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JORMLIEN/JÄMTLAND

Lerdalsbach

 

Auf Blumenodyssee im Grenzgebiet zu Norwegen

Rosenwurz, Fingerkraut, Goldrute, Habichtskraut, Frauenmantel, Steinbrech, Trollblume, Kleine Liliensimse, Knöllchen Knöterich, Silberwurz, Geflecktes Knabenkraut, Nördlicher Eisenhut, die Liste mit Blumennamen wirkt endlos. All diese Blumen wachsen auf dem Weg zum Raudeksee. Wir starten nach einem herzhaften Frühstück und folgen dem gekennzeichneten Weg neben dem Schild. Der Weg beginnt diesmal richtig zahm. Fast eben geht es die ersten fünfzig Meter dahin, schon stehen wir vor einem kleinen Bächlein, dem Lerdalsbach, und können die Reste der Brücke sehen, die die Gewalt des Wildwassers im letzten Winter mit sich gerissen hat.

von Eduard Nöstl


Ein verbogener Stahlträger ist alles, was noch vorhanden ist. Ein paar Schritte flussabwärts furten wir und sehen den zweiten Stahlträger wie von einer Riesenhand achtlos zur Seite geworfen, am Bachufer liegen.

Das Wasser des Bachs ist glasklar und so sauber wie nur unverfälschtes Fjällwasser sein kann, wo keine Fabrikabwässer und keine Abgase den Qualität des Wassers beeinträchtigen können.

Es ist absolut still. Nicht einmal ein Flugzeug stört unser Aufgehen in der Natur. Der Weg folgt dem Bach, der sich hier tief, fast klammartig, eingegraben hat. Erst beim Nachhausegehen wird uns bewusst, welch gigantisches natürliches Schauspiel dieser Bach für uns bereithält, wenn wir uns an sein Ufer wagen und zehn Meter unter uns den Lerdalsbach in einer Gletschermühle verschwinden sehen.

Das Gestein besteht aus Schieferplatten, die der Gewalt des Wassers nicht viel entgegensetzen können. Gneis und Kalk tun ein übriges, wodurch hier ein Traumgebiet zum zwar nicht ganz ungefährlichen, aber spannenden Canyoning entstanden ist.

JormliklumpenUnser Weg führt uns durch eine typische Niederfjällvegetation: Mannshohe Farnkräuter, und Milchlattich, der hier wie Unkraut gedeiht, inmitten von Fichten und Birken. Der Boden ist sehr feucht und nach dieser Tour werde ich nie wieder Bergschuhe für eine schwedische Fjällwanderung benutzen.

Irgendwo ist es für uns logisch, dass wir in den Bergen der Alpen keine Regenstiefel, sondern Bergschuhe mit gutem Halt und fester Sohle benutzen. Klar, braucht man doch auf dem Felsen und den schottrigen Wegen einen guten Halt und ausserdem kommt man nur selten durch Sumpf oder Moor.

Ebenso rational gedacht würde es keinem Schweden jemals einfallen, im eigenen Land etwas anderes zu tragen als Gummistiefel. Bei dieser Tour verstehe ich das Vernünftige dieses Denkens, wenn mir das Wasser zwischen den Zehen herumläuft und die Filzeinlagen die Feuchtigkeit, die durch das Leder der Schuhe wie durch ein Sieb eindringt, einfach nicht mehr aufsaugen können. So viel zur Wahl des Schuhwerks.

Doch noch gibt es kein Problem. Es ist zwar deutlich feuchter als gestern, doch noch nicht beunruhigend. Die Vegetation ist nicht anders als üppig zu nennen. Auch an der ersten Weggabelung bleiben wir am Bach.

Die Bäche sind überhaupt nicht beeinflusst von menschlichem Tun, sondern laufen völlig naturbelassen dahin. Daher kriegt man auch einen Blick von Zeit zu Zeit, wie ihn wohl Adam und Eva hatten, als die beiden sich auf den Weg machten und nach dem ersten Vitaminstoss das Paradies auf Erden suchen mussten.

Beim Anblick eines solchen Bachs dachten sich die beiden wohl, naja, so schlimm war der Verlust vom Garten Eden dann auch wieder nicht.

Das grüne Wasser des Bachs hat sich in einem kleinen Tümpel gesammelt, worein das sauerstoffhältige, gischtenden Wasser sich über Steine ergiesst. Alles wird umrahmt vom Tiefgrün des Waldes. Kein Mensch weit und breit.

An einem Schneebruch, der die Birken in Mannshöhe wie Streichhölzer geknickt hat, vorbei, kommen wir nach etwa fünf Minuten steten Steigens auf eine Hochebene, die bereits eine rostrote Farbe angenommen hat.

