, die Überhose aufmachen, die Schuhe aufknöpfen?
Nein, zu viel Arbeit. Ausserdem giesst es sowieso wie aus Kübeln.
Bald werden wir am See Leipikvattnet sein, also lieber marschieren.
AM
LEIPIKSEE
Nach
kurzer Zeit ein Schild. Bjurälven mit Hütte 1 km, Leipikvattnet
2 km. Haben wir gesagt, wir wollen zum Leipiksee, so werden wir
auch dahingehen. Am See angekommen, empfängt uns eine Schafherde
mit aufgeregtem Blöken.
Wir
freuen uns auf eine kleine Hütte oder wenigstens eine Windverschlag.
Als wir am Ende des Pfades angekommen sind - nichts. Ein Bauernhof,
ja, aber kein Unterstand für müde Wanderer. Ein Schild, das die
Schönheiten des Bjurflusstales beschreibt und die geologischen Besonderheiten.
Sehr spannend!
Doch
halt, war nicht am Bjurfluss eine Hütte? Ja doch, also, alles kehrt
und losmarschiert. Was sind schon läppische drei Kilometer. In der
Hütte lesen wir kurz das Hüttenbuch, erstaunlich viele deutsche
Wanderer sind hier vorbeigekommen, vor allem die Besucher aus Rostock,
Leipzig, Berlin, lassen sich zu richtigen Begeisterungsstürmen hinreissen.
Wir jausnen und machen uns auf den Rückweg.
Hätten wir nur ein bisschen gedacht, bevor wir uns in der Früh
auf den Weg gemacht haben, hätten wir gesehen, dass die Strasse
bis direkt zum Leipiksee führt und wir hätten unsere Fahrräder hier
deponiert und könnten jetzt gemütlich ins Tal und bis direkt vor
unser freundliches Haus rollen. Doch dann wäre uns andererseits
die schönste Strecke dieser Wanderung vorenthalten geblieben.
Denn
nur ein paar hundert Meter hinter der Furt, die diesmal bachabwärts
von der Brücke an einer total seichten Stelle durchgeführt wird,
wo nur die Sohlen der Schuhe vom Wasser benetzt werden, kommen wir
zu einem Schild, Stora Blåsjön für Wanderer und Schilangläufer,
nicht Skooterfahrer. Und natürlich geht es bergauf, also dorthin,
wo keine Moore mehr sind. Langsam geht uns beim Aufwärtssteigen
die Tragweite unsereres kapitalen Felschlusses auf.
Als
wir später zu Hause die Karte studieren, merken wir auch, dass wir
einen enormen Umweg gemacht haben, als wir fast bis Ankarvattnet
marschiert sind, anstatt den geraden Weg zu nehmen. Immerhin, diese
Route entschädigt uns für alle Mühen, wir sind inzwischen ja schon
an die zwanzig Kilometer gelaufen.
Ein
See reiht sich an den nächsten im Tal, um uns hat der Herbst bereits
sein grosses Farbenspiel begonnen, nur der Regen trommelt nach wie
vor auf unsere Regenzeug. Das war immerhin ein guter Kauf. Wir sind,
zumindest von aussen her gesehen, trocken. Wenn wir schon marschieren,
dann gleich ordentlich und so nehmen wir den Holmtjärn (Tjärn =
Bergsee) mit, und den Mesklumpen umrunden wir auch noch.
Doch
jetzt sind wir mit den Kräften am Ende und freuen uns über die Schwarzbeeren,
die uns vor dem letzten Stück gleich neben dem Weg für uns wachsen.
In der hauseigenen Sauna lassen wir den Tag Revue passieren und
sind teils ein wenig bekümmert über die mangelnde Sorgfalt bei unserer
Planung, andererseits wieder begeistert von den unglaublichen Wandermöglichkeit,
die diese Gegend hier am Stora Blåsjön bietet. Und - die Sauna eignet
sich ganz hervorragend zum Trocknen unserer Schuhe.
Last Updated: Freitag, 14.Oktober 2011
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