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Wandern in Nordschweden:

JORMLIEN/JÄMTLAND

 

ZUM RAUDEKSEE IN NORWEGEN

Rosenwurz, Fingerkraut, Goldrute, Habichtskraut, Frauenmantel, Steinbrech, Trollblume, Kleine Liliensimse, Knöllchen Knöterich, Silberwurz, Geflecktes Knabenkraut, Nördlicher Eisenhut, die Liste mit Blumennamen wirkt endlos.

All diese Blumen wachsen auf dem Weg zum Raudeksee. Diese Tour ist ein Ganztagsausflug. Eine Genusstour, die uns das Fjäll in seiner ganzen Herrlichkeit nahe bringt.

Wir starten nach einem herzhaften Frühstück und folgen dem gekennzeichneten Weg neben dem Schild. Auch heute wählen wir noch den Winterweg, allerdings haben wir uns bereits so gut an das Fjäll gewöhnt, dass wir uns auf dem Rückweg nicht mehr sklavisch an den markierten Weg halten werden, sondern den Gipfel des Raudekfjälls abseits der Markierung erklimmen wollen.

Der Weg beginnt diesmal richtig zahm. Fast eben geht es die ersten fünfzig Meter dahin, schon stehen wir vor einem kleinen Bächlein, dem Lerdalsbach, und können die Reste der Brücke sehen, die die Gewalt des Wildwassers im letzten Winter mit sich gerissen hat.

Ein verbogener Stahlträger ist alles, was noch vorhanden ist. Ein paar Schritte flussabwärts furten wir und sehen den zweiten Stahlträger wie von einer Riesenhand achtlos zur Seite geworfen, am Bachufer liegen.

Das Wasser des Bachs ist glasklar und so sauber wie nur unverfälschtes Fjällwasser sein kann, wo keine Fabrikabwässer und keine Abgase den Qualität des Wassers beeinträchtigen können.

Es ist absolut still. Nicht einmal ein Flugzeug stört unser Aufgehen in der Natur. Der Weg folgt dem Bach, der sich hier tief, fast klammartig, eingegraben hat. Erst beim Nachhausegehen wird uns bewusst, welch gigantisches natürliches Schauspiel dieser Bach für uns bereithält, wenn wir uns an sein Ufer wagen und zehn Meter unter uns den Lerdalsbach in einer Gletschermühle verschwinden sehen.

LerdalsbachDas Gestein besteht aus Schieferplatten, die der Gewalt des Wassers nicht viel entgegensetzen können. Gneis und Kalk tun ein übriges, wodurch hier ein Traumgebiet zum zwar nicht ganz ungefährlichen, aber spannenden Canyoning entstanden ist.

Unser Weg führt uns durch eine typische Niederfjällvegetation: Mannshohe Farnkräuter, und Milchlattich, der hier wie Unkraut gedeiht, inmitten von Fichten und Birken. Der Boden ist sehr feucht und nach dieser Tour werde ich nie wieder Bergschuhe für eine schwedische Fjällwanderung benutzen.

Irgendwo ist es für uns logisch, dass wir in den Bergen der Alpen keine Regenstiefel, sondern Bergschuhe mit gutem Halt und fester Sohle benutzen. Klar, braucht man doch auf dem Felsen und den schottrigen Wegen einen guten Halt und ausserdem kommt man nur selten durch Sumpf oder Moor.

Ebenso rational gedacht würde es keinem Schweden jemals einfallen, im eigenen Land etwas anderes zu tragen als Gummistiefel. Bei dieser Tour verstehe ich das Vernünftige dieses Denkens, wenn mir das Wasser zwischen den Zehen herumläuft und die Filzeinlagen die Feuchtigkeit, die durch das Leder der Schuhe wie durch ein Sieb eindringt, einfach nicht mehr aufsaugen können. So viel zur Wahl des Schuhwerks.

Doch noch gibt es kein Problem. Es ist zwar deutlich feuchter als gestern, doch noch nicht beunruhigend. Die Vegetation ist nicht anders als üppig zu nennen. Auch an der ersten Weggabelung bleiben wir am Bach.

Die Bäche sind überhaupt nicht beeinflusst von menschlichem Tun, sondern laufen völlig naturbelassen dahin. Daher kriegt man auch einen Blick von Zeit zu Zeit, wie ihn wohl Adam und Eva hatten, als die beiden sich auf den Weg machten und nach dem ersten Vitaminstoss das Paradies auf Erden suchen mussten.

Beim Anblick eines solchen Bachs dachten sich die beiden wohl, naja, so schlimm war der Verlust vom Garten Eden dann auch wieder nicht.