Wir überqueren dieses Hochmoor, immer den Andreaskreuzen nach, verbissen, ohne zu denken, anstatt die feuchten Stellen einfach zu umgehen, und sind nach weiteren zehn Minuten bei einem Windverschlag mit gutem Blick zum Limingensee, der bereits in Norwegen liegt.

Bis hierher haben wir ungefähr die Hälfte des Wegs zurückgelegt. Ab jetzt steigt der Weg ununterbrochen bis auf etwa achthundert Meter an. Es wird hochalpin. Zumindest vom kräftigen Norwind her, der uns ziemlich kühl um die Ohren weht. Dazu setzt noch ein feiner Nieselregen ein, der das Regengewand aus dem Rucksack lockt.

RaudekfjällDoch schon fünf Minuten später scheint wieder die Sonne. So geht es den ganzen Tag. Immer, wenn zwei Kreuze übereinanderstehen, macht der Weg einen Knick. So auch jetzt, als wir einen scharfe Wendung nach rechts, also nach Norden machen, und plötzlich unter uns den Raudeksee liegen sehen.

Nach ziemlich genau zwei Stunden Gehzeit sind wir am See. Um es gleich zu sagen, Jause muss man selber mitbringen. Das Gebiet ist zu gross und wohl auch zu selten begangen, um für einen Hüttenwirt verlockend zu sein.

Wir wandern ein Stück den ziemlich unspektakulären See entlang, kommen an ein paar Feuerstellen vorbei und das einzige aufregende ist das gelbe Schild, das die Landesgrenze nach Norwegen bezeichnet.

Beim Zurückgehen wollen wir auf eigene Faust losmarschieren. Wir folgen einem kleinen Rinnsal mit glasklarem Wasser und freuen uns über die vielen kleinen und kleinsten Blumen, die hier in der strengen Natur ihr Überleben suchen.

Dann queren wir den markierten Steig und wollen das Raudekfjäll ersteigen, das wie eine Bastion vor uns liegt. Es ist total einfach zu wandern und so spazieren wir geradewegs in grossen Serpentinen hinauf bis zur kahlen Stirn des Bergs.

In dieser Höhe und auf dem nackten Fels gibt es nur mehr Flechten, die sich auf dem Fels überleben können. Auf dem Rücken des Raudekfjälls angelangt, was ca. eine halbe Stunde Aufstiegs nötig gemacht hat, sind wir erstaunt, welche grandiose Fernsicht ein Gipfel von achthundertfünfundsiebzig Metern ermöglicht.

Im Norden sehen wir in vielleicht zehn Kilometer Entfernung die Schauer wie eine lokal begrenzte Wand niederprasseln, während das eben noch von Wolken verhüllte Gebirge hinter dem Raudeksee von der Sonne bescheint wird. Gegen Süden liegt der Jormsee, gegen Westen der Limingen und im Osten, das muss wohl der Blåsee sein.

Hier heroben ist die Welt so gross und weit, man kann sich gar nicht sattsehen. Wir saugen die Schönheit, die Weite und die Einsamkeit auf, wir wissen, wir werden lange von diesen Eindrücken zehren müssen.

Schliesslich spazieren wir schweigend und bezaubert über Felsen und rote Flechten. Rentierspuren haben sich in das weiche Erdreich eingegraben, doch die einzigen Tiere, die wir heute gesehen haben, sind sechs Schneehühner, die im Weidengestrüpp am Raudeksee knapp vor uns aufgeflogen sind. Im Windverschlag legen wir uns eine Stunde aufs Ohr und wandern dann frisch gestärkt ins Tal. Das Raudekfjäll sollte sich somit jeder gross in seinen Vormerkkalender schreiben, der sich für Blumen interessiert.

AUF DEN JORMLIKLKUMPEN UND DAS STORLIDFJÄLL

Der Jormliklumpen erhebt sich gleich hinter der Pension Jormlien und passt so richtig als Einstimmung in die Fjällandschaft. Er ist nicht hoch, gerade um die 700 m, hat keinerlei schwieriges Moment, sondern ist ein freundlicher, kleiner Aussichtsberg. Ungefähr zwanzig Meter hinter der Pension geht es gleich einmal steil rechts bergauf eine Wiese und am Waldrand entlang.

Jormsee
Hinter uns liegt der Jormsee in seiner ganzen Pracht. Der Jormsee ist an die dreissig Kilometer lang und drei Kilometer breit und erreicht eine grösste Tiefe von 80 Metern.

Der Weg ist gut ausgetreten und immer wieder tauchen vor uns die Markierungen des Winterwegs, also die inzwischen allbekannten Andreaskreuze auf. Es gibt daher kein Verlaufen und die Karte (Z1 Stekenjokk - Frostviken) haben wir nur mit, um die Seen und Berge, an denen wir vorbeikommen, oder die wir in der Ferne glitzern sehen, zu bestimmen.