Das grüne Wasser des Bachs hat sich in einem kleinen Tümpel gesammelt, worein das sauerstoffhältige, gischtenden Wasser sich über Steine ergiesst. Alles wird umrahmt vom Tiefgrün des Waldes. Kein Mensch weit und breit.

An einem Schneebruch, der die Birken in Mannshöhe wie Streichhölzer geknickt hat, vorbei, kommen wir nach etwa fünf Minuten steten Steigens auf eine Hochebene, die bereits eine rostrote Farbe angenommen hat.

Wir überqueren dieses Hochmoor, immer den Andreaskreuzen nach, verbissen, ohne zu denken, anstatt die feuchten Stellen einfach zu umgehen, und sind nach weiteren zehn Minuten bei einem Windverschlag mit gutem Blick zum Limingensee, der bereits in Norwegen liegt.

Bis hierher haben wir ungefähr die Hälfte des Wegs zurückgelegt. Ab jetzt steigt der Weg ununterbrochen bis auf etwa achthundert Meter an. Es wird hochalpin. Zumindest vom kräftigen Norwind her, der uns ziemlich kühl um die Ohren weht. Dazu setzt noch ein feiner Nieselregen ein, der das Regengewand aus dem Rucksack lockt.

Doch schon fünf Minuten später scheint wieder die Sonne. So geht es den ganzen Tag. Immer, wenn zwei Kreuze übereinanderstehen, macht der Weg einen Knick. So auch jetzt, als wir einen scharfe Wendung nach rechts, also nach Norden machen, und plötzlich unter uns den Raudeksee liegen sehen.

Nach ziemlich genau zwei Stunden Gehzeit sind wir am See. Um es gleich zu sagen, Jause muss man selber mitbringen. Das Gebiet ist zu gross und wohl auch zu selten begangen, um für einen Hüttenwirt verlockend zu sein.

Wir wandern ein Stück den ziemlich unspektakulären See entlang, kommen an ein paar Feuerstellen vorbei und das einzige aufregende ist das gelbe Schild, das die Landesgrenze nach Norwegen bezeichnet.

Beim Zurückgehen wollen wir auf eigene Faust losmarschieren. Wir folgen einem kleinen Rinnsal mit glasklarem Wasser und freuen uns über die vielen kleinen und kleinsten Blumen, die hier in der strengen Natur ihr Überleben suchen.

Dann queren wir den markierten Steig und wollen das Raudekfjäll ersteigen, das wie eine Bastion vor uns liegt. Es ist total einfach zu wandern und so spazieren wir geradewegs in grossen Serpentinen hinauf bis zur kahlen Stirn des Bergs.

In dieser Höhe und auf dem nackten Fels gibt es nur mehr Flechten, die sich auf dem Fels überleben können. Auf dem Rücken des Raudekfjälls angelangt, was ca. eine halbe Stunde Aufstiegs nötig gemacht hat, sind wir erstaunt, welche grandiose Fernsicht ein Gipfel von achthundertfünfundsiebzig Metern ermöglicht.

Im Norden sehen wir in vielleicht zehn Kilometer Entfernung die Schauer wie eine lokal begrenzte Wand niederprasseln, während das eben noch von Wolken verhüllte Gebirge hinter dem Raudeksee von der Sonne bescheint wird. Gegen Süden liegt der Jormsee, gegen Westen der Limingen und im Osten, das muss wohl der Blåsee sein.

Hier heroben ist die Welt so gross und weit, man kann sich gar nicht sattsehen. Wir saugen die Schönheit, die Weite und die Einsamkeit auf, wir wissen, wir werden lange von diesen Eindrücken zehren müssen.

Schliesslich spazieren wir schweigend und bezaubert über Felsen und rote Flechten. Rentierspuren haben sich in das weiche Erdreich eingegraben, doch die einzigen Tiere, die wir heute gesehen haben, sind sechs Schneehühner, die im Weidengestrüpp am Raudeksee knapp vor uns aufgeflogen sind. Im Windverschlag legen wir uns eine Stunde aufs Ohr und wandern dann frisch gestärkt ins Tal. Das Raudekfjäll sollte sich somit jeder gross in seinen Vormerkkalender schreiben, der sich für Blumen interessiert.


Fjällpension Fjällgården
Kenneth Wästberg
S-830 90 Jormlien
Tel. +46 672 201 90

http://www.welcome.to/jormlien
email: fjallgarden@telia.com


Last Updated: Montag, 1. September 2008
Copyright 1999-2008 Dr. Eduard Nöstl

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