Wir arbeiten uns durch das typische Vorfeld des Berges hoch wie da ist: Birken, Farne, vereinzelt Fichten. Viel Grün und enorm viele Blumen. Frauentreu, Storchenschnabel, Eisenhut und Milchlattich fallen uns gleich ins Auge. Kein Wunder, befinden wir uns hier auch auf kalkhaltigem Boden.

Das Kalkgestein hat vielerlei Bedeutung. Nicht nur die üppige Vegetation, sondern auch die Sümpfe und Moore, die wir durchqueren, sind nicht tief und unheimlich, wie sonstwo, sondern das Wasser versickert rasch und die Hochmoore sind auch nach einem Regenguss problemlos zu durchqueren.

Die Birken ziert bereits ein Anflug von Gelb, ein untrügliches Zeichen, dass sich der Sommer dem Ende zuneigt. Doch noch brennt die Sonne vom Himmel. Wenn auch hier heroben, wir haben inzwischen das erste Hochmoor erreicht und die schützende Waldzone verlassen, ein frisches Lüfterl weht.

Wir befinden uns auf ungefähr sechshundert Meter Seehöhe, da tut es schon gut, sich richtig in den Anorak einmummen zu können. Hier begrüsst uns auch das Wollgras mit einem sanften Nicken der weissen, zart-leichten samtigen Köpfchen und wir fühlen uns richtig zuhause.

Noch eine halbe Stunde bergaufsteigen, dann tauchen bereits kleinere Felsen zwischen den Schwarzbeersträuchern auf.

Die Höhen von sechshundert bis tausend Meter, die hier generell bewandert werden, klingen vielleicht für den Mitteleuropäer wie lächerliche Berge. Nun, ganz unterschätzen sollte man die Fjälls hier heroben im Norden nicht.

Du wirst zwar kaum jemals Gefahr laufen abzustürzen, es gibt einfach keine steil aufragenden Wände und wenn, dann in weglosem Gebiet, und man muss schon sehr weit hinauf in den Norden zum Kebnekaise und in die Gegend, um solchen Gefahren zu begegnen.

Dafür gibt es andere, subtilere Momente, die einem Mitteleuropäer schon einmal das Herz in die Hosen rutschen lassen. Die Weite des Landes zum Beispiel und die totale, greifbare, fast unheimliche Einsamkeit, die dich wie ein Raubtier anspringt, wenn du es am wenigsten vermutest, können dem Menschen, der dieses Ausgesetzsein, diese Geworfenheit nicht kennt, ziemlich zusetzen.

Man könnte einen Vergleich mit der Architektur versuchen: Erinnern die Alpen mit ihren Zacken und Graten an die Zinnen und Türme gotischer Kathedralen, so sind die schwedischen Berge wie die romanischen Kirchen, breit und wuchtig, erdverbunden.

Nach ungefähr eineinhalb Stunden stehen wir auf dem Jomliklumpen. Ein kalter Wind umweht uns und das Mützchen wird aus dem Rucksack geholt.

Die Fernsicht ist phantastisch. Ein Berg reiht sich an den nächsten, wie die Wellen eines ewigen, Stein gewordenen Meeres rollen die Bergketten heran. Scheinbar unendlich. Zwischendrinnen lockern immer wieder helle Spiegel der Seen die Szene auf.

Schrille Schreie wecken uns aus unseren Verzauberung. Ein Adlerpärchen schraubt sich in gewaltigen Kreisen in den Himmel über uns und verständigt sich mit diesen wenig grandios anmutenden Gemütsäusserungen.

Nach dem Schauen folgen wir auf dem Rückweg einer anderen Markierung, die ebenfalls einen Weg ins Tal anzeigt. Vereinzelte Birken, immer wieder hochmoorartige Flächen, die aber völlig problemlos zu begehen sind. Die Gräser dieser Moore haben bereits eine rostrote Farbe angenommen.

Eine Stunde später kommen wir zu einer Dreiwegegabelung. Jormliklumpen steht da zu lesen, auf dem waren wir gerade. Jormlien, dort werden wir später noch hingehen und Storlidfjället, ein Berg der etwas höher ist als der Jormliklumpen und auf der Karte keinen allzuweit entfernten Eindruck macht.

Das Storlidfjäll liegt genau nach Norden, der Jormliklumpen gegen Osten und Jormlien nach Süden.


Pension FjällgårdenWir sind auf der Wildnisstrasse hierher nach Jormlien gekommen. Die Wildnisstrasse führt von Strömsund über Gäddede und das Stekenjokk (900 m) nach Wilhelmina. Jormlien liegt etwa 34 km hinter Gäddede am Jormsee.

Jormliens Fjällgård, Kenneth und Bodil Wästberg
Tel: +46 672 830 90
€ 43.- p.P. Halbpension im DZ.
Tel. +46 672 201 90.
http://www.welcome.to/jormlien
email: fjallgarden@telia.com.


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Last Updated: Freitag, 14.Oktober 2011
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